Training in Corona-Zeiten
Interview mit Dr. Jens Freese vom Institut für Sport-, Stress und Ernährungsimmunologie
Ist es zur Zeit für nicht infizierte Personen generell sinnvoll, sich sportlich zu betätigen?
Absolut sinnvoll. Sportmediziner haben vor ein paar Tagen schon davor gewarnt, dass in der Pandemie-Phase mehr Leute an Inaktivtät sterben könnten als an dem SARS-CoV-2 Virus selbst. Die kardiorespiratorische Fitness jetzt hochzuhalten, ist essentiell, d.h. lebensnotwendig und antiviral, weil sie die Funktionsfähigkeit der Mitochondrien erhält. Und Mitochondrien sind bekanntlich die Kraftwerke der Zelle.
Ich habe die Daten aus Italien und China genau unter die Lupe genommen. 99% der Sterbefälle sind Menschen mit 1-3 Vorerkrankungen. Diese kosten sie so viel Energie, dass für die Virusabwehr im Immunsystem kaum mehr Energie übrigbleibt. Und für die Energieproduktion braucht es bekanntlich Mitochondrien. Inaktivität baut Mitochondrien ab. Zudem verbessern Kraft- und Ausdauertraining die Immunfunktion, wie ich auch in meinem Corona Protection Guide näher erläutert habe. Die natürlichen Killerzellen werden aktiv. Das hat mein Doktorvater schon vor über 30 Jahren belegt. Und diese speziellen Immunzellen sind nicht nur für virale Erreger zuständig, sondern auch für die Beseitigung entarteter Zellen (Stichwort Krebs!). Ein doppelt und dreifacher Nutzen.
Dürfen Personen, die zu den Risikogruppen für schwere Infektionsverläufe gehören, gerade Sport machen?
Natürlich dürfen sie das. Sollten sie sogar. Am besten wäre es jetzt, sich schnell noch ein Standfahrrad anzuschaffen. Ich habe gerade noch eine Langhantel geordert, weil wir ja nicht ins Studio können. Viele Personal Trainer bieten Online Coaching an zur individuellen Trainingssteuerung. Beim Bundesverband Personal Training e.V. können sich Interessierte, die ihr Fitnesslevel nicht kennen, professionelle Beratung einholen.
Outdoor ist natürlich noch viel besser. Und noch besser aus immunologischer Sicht ist Sport/Bewegung im Wald bzw. in einem grünen/natürlichen Umfeld. Allerdings alleine bzw. mit dem zwei Metern Sicherheitsabstand (Trainingspartner oder Personal Trainer) und möglichst bei moderater Umgebungstemperatur (Temperaturen unterhalb von 10°C erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Entzündungsreaktion im Rachenraum). Und nicht zu intensiv, wenn man untrainiert ist. Trainierte sollten in jedem Fall auch intensive Parts einbauen, wie Sprünge, Treppenläufe etc.
Gibt es Studien oder Erfahrungswerte, ob (Ausdauer-)Sportler weniger starke Infektionsverläufe aufweisen bzw. seltener unter gravierenden Lungenproblemen leiden?
Intensitätsabhängig gibt es Unterschiede in der Wahrscheinlichkeit, sich eine Atemwegserkrankung einzufangen (die nicht zwingend viralbedingt sein muss. Ausdauersportler, vor allem Frauen, sind häufiger betroffen. Das Phänomen des Open Windows, also die Immunsuppression nach intensivem Sport, wird gerade allerdings in der Sportimmunologie kontrovers diskutiert (siehe Simpson 2020). Bzgl. gravierenden Lungenproblemen ist mir keine Untersuchung bekannt.
Gibt es Mittel, um das Immunsystem noch kurzfristig zu stärken?
Kurzfristig können jetzt (am besten nach einer umfassenden Diagnostik über z.B. eine Vollblutanalyse) immunrelevante Mikronährstoffen wie Vitamin D, Vitamin C, Zink, Selen das Immunsystem gegen den SARS-CoV Virus massiv unterstützen. Ich gebe hierzu in meinem CORONA PROTECTION GUIDE viele Anregungen und wissenschaftliche Hintergründe, wie ein starkes Immunsystem jetzt noch aufgebaut werden kann. Denn der Virus ist nicht in 2 Wochen verschwunden. Wir müssen mit einem Rebound rechnen, d.h. die Infektionswelle geht im Herbst wieder explosionsartig hoch, weil die Leute wieder unachtsamer werden und der Vitamin D Spiegel sinkt.
