Augmented Reality
Neue digitale Konzepte verändern das Indoor Cycling
Waren es zunächst virtuelle Inhalte, die mit dem Einsatz von VR-Brillen das Indoor Cycling veränderten, so gibt es jetzt neue Apps, die auf Augmented Reality setzen, um das Fahrgefühl noch realistischer zu gestalten.
Augmented Reality (AR) heißt übersetzt erweiterte Realität und bezeichnet eine computerunterstützte Darstellung, in der die reale Welt um virtuelle Aspekte erweitert wird. Durch die Integration von Kameras in mobile Geräte können zusätzliche Informationen oder Objekte direkt in ein aktuell erfasstes Abbild der realen Welt eingearbeitet werden. Im Unterschied zur Virtual Reality (VR), bei der es um eine komplett virtuelle Welt geht, in der die reale Umgebung nicht mehr wahrgenommen wird, wird bei der Augmented Reality die reale Welt nur erweitert. Für die Virtual Reality wird in der Regel eine Kombination aus Datenbrille, Kopfhörer und Controller benötigt bei der Augmented Reality hingegen reicht bereits ein Smartphone mit einer entsprechenden App aus.
Um eine Augmented Reality zu schaffen, ist zunächst ein Kamerasystem erforderlich, mit dem die Realität aufgezeichnet werden kann. Eine Software sorgt anschließend für die Einblendung der zusätzlichen Informationen, die dem Nutzer in der jeweiligen Situation einen Mehrwert bieten (z. B. Textinformationen oder Abbildungen). Sie werden schließlich auf einem Display angezeigt. Häufig bedienen sich solche Systeme der Positionsbestimmung via GPS. Die Anwendungsbereiche reichen von Informationen über die unmittelbare Umgebung über die ins Sichtfeld eingeblendete Navigation bis hin zu Spielen und Werbung. Pokémon Go ist hiefür das wohl erfolgreichste Beispiel. Das Spiel integriert virtuelle Spielfiguren in die reale Umgebung, die gesammelt werden. Dabei werden das GPS-Signal und die Kamera des Smartphones verwendet.
Indoor-Cycling-Apps auf Basis von AR und KI
Die tschechische Indoor-Cycling-App ROUVY bietet eine große Auswahl an Routen, die in der realen Welt gefilmt wurden. Neben den Strecken, die gefahren werden können, gibt es Sonderveranstaltungen und Gruppenrennen. Man kann seinen individuellen Avatar erstellen und Trainingspläne für jedes Niveau abrufen. Der Fokus bei ROUVY liegt auf einer möglichst realistischen Darstellung der Routen. Dazu kooperiert das Unternehmen mit Radsportorganisationen wie La Vuelta, PTO, Challenge Family und Strava. Die real existierenden Strecken werden nicht nur abgefilmt, sondern durch eine spezielle Widerstandssimulation wird auch sichergestellt, dass jede Steigung und jedes Gefälle die realen Bedingungen einer Strecke genau widerspiegeln, sodass das Fahrerlebnis möglichst realistisch wirkt. So lassen sich echte Strecken aus der ganzen Welt auch im Fitnessstudio oder zu Hause fahren. Es gibt Routen wie die am Centennial Lake in Kanada mit herbstlich fallendem Laub oder die in den schneebedeckten wilden Wäldern des Bryce-Nationalparks in Utah. Auch bekannte Routen in Europa können Nutzer bewältigen, wie den alpinen Anstieg zum Puig Major auf Mallorca, auf den Cime de la Bonette – einen der höchsten Pässe Europas und fester Bestandteil der Tour de France. Insgesamt stehen über 1 300 Routen zur Auswahl. Das System ist kompatibel mit vielen Geräten zur Leistungs- und Herzfrequenzmessung sowie mit den Apps von Strava und Garmin. Neue KI-Updates sollen zukünftig das Training weiter verbessern und die Nutzer zum Fahren motivieren. Das maschinelle Lernen durch KI soll dabei helfen, das Training ganz individuell dem aktuellen Leistungsniveau des Users anzupassen. Die App kann 14 Tage kostenlos getestet werden und kostet im Anschluss 12 Euro monatlich.
Nutzer können Videos selbst hochladen
Radfahrer, die gerne selbst filmen, können ihre eigenen Videos hochladen; so wächst die Zahl der Strecken ständig. Anhand von GPS-Daten wird die Route dann berechnet und in die virtuelle Welt integriert. Um professionelle Videos von Laienaufnahmen zu unterscheiden, gibt es einen Suchfilter, der zertifizierte Strecken anzeigt. In den jeweiligen Streckenabschnitten sind Steigungsprozente einprogrammiert. Eine Verbindung zwischen einem smarten Rollentrainer und der App sorgt dafür, dass sich der Tretwiderstand automatisch an die Steigung anpasst. Beim Indoor Cycling ist dadurch deutlich spürbar, ob man in der Ebene fährt oder tatsächlich einen Berg hinaufradelt.
