Wird Virtual Reality bald Mainstream?
Neue Kursformate in der virtuellen Realität
Kamen bisher virtuelle Fitnessangebote mit Spielcharakter mithilfe einer VR-Brille aus der Gaming-Szene, kommen sie jetzt auch von bekannten Anbietern aus dem Groupfitnessbereich. Und sie sind nicht mehr ausschließlich im Einzelspielermodus, sondern mittlerweile auch als virtuelles Kursformat für Kleingruppen verfügbar.
Laut Statista, einer deutschen Online- Plattform für Statistik, wird sich der weltweite Umsatz mit Virtual Reality von fast 16 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 auf ca. 29 Milliarden US-Dollar im Jahr 2026 nahezu verdoppeln. Eine von Statista im März 2023 veröffentlichte Prognose zum Absatz von Virtual-Reality- und Augmented-Reality- Brillen weltweit geht davon aus, dass der Absatz solcher VR-Headsets weltweit von 10 Millionen im Jahr 2023 auf mehr als 31 Millionen im Jahr 2027 steigen wird. Sicherlich können wir heute noch nicht genau einschätzen, wie sich die Dinge in Sachen VR-Brillen und -Apps weiterentwickeln – Fakt ist, dass erste Anbieter im Bereich Groupfitness bereits dabei sind, sich hier professionell zu positionieren.
So hat Les Mills sein Livetrainingsprogramm „Bodycombat“ bereits in die virtuelle Welt transferiert. Das Unternehmen hat sich mit dem VR-Spezialisten Odders Lab zusammengetan, um das in Fitnessstudios bereits etablierte, durch Martial Arts inspirierte Workout „Bodycombat“ in einer VR-Gaming-App auf der Quest-Plattform bereitzustellen. Das Unternehmen Odders Lab hat seinen Sitz im spanischen Sevilla und ist auf die Entwicklung von Virtual-Reality- Inhalten spezialisiert. Die international bekannten Instruktoren Dan Cohen und Rachael Newsham haben nicht nur dabei geholfen, die Technik der VR-App zu verbessern, sondern sie motivieren die Nutzer während des Spiels, das Training bis zum Ende durchzuhalten.
Kicken und punchen in der virtuellen Welt
Unter der Leitung der beiden Top-Presenter können die Nutzer in virtuellen Landschaften wie z. B. Wüsten, der verschneiten Tundra oder fiktiven Großstädten auf verschiedenen Levels punchen und kicken. Das Spiel bietet 25 Trainingseinheiten, die für jedes Level – vom Anfänger bis zum Fortgeschrittenen – etwas bereithalten. Die beiden Presenter Dan Cohen und Rachael Newsham geben in der virtuellen Welt Tipps zur Verbesserung der Schlagtechnik und führen durch das Workout. Es stehen verschiedene Arten von Workouts zur Auswahl – darunter z. B. Boxen, Schnelligkeits-, Core- und Unterkörpertraining. Die VR-App geht über Jabs, Hooks und Uppercuts hinaus. Man muss in die Hocke gehen, um Gegenständen auszuweichen, auf einen zufliegende Objekte mit Bewegungen wie Sky Punches oder Hammer Punches zu treffen oder sie mit den Händen greifen, um sie dann auf dem Knie zu zerschlagen.
Beim Boxen sieht man z. B. links einen Boxhandschuh mit lila Rand, rechts einen mit hellgrünem Rand. Entsprechend der Farbe müssen die auf einen zufliegenden Elemente je nachdem, ob sie nun lila oder hellgrün sind, mit der linken oder rechten Hand getroffen werden – das Ganze zu speziell ausgewählten Soundtracks, die die Spieler während des Trainings auf Trab halten. Für das Spiel wird eine Fläche von zwei mal zwei Metern benötigt, die frei ist, sodass es keine Stolperfallen gibt. In der realen Welt ist „Bodycombat“ ein Kurs mit mehreren Teilnehmern. Die virtuelle Version ist bisher nur im Einzelspielermodus auf der „Oculus Quest“-Plattform für 9,99 Euro statt wie bisher 19,99 Euro erhältlich. Die App ist zurzeit ausschließlich in englischer Sprache verfügbar. Um das Spiel zu spielen, wird im Moment ein „Oculus Quest“-Headset benötigt. In Zukunft soll es aber auch auf anderen VR-Headsets verfügbar sein.
