„Mit realistischen Forderungen argumentieren“
Interview mit Ralph Scholz, 1. Vorsitzender des DIFG e.V.
Unter dem Motto #Gesundheit- BrauchtFitness hat der Deutsche Industrieverband für Fitness und Gesundheit e.V. (DIFG) mit einem wissenschaftlich geprüften Sicherheitskonzept an die Politik appelliert, die Fitnessstudios in Deutschland wieder zu öffnen. Warum die Initiative ihre Arbeit mit der teilweisen Wiedereröffnung der Studios noch nicht für beendet ansieht, wie der entwickelte 5-Punkte- Plan aussieht und warum es für die Branche enorm wichtig ist, dass sich alle Studios an die Vorgaben halten, darüber sprachen wir mit Ralph Scholz.
body LIFE: Mit #GesundheitBrauchtFitness hat der DIFG eine Initiative zur verantwortungsvollen Wiedereröffnung von Fitnessstudios initiiert. Wie sieht die Initiative genau aus?
Ralph Scholz: Das Ziel der Industrie und der beteiligten Fitnessstudiobetreiber war es natürlich, ein Stück zur Normalität zurückzukehren, indem die Fitnessstudios wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen. Genauso wichtig ist es uns aber, darauf hinzuweisen, dass dies verantwortungsvoll geschieht, da SARS-CoV-2 eine ernsthafte Bedrohung für die Bevölkerung darstellt und wir alles dafür tun müssen, ein Ansteckungsrisiko zu vermeiden. Deshalb ist für uns die Initiative auch noch nicht abgeschlossen, wenn die Studios wiedereröffnet haben. Corona wird noch viele Monate unser tägliches Leben beeinflussen. Die Initiative #GesundheitBrauchtFitness soll dazu dienen, neue Erkenntnisse zu verbreiten und Studiobetreiber aktuell zu informieren und weiterzubilden.
body LIFE: Wie setzt sich der von euch zur Wiedereröffnung entwickelte 5-Punkte-Plan zusammen?
Ralph Scholz: Dieser 5-Punkte-Plan wurde entwickelt, da wir festgestellt haben, dass sich die meisten nur damit beschäftigt haben, wie die Hygieneund Abstandsregelungen in den Studios aussehen könnten. Die Coronaepidemie ist allerdings nicht nur ein Desinfektionsproblem, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung, die ein anderes Denken erfordert. Deshalb beschäftigt sich der 5-Punkte- Plan nicht nur mit der Ausstattung der Studios, sondern eben auch mit den Themen Mitarbeiterschutz, Information und Handlungsanweisungen für die Kunden, der Prozedurplanung bei dem Auftreten von Verdachtsoder Infektionsfällen und – last not least – dem Umgang mit den sogenannten COVID-19-Risikogruppen. Letzteres ist für mich übrigens heute schon das Unwort des Jahres 2020. Ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen nur noch als Risikogruppe zu bezeichnen, ist aus meiner Sicht eines der fatalsten Ergebnisse der Coronadiskussion.
body LIFE: Teil der Kampagne waren Printanzeigen in der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sowie Online-Werbung auf „bild.de“. Wie fiel die Resonanz seitens der Branche auf die Kampagne und das Konzept aus?
Ralph Scholz: Die Anzeigenschaltung war eigentlich als vorläufiger Schlusspunkt, nicht als Startpunkt definiert. Bereits Anfang April verschickte der DIFG sein Positionspapier und die sich daraus ableitenden Maßnahmen an Entscheidungsträger. Ende April wurde dann das Gutachten zusätzlich genutzt, um für eine „verantwortungsvolle Wiedereröffnung“ zu werben. Die Anzeigen waren Teil der Strategie, mit der wir aufzeigen wollten, dass der Lockdown nicht nur die Infektionszahlen reduziert, sondern auch gesellschaftliche Negativfolgen mit sich bringt. Auch das wurde nicht nur behauptet – wir können jede Zeile der Anzeige mit Studien und/oder statistischen Zahlen belegen. Das Feedback in der Branche war äußerst positiv.
body LIFE: Wie ist das Feedback aus der Praxis von den Studios ausgefallen, die bereits unter Auflagen wiedereröffnet haben?