Um die App zu nutzen, werden nur ein smarter Rollentrainer, ein Smartphone, ein iPad oder ein Laptop benötigt und schon kann es losgehen. Strava Live Segments gibt Trainierenden zudem ein Echtzeit-Feedback darüber, wie sie im Vergleich zu ihren persönlichen Leistungen auf einer Strecke oder zu einer anderen Gruppe abschneiden. Sobald die Startlinie überquert wird, zeigt Strava auf ROUVY die verstrichene Zeit, die voraussichtliche Zeit vor oder hinter einem Pacer, der die Geschwingigkeit einer Gruppe vorgibt, und die verbleibende Distanz auf der jeweiligen Strecke an.
Geschwindigkeits- und Trittfrequenzsensoren
Wer keine smarte Rolle hat, kann sein Rad auch mit einem Geschwindigkeitsund Trittfrequenzsensor ausrüsten. Einige Apps wie Zwift errechnen anhand dieser Daten und des zuvor ausgewählten Rollentrainermodells eine ungefähre Leistung. Wer es genauer haben möchte, der kann trotzdem auf einem konventionellen Rollentrainer fahren und einfach sein Powermeter per Bluetooth mit der App verbinden. Steigungen lassen sich allerdings ohne smarte Rollentrainer nicht automatisch simulieren – hier muss man den Widerstand per Handschalter am Lenker, den fast alle konventionellen Rollen haben, anpassen.
Für Gamer: spielerischer Wettbewerb punktet
Bei der Plattform Zwift steht zusätzlich die Motivation der Nutzer durch den Spieltrieb im Fokus. Zwift ist eine amerikanische Streamingplattform, die aus dem Gaming-Sektor stammt. Das Team des Unternehmens besteht aus Fitness- Enthusiasten und erfahrenen Videospielentwicklern. Die Plattform nutzt eine Multiplayer-Online-Gaming-Technologie, um 3-D-Welten zu entdecken. Tausende von Radfahrern können weltweit durch Städte wie London, New York und Paris fahren. Die Leistung in der realen Welt treibt dabei den eigenen Avatar im Spiel an. Bei Zwift treten die User beim Radfahren auf verschiedenen Strecken spielerisch gegeneinander an. Sie können sich mit ihrem Rennrad weltweit mit anderen Athleten im Zeitfahren messen oder mit dem Mountainbike offroad fahren. Wer möchte, kann sich ein Hologramm von seinem eigenen Avatar mit der besten bisherigen Leistung auf einer Strecke anzeigen lassen und so seine persönlichen Bestleistungen weiter steigern.
Ähnlich wie in einem Videospiel werden Bonuspunkte gesammelt, mit denen man neue Bikes oder Strecken freischalten kann. Die App selbst kann für 14,99 Euro im Monat genutzt werden. Für zu Hause oder für das Angebot im Studio braucht man auch hier nur einen Rollentrainer sowie die App und kann dann mit dem eigenen Rad loslegen. In der Regel werden moderne Rennräder, aber auch Mountainbikes und Hybriden wie Gravel Bikes benutzt. Es gibt Trainingspläne für Rennradfahrer, Triathleten und speziell für Liebhaber von MTBs oder Gravel Bikes. Regelmäßig gibt es besondere Events wie zum Beispiel Radrennen, Sprints oder Enduro-Sessions. Wer nicht allein fahren möchte, kann sich über die Zwift-Companion-App mit seinen Freunden in der virtuellen Welt verabreden und in Echtzeit gegen andere User antreten. In Zukunft könnte es diese Art von Technologie auch ermöglichen, dass ein 3-D-Video zeigt, was zu tun ist, wenn das Indoor Bike mal repariert werden muss.
Neue Bikes ermöglichen sogar Seitwärtsneigungen
MUOV Bikes hat mit dem neuen „Muoverti TiltBike“ ein stationäres Rad auf den Markt gebracht, das ein ganz neues und realistisches Fahrgefühl ermöglicht. Dieses Indoor Bike ist das erste, das eine digitalisierte Lenkung und eine über Elastomere und Sensoren gesteuerte Seitwärtsneigung ermöglicht. Das Rad kann sich zur Seite neigen, ohne dabei umzukippen. Man kann sich also jetzt auch während der Fahrt realistisch in die Kurven legen. Das Bike wurde in London entwickelt und kann sich beim Treten nicht nur von einer Seite zur anderen bewegen, sondern auch nach vorn neigen. Über die Neigung kann in kompatiblen Spielen auch der eigene Avatar gesteuert werden.