„Supernatural“ bietet neben Boxen auch Meditation
Softwareunternehmen bringen immer wieder neue Apps auf den Markt, mit denen sich das Training wie ein Spiel anfühlt. Die VR-Fitness-Apps sprechen eine neue Zielgruppe an. Das sind Menschen, die neue Technologien schätzen, aber auch diejenigen, die lieber allein trainieren möchten, Fitnessstudios meiden oder sich teure Boutique Studios bzw. einen Personal Trainer nicht leisten können. Eine dieser VR-Apps ist „Supernatural“. Die App wurde exklusiv für das VR-Headset „Oculus Quest 2“ entwickelt und hat ein umfangreiches Programm. Neben spielerischen Boxkursen gibt es Cardiotraining sowie Meditations- und Yogakurse. Hier bewegen sich die Nutzer in grafisch gut gestalteten Landschaften wie den Galapagos-Inseln, den Ruinen des Machu Picchu, der Blauen Lagune in Island, dem Vulkan Erta Ale in Äthiopien oder an schönen Stränden. Die App kann kostenlos 14 Tage getestet werden, kostet im Anschluss aber monatlich 19 US-Dollar. Das ist kein günstiges Unterfangen, wenn man bedenkt, dass eine „Oculus Quest 2“ inklusive zwei Touch- Controllern rund 350 Euro kostet. Aufs Jahr gerechnet ist das sogar mehr, als man in einem Discountstudio für das Training zahlen müsste.
Auf dem virtuellen Startbildschirm gibt es vier farbenfrohe, einfach zu bedienende Menüs: Der Menüpunkt „Neu heute“ zeigt neue Trainingsinhalte, der Punkt „Für Sie“ enthält Empfehlungen, die auf den eigenen Trainingsergebnissen basieren, unter „Details“ wird das gewählte Training beschrieben und unter dem Menüpunkt „Leistung“ sind die Bestenlisten abrufbar. „Supernatural“ ist mit der Apple Smartwatch und jedem Herzfrequenztracker kompatibel. So kann auch auf Playlisten von Spotify zugegriffen werden. In der App stehen mittlerweile mehr als 1 000 Kurse zur Auswahl, die in Zusammenarbeit mit professionellen Trainern erstellt wurden. Wer statt nur zu boxen lieber Yoga macht oder meditiert und großen Wert auf eine gute Grafik legt, wird die App mögen, denn die virtuellen Landschaften sind sehr realistisch und aufwendig gestaltet.
VR-App „FitXR“ ist im Mehrspielermodus verfügbar
Eine weitere VR-App, die von sich reden macht, heißt „FitXR“. Entstanden ist sie Übernahaus „BoxVR“, einem der ersten VR-Spiele, das als reines Fitnessprogramm konzipiert wurde, sich aber auf Boxen beschränkte. Im Sommer 2020 erhielt „Box- VR“ ein Update. Seitdem ist das Spiel unter dem Namen „FitXR“ bekannt. In Zusammenarbeit mit professionellen Trainern entwickelten die Macher verschiedene neue VR-Trainingseinheiten wie z. B. Tanzkurse und HIIT. Wer ein VR-Headset aufsetzt und die VR-App startet, kommt zuerst in den Eingangsbereich eines virtuellen Fitnessstudios. In diesem Empfangsbereich erscheint ein Menü mit den fünf verschiedenen Studiobereichen Boxen, Dance, HIIT, Sculpt und Combat, aus denen wiederum unterschiedliche virtuelle Kurse ausgewählt werden können.
Auch „FitXR“ hat ein kostenpflichtiges Fitnessabomodell: Für 9,90 Euro pro Monat haben die Nutzer Zugriff auf Hunderte von Kursen. Jeden Tag kommen neue hinzu. Dabei ist die Anzahl der Kurse zwar insgesamt geringer als z. B. bei „Supernatural“, allerdings ist das Angebot dafür abwechslungsreicher, denn seit Januar 2023 kamen, neben Boxen HIIT und Dance, neue Kurse aus den Bereichen Sculpt und Combat dazu. Unter dem Begriff „Sculpt“ fasst das Unternehmen Workouts wie Barre, Pilates und isometrisches Krafttraining zusammen. Unter „Combat“ finden sich z. B. Kurse wie Karate, Muay Thai und Taekwondo.
