Live-Remote- Trainingsprogramm
EU-Projekt zur Entwicklung eines Trainingsprogramms für Krebspatienten
Trainingsprogramme, die speziell auf die Bedürfnisse von Krebspatienten abgestimmt sind, sind rar. Die Deutsche Sporthochschule Köln ist jetzt an einem mit sechs Millionen Euro dotierten Forschungsprojekt des EU-Förderprogramms „Horizon Europe“ zu genau diesem Thema beteiligt. Ziel des Projekts ist es, ein personalisiertes und ferngesteuertes Trainingsprogramm für Krebspatienten zu entwickeln und zu evaluieren.
Viele Menschen, die ihre Krebsbehandlung bereits abgeschlossen haben, leiden danach noch immer unter Nebenwirkungen wie Müdigkeit, geringer körperlicher Fitness, Angstzuständen, Nervenschädigungen und depressiven Symptomen. Bewegungsinterventionen haben das Potenzial, diesen Begleiterscheinungen entgegenzuwirken; sie werden bereits als unterstützende Therapien eingesetzt. In der praktischen Umsetzung der Bewegungsprogramme gibt es allerdings noch Verbesserungsbedarf.
Anne May ist Professorin für klinische Epidemiologie am University Medical Center Utrecht (UMCU) und Leiterin des Verbundprojekts, an dem 14 Partner aus sieben europäischen Ländern und Australien beteiligt sind. „In Europa mangelt es sowohl an der Verfügbarkeit als auch an der Zugänglichkeit. Zeitmangel und lange Anfahrten hindern Patienten an der Teilnahme an spezifischen Trainingsprogrammen. Außerdem stellen wir fest, dass das Bewusstsein für diese Programme insgesamt gering ist – auch bei den Gesundheitsdienstleistern“, sagt May. Das PREFERABLE-II-Konsortium will diese Hürden überwinden. PREFERABLE-II steht für „Personalised Exercise Oncology for Improvement of Supportive Care“ (Personalisierte Bewegung in der Onkologie zur Verbesserung der unterstützenden Pflege).
Es wird digital aber unter Aufsicht von Fachpersonal trainiert
Das Projekt schließt an ein bereits laufendes europäisches Projekt zu den Effekten körperlichen Trainings bei Brustkrebspatientinnen während der Therapie an, an welchem die Sporthochschule Köln ebenfalls beteiligt ist. Kern des neuen Projekts ist das sogenannte Live-Remote-Trainingsprogramm – ein personalisiertes Trainingsprogramm, das die Lebensqualität und die wichtigsten Langzeitnebenwirkungen der Krebserkrankungen bzw. –therapien, wie z. B. Müdigkeit, geringe körperliche Fitness, Neuropathie (Nervenschädigung) oder psychische Symptome, lindern sollen. Der Clou: Es wird digital trainiert, aber trotzdem unter Aufsicht von kompetenten Therapeuten. Die Patienten können das Programm zu Hause durchführen und werden über Videos angeleitet.
Trainingsüberwachung durch auf die Haut applizierte Sensoren
ein teil der teilnehmer wird von wissenschaftlern des instituts für kreislaufforschung und sportmedizin der deutschen sporthochschule köln zusätzlich mittels sensoren und entsprechendem live-feedback überwacht. die wissenschaftler stützen sich dabei auf die erfahrungen und erkenntnisse, die sie während der covid-19-pandemie gewonnen haben. „solche sensoren kennen wir aus der klinischen überwachung, allerdings wurden sie bislang noch nicht oder nur sehr bedingt im sportsetting remote genutzt“, sagt pd dr. moritz schumann vom institut für kreislaufforschung und sportmedizin. die sensoren sollen unter anderem die akute belastung und regeneration messen und in echtzeit übertragen, zum beispiel die herzfrequenz, die herzfrequenzvariabilität, die atemfrequenz und die hauttemperatur. die hauttemperatur könne z. b. hinweise auf die körperliche beanspruchung geben. neben der entwicklung des trainingsprogramms sollen auch die sensoren technisch weiterentwickelt werden.
„Letztlich handelt es sich bei dem Sensor um einen Patch, der auf die Haut geklebt wird und dort für sieben Tage ein kontinuierliches Signal über grundlegende Körperfunktionen an einen Server sendet“, so Schumann. „Dieser wird zur-zeit maßgeblich in klinischen Settings eingesetzt, beispielsweise zur ambulanten Überwachung von Patienten, die alleine leben. Die Technik dahinter ist nicht ganz einfach. Letztlich muss man die Signale über Bluetooth an ein Mobiltelefon und dann über das mobile Netz an einen Server senden. Davor schrecken die meisten Hersteller bisher zurück. Im Sportsetting werden daher Echtzeitübertragungen in der Regel nur über Bluetooth an ein Endgerät gesendet, entsprechend ist der Radius beschränkt (~200 m). Im Hochleistungssport gibt es aber schon Ansätze einer Echtzeitüberwachung, dann aber nur als Pilotstudie oder in Wettkampfsituationen.“
Das Training ist abgestimmt auf die Nebenwirkungen
Insgesamt sollen in die Studie 350 Krebspatienten einbezogen werden, wobei 44 an dem sensorgestützten Training mitmachen. Teilnehmen können Patienten, die kürzlich ihre Krebsbehandlung abgeschlossen haben. Das Training umfasst einzelne Module, die spezifisch auf das individuelle Nebenwirkungsprofil zugeschnitten werden. „Das Training besteht aus zwei Teilen“, erklärt Schumann. „Alle Patienten erhalten ein Kraft- und Ausdauertraining und dann in Abhängigkeit der individuellen Nebenwirkungen der Erkrankung bzw. der Therapie ein individuell zugeschnittenes Training. Im Fall von bestehenden Neuropathien kann das z. B. Balancetraining sein, während Patienten, die unter einer ausgeprägten Fatigue-Symptomatik leiden, zusätzliches Ausdauertraining und Yoga durchführen“, so der Wissenschaftler. Die Ausarbeitung des exakten Trainingsprogramms sei allerdings auch Teil des Projekts. „Das Training wird durch qualifiziertes Personal an den Standorten Heidelberg und Köln gesteuert. In der Regel sind das Therapeuten mit Erfahrung im Training onkologischer Patienten.“
Während bislang die meisten Forschungsarbeiten auf eine bestimmte Gruppe von Krebspatienten ausgerichtet waren, richtet sich das jetzige Forschungsprojekt an Überlebende aller Krebsarten. In Deutschland sind an dem Projekt neben der Sporthochschule Köln auch das Deutsche Krebsforschungszentrum und das Universitätsklinikum Heidelberg, die Leibnitz Universität Hannover sowie die Firma Nurogames beteiligt, ein unabhängiger Spieleentwickler und Softwareengineering-Unternehmen, das 2006 in Köln gegründet wurde. „Nurogames entwickelt entsprechende mobile Applikationen, die das Training der Patienten unterstützen, z. B. im Urlaub“, erklärt Schumann. „Die Rekrutierung ist grundsätzlich offen für alle Patienten.“ Da zu Beginn und am Ende Diagnostiken vor Ort in Köln oder Heidelberg durchgeführt werden müssten, biete sich eine Teilnahme von Patienten aus der näheren Umgebung dieser Orte an. Offizieller Projektbeginn ist im November 2022. Die Rekrutierung der Teilnehmer für die Studie startet voraussichtlich Mitte 2023.
Rita Hoogestraat
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