Auch der Lenker lässt sich wie bei einem echten Bike bewegen, um sich durch virtuelle Landschaften zu steuern. Der Lenker lässt sich austauschen: Es kann zwischen MTB- und Rennradlenker gewählt werden. Außerdem verfügt das Bike über kleine Joysticks zur Navigation, die rechts und links vorne im Lenker verbaut sind; damit können auch Spiele während des Fahrens gesteuert werden. Das Bike nutzt Bluetooth und ANT+ und ist mit Zwift kompatibel.
Die Software ist komplex. Sie wird durch Algorithmen gesteuert, die das Verhalten des Bikes auf Basis physikalischer Gesetzmäßigkeiten berechnen, die reale Kräfte wie Beschleunigung, Verzögerung, Neigung, Bremsen und Trägheit simulieren. Die Messwerte werden dabei in Echtzeit erfasst, darunter Leistung, Geschwindigkeit, Trittfrequenz, Linksrechts- Gleichgewicht, Leichtgängigkeit der Pedale, Drehmoment und Seitenkraft.Der Algorithmus, der dafür sorgt, dass der elektromagnetische Widerstand der realen Physik entspricht, wird dabei tausendmal pro Sekunde aktualisiert. Die Neigungswinkel nach beiden Seiten und die bewegliche Lenkung ermöglichen es, die Bewegungen der Fahrer auf der Straße realistisch abzubilden.
Streaming-Plattformen und Apps erweitern das Angebot
Die Streaming-Plattform wexer bietet neben Livekursen und Groupfitness on demand eine spezielle Software namens „Intelligent Cycling“. Über einen Bildschirm schickt wexer die Teilnehmer auf eine futuristisch anmutende Reise. Durch den Einsatz von Augmented Reality werden verschiedene Aufnahmen automatisch überlagert, sodass kein Kurs dem anderen gleicht, selbst wenn das Fahrprofil gleich bleibt. Genutzt wird „Intelligent Cycling“ nicht nur zu Hause, sondern auch in Fitnessanlagen; dort wird der Kurs dann live auf eine große Leinwand übertragen. Das 2019 fertiggestellte cloudbasierte Cycling-Programm stammt von der gleichnamigen dänischen Firma Intelligent Cycling, die von Peter Møller Hansen, Brian Overkær und Anders Willemoes Hansen gegründet wurde und nicht nur mit wexer, sondern auch mit Schwinn, Bodybike, Kieser und Wattbike kooperiert.
Trend zur Individualisierung
Die dänischen Entwickler konzentrieren sich auf digitale Trainingslösungen, die die Bedürfnisse von Clubbesitzern, Trainern und Clubmitgliedern sowohl innerhalb als auch außerhalb des Studios erfüllen. Dabei geht es darum, das Training zu immer weiter individualisieren und Angebote für ganz unterschiedliche Zielgruppen – vom Rennradfahrer über den Mountainbiker bis hin zum Triathleten – bereitzustellen.
Neben dem Trend zu individuelleren Angeboten wollen die Macher von Intelligent Cycling dazu beitragen, die Bikes in den Studios optimal auszulasten, indem On-demand-Inhalte, Streaming von virtuellen Livekursen und VR-fähiges Indoor Cycling angeboten werden. Dabei können Mitglieder über ihr Smartphone die Online-Kurse durch einen Virtual Player selbst aktivieren. Das Programm bietet neben etlichen bereits vorchoreografierten Kursen die Möglichkeit, dass Trainer aus Hunderten vorgefertigten Trainingseinheiten ihr eigenes Workout zusammenstellen und dadurch Zeit bei der Vorbereitung sparen. Ein neues Feature gibt über die dazugehörige App ein Trainings-Feedback in Echtzeit.
Augmented Reality, die Interaktionen und ein Echtzeit-Feedback werden das Indoor Cycling zukünftig noch unterhaltsamer machen. Fahrräder werden in Zukunft noch mehr Erlebnisfunktionen erhalten, zum Beispiel taktile Rückmeldungen am Lenker, Vibrationen sowie visuelle und akustische Signale, die das Radfahren in einer realen Umgebung noch realistischer simulieren.
Rita Hoogestraat
Foto: Zwift