Andere Quick-wins sind eine gute Schlafhygiene sowie ein gesunder und stressfreier Umgang mit der Hysterie, die gerade in den Medien verbreitet wird. Part Time-Digital Detox ist keine schlechte Sache. Sich zumindest phasenweise von der Panikmache abzukoppeln, indem man sein Smartphone bei einer Bike-Tour zu Hause lässt, beruhigt das Stresssystem. Angst wirkt wie eine Immunsupression. Darauf wurde gerade von chinesischen Ärzten auch in einer aktuellen Publikation hingewiesen.
Was sollten Sportler aktuell bei der Trainingsplanung beachten?
Wenn die Möglichkeit besteht, sollten sich ambitionierte Sportler sportartspezifisch fit halten. Ich bin mit den von mir betreuten Athleten weltweit in Kontakt. Jeder hat gerade sein eigenes Konzept. Der eine trainiert auf der Rolle im Keller, der nächste hat sich eine Sprungkraftparcour auf der Terrasse aufgebaut, die Fußballer bekommen von den Athletik-Coaches ihrer Vereine Videocoaching für die Wohnstube und ihren den Garten. Gerätehersteller liefern Spinning Bikes nach Hause, damit die Teamsportler im Rhythmus bleiben. Dieser Artikel bringt etwas Licht in den Tunnel:
https://www.dw.com/de/sportwissenschaftler-lars-donath-die-sportler-rennen-auf-der-stelle/a-52871166
Ist es sinnvoll weiter zu trainieren, wenn ein Sportler den Verdacht hat, infiziert zu sein?
Das kommt ganz darauf an, wie sich die Symptome äußern. Man sollte dabei wie bei jeder anderen Krankheit vorgehen. Aufgrund der aktuellen Lage und dem Schutz anderen gegenüber sollte man sich sofort testen lassen, falls Verdacht auf Corona besteht. Bei unspezifischen Krankheitssymptomen wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit oder Fieber nicht weitertrainieren, um z.B. keine Herzmuskelentzündung zu riskieren. Bei trockenem Husten (ein Kardinalsymptom bei Corona) ebenfalls herunterfahren. Es muss unbedingt verhindert werden, dass der Virus in die Lunge übertritt und dort eine Lungenentzündung auslöst. Die Verwendung von Enzündungshemmern scheint ebenfalls eine schlechte Idee zu sein, wie chinesische Ärzte aus Wuhan berichtet haben.
Wann und mit welcher Intensität können Sportler, die eine Corona-Infektion durchgemacht haben, wieder ins Training einsteigen?
Wann: Es zeigt sich an Untersuchungen bei Menschen, die Corona durchgestanden haben, dass wir nach 7-8 Tagen Antikörper gegen das Virus aufbauen. Nach 13-14 Tagen ist die Infektion durchgestanden. Dann würde ich wieder langsam mit leichtem Ausdauertraining beginnen.
Welche Intensität: Das kommt erstens auf die Leistungsfähigkeit des Sportlers an, zweitens auf die Sportart, die durchgeführt wird und drittens auf die Dauer der Infektion bzw. Trainingspause an. Nach überstandener Infektion sollte man sich allmählich wieder herantasten und ausprobieren, was möglich ist. Je nach Pause macht es Sinn, mit einem Minus von 20% vom Ist-Zustand vor der Infektion wieder in das Training zu starten. An seinem Erschöpfungsgrad kann man messen, ob die Dosis passt. Denn bekanntlich macht die Dosis ja das Gift. Sobald sich das Immunsystem wieder beruhigt hat (erkennbar am Energielevel und der steigenden Motivation), kann die Intensität wieder stufenweise erhöht werden.
Link zum Corona Protection Guide:
https://dr-freese.com/corona-protection-guide/
Literatur:
- Proschinger, Sebastian, and Jens Freese. 2019. “Neuroimmunological and Neuroenergetic Aspects in Exercise-Induced Fatigue.” Exercise Immunology Review 25 (1): 8–19. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30753129.
- Simpson, Richard J., John P. Campbell, Maree Gleeson, Karsten Krüger, David C. Nieman, David B. Pyne, James E. Turner, and Neil P. Walsh. 2020. “Can Exercise Affect Immune Function to Increase Susceptibility to Infection?” Exercise Immunology Review 26 (March): 8–22.
- Kaminsky, Leonard A., Ross Arena, Theresa M. Beckie, Peter H. Brubaker, Timothy S. Church, Daniel E. Forman, Barry A. Franklin, et al. 2013. “The Importance of Cardiorespiratory Fitness in the United States: The Need for a National Registry: A Policy Statement from the American Heart Association.” Circulation 127 (5): 652–62. https://doi.org/10.1161/CIR.0b013e31827ee100.