Smart und ohne Personal
Personallose Studios: Servicewüste oder zukunftsfähig?
Ein neues Studiokonzept mischt den Fitnessmarkt auf. Die voll digitalisierten Clubs kommen ohne Personal aus und katapultieren den Fitnessmarkt in die Ära des Selbstbedienungsladens. Wie sehen solche Konzepte aus, welche Vor- und Nachteile haben sie, sind sie ernst zu nehmende Konkurrenten und können sie sich zukünftig am Markt behaupten?
Ganz ohne Personal betrieben, öffnen die Kunden die Eingangstüren zu den neuen smarten Clubs einfach selbst, und zwar mithilfe von Apps auf dem Smartphone, Codes per SMS oder Transponderchips. Wie im Supermarkt bedient sich der Kunde jetzt selbst; das spart Personal und damit Kosten. In Zeiten der Kostenexplosion bei den Energiepreisen eine gute Strategie. Dank digitaler Anwendungen wie Apps auf dem Smartphone können sich die Mitglieder nicht nur selbst die Tür öffnen und einchecken, sondern auch Duschen, Solarien, Kältekabinen oder Videos on demand selbst bedienen. Die Preise sind für die Nutzer moderat, der Service beschränkt sich in der Regel auf aufgestellte Getränkeautomaten. Ein besonders interessantes Konzept kommt aus Singapur.
„Gym Pod Asia“, Singapur
Der Gang ins Fitnessstudio kann eine einschüchternde Angelegenheit sein, vor allem dann, wenn man wie der Gründer des Unternehmens „Gym Pod Asia“, Damian Chow, selbst schüchtern und introvertiert ist. Er fand es als Neuling schwierig, neben stämmigen Männern zu trainieren, die schwere Gewichte stemmten. „Ich mochte keine öffentlichen Fitnessstudios – die Menschenmenge hat mich verunsichert. Aber regelmäßiger Sport ist für mich wichtig, weil er meine Produktivität und Kreativität bei der Arbeit steigert“, sagt Chow. „Ich habe mit dem Heimtraining begonnen, war aber durch den Mangel an Geräten und Platz stark eingeschränkt.“ So entstand die Idee zu „The Gym Pod“, einem komplett ausgestatteten Minifitnessstudio in einem umgebauten Schiffscontainer. Jeder „Gym Pod“ verfügt über Cardio- und Kraftgeräte sowie eine Hantelbank mit freien Gewichten. Die zu mietenden Container gibt es mit unterschiedlichem Inhalt. Neben der Standardausstattung gibt es „Pods“ speziell für Functional Training und „Spin Pods“, in denen virtuelle Cycling-Kurse abgerufen werden können. Mittlerweile verfügen die neueren „Pods“ auch über interaktive Bildschirme, auf denen die Nutzer Tutorials ansehen und virtuell mit Fitnessprofis trainieren können. Die genaue Kombination der Geräte variiert je nach Standort. Detaillierte Beschreibungen vom Inhalt eines „Pods“ finden Kunden in der zugehörigen „Gym Pod“-App. Via App wird der Container auch gebucht; dabei kann man den „Pod“ ganz für sich allein, mit Freunden oder einem Personal Trainer buchen. Auch eine Buchung pro Person ist in der App möglich – dann kann man erlauben, dass weitere Personen in demselben Zeitraum den „Pod“ mit einem teilen. Das Konzept richtet sich an eine junge Zielgruppe, die große Menschenmengen scheut und lieber unter sich bleibt. Das digitale Buchungssystem ist durchdacht und extrem flexibel. Die „Pods“ können schon ab einer Trainingszeit von 30 Minuten gebucht und die Tür zu Beginn der gebuchten Startzeit via App auf dem Smartphone geöffnet werden. Kurz vorher werden ganz automatisch in dem Container das Licht und die Klimaanlage eingeschaltet. Sobald das Training beendet ist, werden Licht und Klimaanlage auch automatisch wieder ausgeschaltet. Mittlerweile stehen auch schon Container in Chicago. In Deutschland gibt es zwar noch keine Angebote in Schiffscontainern, aber bereits die ersten smarten Clubs, die ohne Personal auskommen. Ganz neu ist das „twentyfour gym“ in Ludwigsburg.
