Personal gezielt schulen
Trainingswissenschaftliche Kenntnisse vs. praktische Erfahrung
Wie viel wissenschaftliches Fachwissen brauchen Mitarbeiter im Fitnessstudio unbedingt und welche Rolle spielen Fachkenntnisse, die durch langjähriger Erfahrung gewonnen wurden, für die Arbeitsqualität von Trainern?
Spätestens wenn es an die Auswahl verschiedener Fortbildungen oder hausinterner Schulungsmaßnahmen geht, muss man entscheiden, welchen Weg man geht und wie viel man als Betreiber eines Fitnessstudios in welche Maßnahmen investieren will. Dieser Artikel soll Führungskräften helfen, die verschiedenen Potenziale, aber auch die Risiken einer stark wissenschaftlichen Ausrichtung des Fitnessstudios besser einschätzen zu können, um die Personalentwicklung der Mitarbeiter optimal zu gestalten.
„Labor“ und Wirklichkeit
Der Begriff „Labor“ mag ein wenig provokativ und überspitzt sein – letztlich bringt er aber ein generelles Problem auf den Punkt. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus Fall- und Feldstudien lassen sich nicht unbedingt eins zu eins auf die Praxis übertragen. Um die Anforderungen an ein Training in einem wissenschaftlichen Kontext zu verstehen, ist es wichtig, sich mit den sogenannten Gütekriterien auseinanderzusetzen. Dazu gehören Validität, Objektivität und Reliabilität. Kurz gesagt, müssen für die jeweilige Fragestellung aussagekräftige Daten zuverlässig und objektiv gemessen werden. Dies ist in der wissenschaftlichen Praxis häufig schwierig. Genauso anspruchsvoll ist ein Studiendesign, das letztlich auch inferenzstatistisch zu einem belastbaren Ergebnis führt. (Anm. der Redaktion: Die Inferenzstatistik ist ein Teilgebiet der Statistik, das verschiedene Analyseinstrumente verwendet, um aus Stichprobendaten Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit zu ziehen. Für eine gegebene Hypothese über die Grundgesamtheit verwendet die Inferenzstatistik eine Stichprobe und gibt einen Hinweis auf die Gültigkeit der Hypothese ausgehend der erhobenen Stichprobe.) Gerade in der Statistik gibt es verschiedene Möglichkeiten der Datenauswertung, dabei besteht allerdings stets der wissenschaftliche Anspruch auf eine möglichst „sichere“ Aussage.
Das Problem ist die Komplexität. Nur weil etwas in der Praxis funktioniert, ist dies nicht zwingend ein wissenschaftlicher Beweis. Es ist z. B. möglich, dass eine Veränderung wie z. B. Muskelzuwachs so gering ausfällt, dass eine völlig unrealistische Zahl an Probanden benötigt werden würde, um diesen Effekt aussagekräftig nachzuweisen. Gleichzeitig gilt aber auch andersherum, dass eine in der Theorie „bewiesene“ Maßnahme in der Praxis auch nicht immer zwingend funktioniert. Häufigster Grund für die Abweichungen sind interdisziplinäre Ansätze und multifaktorielle Herangehensweisen. So mag für den Trainingsneuling eine bestimmte Methode die vielversprechendste sein – sollten aber die entsprechenden Geräte, die Zeit oder die Motivation des Ausführenden nicht gegeben sein, so lässt sich eine Trainingsmaßnahme nicht umsetzen. Auch „entwächst“ ein Sportler mit zunehmender Leistungsfähigkeit der repräsentativen Probandengruppe. Wurden sie noch als Trainingsneulinge rekrutiert, sind sie im weiteren Verlauf des Trainings schon nicht mehr untrainiert. Letztlich gibt es viele Aspekte, die ein wissenschaftliches Set-up von einem realen unterscheiden.
Wissenschaft in der Lehre
Fort- und Weiterbildungen sollten grundsätzlich auf drei Säulen aufgebaut sein. Nennen wir die erste „anatomisch- physiologisches Verständnis“. Hierbei geht es zum Beispiel um verschiedene Positionen (z. B. Kniestand vs. halber Kniestand) und wie sich dadurch Hebel, Winkel sowie die Muskelund Faszienspannung verändern. All dies hat Einfluss auf den Übungscharakter. Viele Übungsschwerpunkte lassen sich so auch konkretisieren, indem beispielsweise gewisse Synergisten durch Vorverkürzung weniger aktiviert werden. Diese wissenschaftliche Vorgehensweise ist aber aus oben genannten Gründen nicht bei allen Übungsvariationen möglich. Trotzdem oder gerade deswegen sind anatomisch-physiologische Grundkenntnisse ganz entscheidend dafür, wie gut ein Trainer bzw. Therapeut bei seiner Arbeit tatsächlich ist.
