Studioschließungen haben geschadet
Interview mit Dr. Martin Marianowicz, Orthopäde im Marianowicz Zentrum in München und in der Privatklinik Jägerwinkel am Tegernsee
„Dass die Fitnessstudios während der Krise geschlossen wurden, ist katastrophal“, sagt Dr. Martin Marianowicz im Interview. Der Orthopäde kooperiert mit zahlreichen Fitnesscentern und weiß um ihre Wichtigkeit in der Gesellschaft. Studiobetreiber sollten seiner Meinung nach viel mehr mit Ärzten zusammenarbeiten, um von der Gesellschaft als Gesundheitsanbieter wahrgenommen zu werden.
body LIFE: Wo sehen Sie die Gefahren der Coronakrise für die Gesundheit der Menschen – gerade in Bezug auf die vorübergehende Schließung der Fitnessstudios?
Dr. Martin Marianowicz: Dass die Studios vorübergehend geschlossen wurden, ist aus meiner Sicht eine absolute Katastrophe und es hat den Menschen gesundheitlich sicherlich sehr geschadet. Die Volksgesundheit ist sehr wichtig und sie wurde durch die Schließung der Studios rücksichtslos zurückgefahren. Welche Langzeitschäden dadurch entstanden sind, kann ich noch nicht abschätzen. Die Politik hätte von Anfang an die Studios offen lassen müssen – natürlich unter bestimmten Hygieneverordnungen. Man kann in einem Studio sehr gut mit zwei Metern Abstand trainieren.
body LIFE: Welche Rolle bzw. welchen Stellenwert sollten Fitnessstudios in der Gesellschaft haben?
Dr. Martin Marianowicz: Wir brauchen die Fitnessstudios in unserer durch Zivilisationskrankheiten gefährdeten Gesellschaft und die Clubs sind leider immer noch eine absolut unterschätzte und viel zu wenig genutzte präventive Option. Ärzte sagen ihren Patienten immer: „Beweg dich und iss nicht zu viel“, aber das muss man doch auch unterstützen! In Deutschland leidet jeder zweite Bundesbürger unter Bluthochdruck. Man kann ihm entweder Tabletten geben oder ihn zur Bewegung animieren. Bei Letzterem muss man aber den Menschen die Möglichkeit bieten, dies auch zu tun, und zwar unabhängig vom Alter. Bewegung im Freien reicht dabei nicht aus. Es geht auch darum, Muskeln gezielt aufzubauen. Dazu brauchen die Menschen ein Fitnessstudio, das sie anleitet.
body LIFE: Wo muss die Politik ansetzen, damit Fitnessstudios Gehör finden und mehr Menschen die Studios als Gesundheitscenter wahrnehmen? Und was können die Betreiber selbst dafür tun?
Dr. Martin Marianowicz: Zunächst müssten die Krankenkassen Patienten und präventionsbewusste Menschen viel mehr unterstützen. Es gibt ja bereits die bezuschussten §20-Kurse, aber das reicht meines Erachtens nicht. Die Studios selbst sollten seriös auftreten und sie dürfen keine Heilversprechen machen. Gerade Kooperationen mit Ärzten helfen sehr weiter, um ernster genommen zu werden. Wenn ein Studiobetreiber sagt: Wir trainieren in Abstimmung mit Ärzten oder nach einer bestimmten Therapiemethode, dann kommt das bei vielen gut an. Das würde ich, wenn ich ein Fitnessstudio betreiben würde, ganz klar hervorheben. Allerdings sollte man die Formulierung vorher juristisch klären, damit man nichts Falsches sagt beziehungsweise verspricht. Ich empfehle jedem Betreiber, auf Ärzte zuzugehen. Fast jeder Arzt braucht für die Nachsorge seiner Patienten eine Bewegungstherapie – Fitnessstudios bieten hier ungeahnte Möglichkeiten. Die Studios können hier neue Geschäftsbereiche aufbauen.
body LIFE: Welche weiteren Vorteile ergeben sich, wenn Studios und Ärzte kooperieren – sowohl für die Studios und Ärzte als auch für Patienten?
Dr. Martin Marianowicz: Für Fitnessstudios eröffnen sich völlig neue Zielgruppen. Das sind nicht nur Patienten mit orthopädischen Problemen, sondern auch beispielsweise solche mit neurologischen Erkrankungen, wie Multipler Sklerose, oder kardiologischen Erkrankungen, wie einem Herzinfarkt. Es gibt zahlreiche Beschwerden, für die die Bewegung in der Therapie eine zentrale Rolle spielt. Ohne Bewegung gibt es keine Heilung und kein Medikament verlängert die Lebenserwartung so sehr, wie es Bewegung tut. Auch präventionsbewusste Menschen können durch eine Kooperation mit Ärzten den Weg in die Fitnessstudios finden.