„twentyfour gym“, Ludwigsburg
Auf dem einstigen Fabrikgelände der für ihre Kühlschränke bekannten Firma Eisfink und des Maschinenbauers Hüller Hille, dem heutigen „urbanharbor district“, hat Philipp Maier im Juni 2022 eine klimaneutrale, komplett digitale Fitnessanlage eröffnet, die rund um die Uhr geöffnet ist und ohne Personal auskommt. Um CO2 einzusparen, wird Energie durch Photovoltaikanlagen erzeugt. Ein vernetztes, intelligentes und cloudbasiertes System ermöglicht eine zielgenaue und hocheffiziente Nutzung von Luft- und Energieströmen. „24 Stunden sollte der Club geöffnet sein, komplett automatisiert, ohne Personal, ab einem Monatsbeitrag von 29,90 Euro und mit Dienstleistungen, die zusätzlich mit Aufpreis zu buchen sind“, sagt Maier. Alle Geräte funktionieren ohne Strom. Ausgestattet ist die Anlage mit dem Besten, was Life Fitness und Hammer Strength zu bieten haben. Recycelte Bodenbeläge und nachhaltige Materialien sowie Designklassiker runden das Konzept ab. Neben diesem nachhaltigen High-End- Konzept gibt es in Deutschland mittlerweile weitere Angebote, wie z. B. den „Remote-Club“ und „Gym10“.
Kameraüberwacht und mit Protein-Shake-Roboter
Die Geschäftsführer der Remote Fitness Club GbR, Chris Neve und Oliver Fischer, betreiben mit ihren „Remote-Clubs“ ebenfalls personallose, smarte Fitnessstudios. Ihren ersten Club eröffneten sie in Heilbronn. Mittlerweile sind einige Anlagen dazugekommen und die Geschäftsführer wollen weiter expandieren. So sind Standorte in der Schweiz, in Spanien und in den Niederlanden angedacht. 150 Studios wollen die Clubbetreiber bis 2031 am Markt etablieren. Im „Remote-Club“ öffnen sich die Türen mittels QR-Code und Transponder. Der gesamte Trainingsbereich ist kameraüberwacht. Laut Fischer kann so bei einem Unfall sofort ein Krankenwagen gerufen werden. Über die Zentrale können Eingang, Lichtanlage, Solarien und die Automaten gesteuert werden. An den Geräten erhalten die Kunden per Code über das Smartphone Zugang zu Erklärvideos. Per Transponder können Solarien, ein Protein-Shake-Roboter, Getränke- und Riegelautomaten bedient und Trainer auf Wunsch zusätzlich gebucht werden. Die Geschäftsführer setzen mit 6,66 Euro pro Woche allerdings nicht gerade Kampfpreise an, denn sie liegen mit ihrem Preis teilweise über den Angeboten von Discountern, die dafür allerdings noch Personal und Service bieten. Der Betrag von 6,66 Euro wöchentlich gilt auch nur bei einer Laufzeit von 24 Monaten. Zusätzlich wird pro Quartal noch eine Servicepauschale von 29,90 Euro fällig. Bei einer Vertragslaufzeit von zwölf Monaten sind es schon 7,77 Euro pro Woche und es ist ebenfalls eine quartalsweise Servicepauschale von 29,90 Euro fällig. Das entspricht in etwa einem monatlichen Beitrag von 44,92 Euro.