Die zweite Säule ist die angesprochene Wissenschaftlichkeit. Gute Fortbildungen zeigen an verschiedenen Stellen, dass die an die Teilnehmer kommunizierten Inhalte entweder in verschiedenen Studien belegt oder zumindest an diese angelehnt sind. Das können zum einen komplette Trainingsmethoden im Kraft- und Ausdauerbereich sein oder auch nur einzelne nachgewiesene Adaptationsmechanismen. Die dritte Säule sind die Erfahrungswerte, die nicht zwingend ein wissenschaftliches Pendant haben müssen. Oft sind es gerade die jahrelange Arbeit und die analytische Auseinandersetzung damit, die einen guten Trainer ausmachen. In der Praxis zeigt sich, dass eine gut protokollierte und reflektierte Arbeitsweise mit entsprechenden Erfahrungswerten häufig in konkreten Fragestellungen für wissenschaftliche Studien transferiert werden kann. Nicht selten belegen die konkret und zielgerichtet gestalteten Untersuchungen dann eine bisher rein intuitive bzw. erfahrungsorientierte Arbeitsweise aus der Praxis.
Das richtige Maß in der Ausbildung
Die dargestellten Beispiele zeigen, wie sich Wissenschaft und Praxis zum einen konträr gegenüberstehen, sich zum anderen aber auch gegenseitig befruchten und ergänzen können. Insofern sind beide Ansätze sicherlich legitim, sollten aber bis zu einem gewissen Maß von der jeweils anderen Seite abgedeckt sein und begleitet werden. Dies gilt auch für die Auswahl der Fortbildungsmaßnahmen. Andersherum – und das ist meistens der Fall – ergänzen Fortbildungen mit neuen Erfahrungswerten den bereits vorhandenen Erfahrungsschatz.
Wissenschaft ist nicht gleich Wissenschaft
Viele Fortbildungseinrichtungen werben mittlerweile mit wissenschaftlichen Ansätzen, die sich allerdings für den Außenstehenden nur schwer nachvollziehen lassen. Ein gewisser wissenschaftlicher Standard in den Fortbildungen und eine trainingswissenschaftliche Ausbildung sollten sicherlich einen gewissen Qualitätsanspruch haben. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Interpretationen davon, was „evidenzbasiert“ und „wissenschaftlich“ ist. Die Qualität einer Studie lässt sich von einem Laien nur schwer beurteilen.
Erfahrung kombiniert mit Trainingswissenschaft
Wer qualifizierte Trainer auf der Gerätefläche haben möchte, sollte also auf eine trainingswissenschaftliche Ausbildung sowie auf Erfahrungswerte und spezifische Fachkenntnisse von Trainern setzen. Eine „wissenschaftliche Ausbildung“ kann viel bedeuten. So sind Trainingsmethoden aus den 1980er-Jahren heutzutage häufig überholt oder verändert. „Alte“ Ansätze müssen nicht zwingend per se schlecht sein, allerdings hat sich durch die fortschreitenden Möglichkeiten der Wissenschaft der ein oder andere kausale Zusammenhang, der als Grundlage einer Trainingsmethode galt, als falsch herausgestellt. Für einen Laien ist es schwierig, bei der Vielzahl der Studien und der Ansätze unter Berücksichtigung der multifaktoriellen und interdisziplinären Inhalte des Trainings den Überblick zu behalten – sowohl themenspezifisch als auch in der Auswahl der richtigen Fortbildungsmaßnahmen und -inhalte.
Fazit
Die Kombination von Wissenschaft und Erfahrungswerten ist der entscheidende Faktor bei der Qualifikation von Trainern. Ein guter Wissenschaftler sollte stets die Praxis und ein Praktiker die Wissenschaft im Blick haben. Der Austausch und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind Grundlage für eine belastbare Weiterentwicklung der Sportwissenschaft und Trainingslehre, ohne dass man den Bezug zur Praxis verliert oder in dieser fälschlicherweise einer einzigen, unflexiblen Ideologie folgt. Wählen Sie die Themen und Referenten für die Weiterentwicklung Ihrer Mitarbeiter deshalb gut aus. So oder so ist im Regelfall auf eine direkte Anwendbarkeit des Gelernten Wert zu legen, da man so schnell ein Gefühl dafür bekommt, ob die neuen Kenntnisse in den Arbeitsalltag passen und wie sie sich dort auswirken.
Dr. Lutz Herdener
Dr. Lutz Herdener
beschäftigt sich mit dem Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Trainingspraxis. Seine Schwerpunkte liegen neben der Trainingsplanung auf der Entwicklung präventiver und rehabilitativer Konzepte sowie auf Regenerationsstrategien.
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