Ralph Scholz: Die Freude über die Wiedereröffnung war natürlich groß und den meisten war bewusst, dass sie auch eine Vorbildfunktion zu übernehmen hatten. Es zeigt sich aber auch, dass die Anforderungen erst noch gelernt werden müssen und sich das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen lässt: Ein Fitnessstudio heute lässt sich nicht mehr mit einem Fitnessstudio des Jahres 2019 vergleichen. Die Anforderungen sind einfach fundamental andere.
body LIFE: Du hast bereits erwähnt, dass ihr eure Arbeit für noch nicht beendet anseht. Wie sehen die weiteren Schritte der Initiative aus?
Ralph Scholz: Auch wenn alle Studios wiedereröffnet sein werden, sind die wirtschaftlichen Langzeitfolgen für die Fitnessbranche immens. Allein der vergangene zweimonatige Lockdown für alle hat die Branche im Jahr 2020 schon rechnerisch einen Umsatz von knapp 1 Milliarde Euro gekostet. Und keiner kann derzeit so recht abschätzen, wie sich der Lockdown und die nun geltenden Hygieneregeln mittel- und langfristig auswirken – was sie an Mehrkosten verursachen oder wie sich diese Einschränkungen auf die Mitgliederzahlen auswirken. Derzeit sind wir dabei, diese Auswirkungen so valide wie möglich zu berechnen und über Studien und Gutachten zu belegen. Darauf basierend wollen wir ab dem zweiten Halbjahr mit der Politik darüber sprechen, wie effiziente, zielgerichtete Unterstützungsprogramme aussehen sollten. Unser Ziel ist dabei, die Vielfalt innerhalb der Fitnessbranche zu erhalten. Allerdings sollte man realistisch bleiben: Die Fitnessbranche ist nur eine von vielen Branchen, die der Lockdown hart erwischt hat. Ich erinnere nur an die Gastronomie oder Hotellerie. Auch verfügen die Fitnessstudios nach der Wiedereröffnung über reguläre Einnahmen durch den Einzug der Mitgliedsbeiträge – fangen also im Gegensatz zu anderen Branchen nicht wieder bei Null an. Das weiß auch das Finanz- oder Wirtschaftsministerium. Deshalb empfehlen wir allen, klug auf Basis fundierter Zahlen mit realistischen Forderungen zu argumentieren und zugleich keine Erwartungshaltungen zu wecken, die sich nicht erfüllen lassen.
body LIFE: Warum war für euch schnell klar, ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag zu geben?
Ralph Scholz: Wer schon einmal eine Krisensituation bewältigen musste, weiß, wie wichtig es ist, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von seiner Angst treiben zu lassen. Als der Lockdown kam, war sehr schnell klar, dass die Politik Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Daten trifft. Ebenso klar war, dass zwar alle Entscheider glaubten, dass die Infektionsrisiken in Fitnessstudios extrem hoch sind, aber es gab tatsächlich keine gesicherten Erkenntnisse darüber – damit waren der Spekulation und persönlichen Meinung Tür und Tor geöffnet. Deshalb war es eigentlich nur logisch, ein Gutachten bei einem unabhängigen Institut in Auftrag zu geben, um eine realistische Einschätzung der tatsächlichen Risiken vornehmen zu können und entsprechende Gegenmaßnahmen zu empfehlen. Uns war dabei durchaus die Gefahr bewusst, dass die TU München in ihrem Gutachten von einer Wiedereröffnung der Studios hätte abraten können. Aber selbst dann hätte man eine Strategie entwickeln können, wie man die Branche über die Zeit retten kann.
body LIFE: Warum ist es für unsere Branche immens wichtig, dass die Studios zusammenstehen und sich jeder an die Vorgaben bzw. das Konzept hält?
Ralph Scholz: Kein Hilfspaket wird groß genug sein, den Unternehmen die kompletten Verluste auszugleichen, die durch eine Fortführung des Lockdowns entstehen. Deshalb sind alle gut beraten, alles dafür zu tun, aus Studios keine Infektions-Hotspots werden zu lassen. Das muss Konsens in der Branche sein, wenn wir die nächste Infektionswelle überstehen und Teil des Gesundheitssystems sein möchten. Auch die Mitglieder werden nur so gehalten werden können.
Foto: DIFG