Gebucht wird ausschließlich online
Die Gym10 Fitness GmbH mit Sitz in Augsburg bietet mit ihrem personallosen Konzept Minimalismus zu günstigen Preisen. Gebucht wird die Mitgliedschaft auch hier ausschließlich online. Bei „Gym10“ bekommen die Kunden den Zugangscode für die Studios per SMS. Der Geschäftsführer Thomas Nath setzt auf Videos statt auf Trainer. Die Kunden können sich auf Youtube die Funktion der Trainingsgeräte und die Übungsausführung erklären lassen. Der Zugang erfolgt über eine Chipkarte. Monatlich kostet das Training in den spartanischen Studios nur 14,90 Euro – ein echter Kampfpreis, bei dem sich die Frage stellt, ob das tatsächlich rentabel sein kann. Mittlerweile gibt es allerdings 19 Filialen und in der Zentrale in Amberg werden alle Filialen per Kamera überwacht. Zusätzlich können Kunden per Notruftaste Hilfe rufen und werden im Extremfall an die Polizei weitergeleitet.
Pro & Contra
Vorteile sind niedrige Kosten durch die Automatisierung und Personaleinsparungen, die flexiblen Öffnungszeiten von 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr sowie der für Kunden niedrigere Preis. Diesen Vorteilen stehen allerdings auch Nachteile gegenüber. Personallose Studios sind für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen aufgrund der mangelnden Trainingssicherheit und der nicht vorhandenen Betreuung nicht zu empfehlen. Da einfach drauflostrainiert werden kann, ist die Verletzungsgefahr höher und es besteht das Risiko, dass Übungen falsch ausgeführt werden oder die Trainingsbelastung zu hoch ist. Zwar können bei vielen Anbietern Trainingseinweisungen als Add-on gebucht werden, ein Trainer als Ansprechpartner vor Ort fehlt aber. Da kein Personal vor Ort ist, ist man auf sich allein gestellt. Wer gesund ist und zugunsten niedriger Preise auf Service verzichten kann, wird sich von diesen Angeboten angesprochen fühlen.
Ganz ohne Personal kommen die smarten Anlagen aber auch nicht aus. Für die Reinigung und die regelmäßige Wartung ist Personal nötig, aber auch für die Überwachung per Kamera. Eine Kameraüberwachung, bei der sich niemand die Bilder ansieht, lädt zu Vandalismus ein. Jemand muss die Anlage also live überwachen, um im Notfall Polizei, Feuerwehr und/oder einen Krankenwagen zu rufen. In manchen personallosen Studios gibt es zumindest zusätzlich Panikknöpfe, um schnell Hilfe zu rufen. Bei der Kameraüberwachung sind wir dann auch schon beim Thema „Datenschutz“. Hier werden Menschen während des Trainings gefilmt. Das bedarf der Zustimmung der Nutzer. Sensible Bereiche wie Duschen dürfen gar nicht überwacht werden. Dasselbe gilt für die Zugangskontroll- Apps. Sie sind wahre Datenkraken, die nicht nur den Zugang zu den Studios regeln, sondern auch jede Menge Daten erfassen und sammeln. Eine Privatsphäre hat man hier nicht.
Fazit
Noch sind die Nischenanbieter selten. Ihre zukünftige Entwicklung wird zeigen, ob sie sich am Markt durchsetzen und behaupten können. Steigt die Zahl der Anbieter, wird der Preis zwangsläufig etwas reduziert werden müssen, denn die Hauptzielgruppe sind junge, gesunde Menschen, die wenig Geld zur Verfügung haben. Wer sich Service und Kundenansprache sowie ein sicheres zielführendes Training und soziales Miteinander wünscht, ist bei den komplett digitalisierten Studios nicht an der richtigen Adresse. Entsprechend sind die Clubs keine Konkurrenz für Premiumanlagen mit medizinischer Ausrichtung. Für Discounter, die erst unter Corona gelitten haben und zurzeit mit hohen Energiekosten kämpfen, sind die personallosen Clubs allerdings eine ernst zu nehmende Konkurrenz, sofern sie im Preis unter den Discountern liegen. Punkten können solche Clubs immer dann, wenn sie wie in Singapur kosteneffizient und mit einem gewissen Coolnessfaktor sowie einer individuellen Einzelnutzung neue Zielgruppen ansprechen.
Rita Hoogestraat
Foto: „twentyfour gym”, Lugwigsburg