Wer erst einmal nur reinschnuppern will, kann das Angebot sieben Tage kostenlos testen. Zudem hat die VR-App auch eine Multiplayerfunktion, die es ermöglicht, virtuell mit Freunden an einem Kurs teilzunehmen – und das von jedem Ort der Welt. Egal ob Box-, Dance- oder HIIT-Klasse, jeder Kurs kann im Multiplayermodus gestartet werden, indem man auf dem Auswahlbildschirm statt „Klasse starten“ einfach „Multiplayerklasse starten“ auswählt. Diese Entwicklung ist den bisher auf den Einzelspielermodus begrenzten VR-Apps um einiges voraus, denn jetzt ist es möglich, seine Freunde oder Kollegen beim Sport virtuell zu treffen. Diese soziale Komponente war bisher das Alleinstellungsmerkmal von Kursen in einem Fitnessstudio.
„FitXR“ bietet Livefitnesstraining in Kleingruppen
Dabei lassen sich nicht nur Box-, Danceoder HIIT-Klassen im Multiplayermodus spielen, bei denen man dann mit fremden Avataren gemeinsam trainiert, es lässt sich auch ein Code erstellen, der dann mit Freunden geteilt werden kann, um gemeinsam in einem separaten virtuellen Raum miteinander zu spielen. Über die in den VR-Headsets eingebauten Mikrofone und Lautsprecher können sich die eingeladenen Freunde der Trainingsgruppe dann hören und untereinander verständigen.
Mittlerweile bietet „FitXR“ zu bestimmten Zeiten auch virtuelle Livekurse für Gruppen mit bis zu sieben VR-Spielern gleichzeitig an. Zusätzlich können sogar individuelle Beratungen durch Personal Trainer erfolgen. Die Möglichkeiten von VR im Bereich Groupfitness haben sich also enorm entwickelt und es werden sicherlich weitere Angebote dazukommen. Besonders Technikaffine und Gamer sind meist die Ersten, die die neuen virtuellen Angebote testen. Es wird zwar viel darüber spekuliert, dass VR auch Bewegungsmuffel zu Hause durch das spielerische Element zum Sport motiviert. Ob das tatsächlich so sein wird, wird sich sicher aber erst im Lauf der Zeit zeigen.
Fazit
In den USA werden die VR-Apps bereits gut genutzt. Nicht zufällig hat Meta die VR-App „Supernatural“ bereits gekauft. Die Wettbewerbsbehörde FTC hatte ihren Widerstand gegen Metas Übername der kalifornischen VR/AR-Entwicklungsfirma Within Unlimited, Hersteller der VR-App, aufgegeben. Fast eine halbe Milliarde US-Dollar soll Mark Zuckerberg die Übernahme gekostet haben. In den USA scheint erwartet zu werden, dass VR-Brillen und VR-Apps zum Mainstream werden.
In Deutschland wird es noch etwas dauern. Aber es ist für den Clubbetreiber eines Studios oder den Betreiber eines Boutique Studios sicher eine Überlegung wert, ob man sich früher oder später vielleicht ein paar VR-Brillen mit entsprechenden VR-Fitness-Apps zulegt, um den eigenen Kunden das Erlebnis eines VR-Kurses selbst zu bieten, statt darauf zu warten, dass technikaffine Mitglieder sich eine eigene VR-Brille zulegen und vielleicht kündigen. Trotz aller neuen technischen Finessen sollte man auch daran denken, dass ein 500 g schweres VR-Headset, während des Trainings getragen, auf Dauer zu unbequem werden kann. Wer schon einmal 40 Minuten unter so einer Brille geschwitzt hat, kennt auch die nicht so ästhetischen Abdrücke, die sie im Gesicht hinterlassen hat. Es ist möglich, dass Mitglieder dann doch das Training im realen Leben bevorzugen. Erst recht, wenn durch einen versehentlich aus den Händen gerutschten Controller die erste Fensterscheibe zu Bruch gegangen oder er einem Familienmitglied um die Ohren geflogen ist.
Rita Hoogestraat
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