Wenn ich aus ärztlicher und speziell aus orthopädischer Sicht spreche, so ist hier die Nachbehandlung von zum Beispiel Rücken- und Gelenksleiden ein großes Thema. Gerade wenn man konservativ, das heißt ohne Operation behandeln möchte, sind die Fitnessstudios in der Nachsorge essenziell. Patienten gehen natürlich auch zum Physiotherapeuten, aber diese Zeit ist begrenzt. Das Fitnessstudio bietet die Möglichkeit, die Nachsorge beziehungsweise die Prävention kontinuierlich zu verfolgen.
Für Patienten liegen die Vorteile darin, dass sie von einem Trainer professionell angeleitet werden. Sport im Freien ist zwar gut, aber gerade das gezielte Training ist in der Prävention und in der Therapie von zahlreichen Erkrankungen sehr wichtig.
body LIFE: Kann möglicherweise sogar das Gesundheitssystem entlastet werden?
Dr. Martin Marianowicz: Ja, definitiv. Was die Vergütung von Physiotherapie angeht, ist das System eher auf dem Rückzug – es wird einfach nicht mehr so viel Krankengymnastik verschrieben wie früher. Und es ist auch gar nicht die Aufgabe eines Physiotherapeuten, einen Patienten ein Leben lang zu begleiten. Nehmen wir das Beispiel eines Bandscheibenvorfalls: Der Patient bekommt dreimal eine Physiotherapie verschrieben. Danach liegt es in seiner Verantwortung, etwas für die Sekundärprävention zu tun und zu verhindern, dass der Bandscheibenvorfall oder eine andere Erkrankung erneut auftritt.
Geht der Patient jetzt in ein Fitnessstudio, kann er unter Anleitung gezielt seinen Rücken trainieren, und zwar sein Leben lang. Fitnesscenter sind quasi eine Hilfe zur Selbsthilfe und sie geben uns Ärzten die Möglichkeit, eine kontinuierliche Therapie und Prävention anzuleiten. Wenn man es richtig angeht, können Fitnessstudios das Gesundheitssystem also definitiv entlasten.
body LIFE: Welche Fitnessstudios empfehlen Sie persönlich Ihren Patienten? Und müssen die Studios irgendetwas beachten, wenn sie mit Ärzten kooperieren?
Dr. Martin Marianowicz: Ich persönlich bin ein Fan der kleineren, inhabergeführten Studios und nicht der großen Ketten. Deshalb schicke ich meine Patienten auch nur in inhabergeführte Clubs. Diese sind in ihrer Handhabung viel flexibler, die großen Ketten hingegen unterliegen starren Strukturen. Für eine erfolgreiche Kooperation benötigt man aber sowohl vonseiten des Studios als auch vonseiten des Arztes eine große Flexibilität. Ich habe das Gefühl, dass in den individuell geführten Studios die Trainer sehr daran interessiert sind, dazuzulernen.
In unserer Praxis handhaben wir Kooperationen folgendermaßen: Die Trainer der Fitnessstudios, die wir empfehlen, hospitieren bei uns. Danach wissen sie, was sie bei Patienten, die zum Beispiel an der Hüfte oder am Rücken operiert wurden, beachten müssen, und sie können ein darauf abgestimmtes individuelles Training anbieten. Auch ich lerne durch die Zusammenarbeit mit den Trainern immer noch viel dazu.
Die Kooperation mit Ärzten basiert auf Vertrauen und es gibt keine rechtlichen Rahmenbedingungen. Allerdings darf ein Arzt seine Patienten nicht an ein Studio überweisen, sondern er darf es nur empfehlen.
body LIFE: Was sollten Fitnessstudios auf keinen Fall tun?
Dr. Martin Marianowicz: Sie dürfen zum einen nicht ihre Kompetenzen überschreiten. Zum anderen sollten sie, wenn sie mit einem Arzt kooperieren, keine finanziellen Verabredungen treffen, denn das würde gegen das Antikorruptionsgesetz verstoßen. Die Kooperation sollte entstehen, weil man gemeinsam der Überzeugung ist, den Patienten helfen zu können.
Studiobetreiber dürfen auch nicht postulieren, dass sie medizinisch arbeiten. Besser ist es, Worte wie „präventiv“
zu nutzen.
body LIFE: Vielen Dank für das Interview!
Foto: Daniel Schvarcz