Sport oder Happening?
Interview mit Anja Kirig, Zukunfts- und Trendforscherin mit Schwerpunkt Sport und Freizeitkultur
Neue Konzepte, die traditionelle Sportstätten hinterfragen und herausfordern, hält Anja Kirig generell für äußerst zukunftsfähig. Wir haben mit der renommierten Zukunftsforscherin über Ninja Parcours und Boulderhallen, Sport mit Eventcharakter und die Rolle des klassischen Fitnessstudios innerhalb neuer Fitness- und Freizeitformierungen gesprochen.
body LIFE: Sporteinrichtungen wie Boulderhallen, Trampolinparks, Ninja Parcours, Pumptracks u. Ä. scheinen regelrechte Publikumsmagneten zu sein. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? Welche Zielgruppen sind angesprochen?
Anja Kirig: Ich würde bei den aktuell stark populären Sporteinrichtungen etwas differenzieren: Richtet sich die Anlage an ein Stammpublikum, das regelmäßig dort trainiert, oder hat es eher einen Event- und Entertainmentcharakter? Natürlich lässt sich das nicht ganz trennen und viele Einrichtungen leben von beidem.
Dennoch halte ich es für wichtig, zu schauen, welche Sportkultur dort zu Hause ist. Bouldern oder Pumpen sind stark von der Gruppenkultur geprägt. Es gibt von 10er-Karten über Monats- bis Jahrestarife eine Möglichkeit, den Sport regelmäßig auszuüben. Pumptracks sind oft sogar städtische/ kommunale Einrichtungen und kostenlos. Das bietet Raum für eine recht lebendige und sich entwickelnde Sport-&-Co-Kultur.
Trampolinparks und Ninja Parcours dagegen bieten häufig nur Einzeltickets an oder Gruppenbuchungen. Somit würde ich da einen ersten Unterschied machen. Das betrifft ebenfalls die Frage, warum sie Publikumsmagneten sind. Selbstverständlich ziehen auch Boulderhallen und der Pumptrack die Einmalbesucher an oder jene, die „multisportlerisch“ unterwegs sind.Wenn es sich um spezifische Ninja Warrior Parcours und Trampolinparks handelt, werden diese zumindest aktuell vor allem als ein Happening betrachtet – weniger, um dort den präferierten Sport dauernd auszuüben. Allerdings muss man auch hier sehen, dass es zunehmend Überschneidungen gibt. Boulderhallen mit Ninja Parcours und selbst Sport- und Turnvereine integrieren diese Angebote.
Alle erwähnten Beispiele haben gemeinsam,
dass sie bei klassischen Sportarten ansetzen und diese an unser Zeitalter adaptiert haben. Sie verfügen über einen Spaßfaktor, bieten Anfängern einen niederschwelligen Einstieg und dennoch genügend Anreize für Profis. Trotz Vorgaben wie Griffe, Parcours oder dem Track gibt es viel individuellen Gestaltungsspielraum. Es erfordert nicht nur Kraft, sondern auch Kopf, denn häufig muss man ein wenig knobeln, bevor man eine Übung antritt. Die Lernkurve ist am Anfang steil – das motiviert. Außerdem motiviert die Gruppen-Community und natürlich auch die entsprechende Bekleidung.
Durch das Konzept der Kindergeburtstage und Gruppenevents werden bereits sehr junge Menschen angesprochen. Sie bringen ihre Eltern mit, die vielleicht dann ebenfalls Interesse für die Bewegungsform entwickeln. Nicht selten sieht man Kinder mit ihren Eltern in diesen spezifischen Sportstätten sich gemeinsam bewegen. Durch die Vielfältigkeit der unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade ist für jeden etwas dabei.
Durch entsprechende Musik und den dazugehörigen Einrichtungsstil wird in der Regel vor allem ein jüngeres Publikum angesprochen – wir sprechen von Teenagern bis Postadoleszenten. Doch mit einer sich veränderten Wahrnehmung des Alters spielt das eigentlich nur noch eine sekundäre Rolle und so trifft man selbstverständlich auch ältere Menschen dort an, die vielleicht ursprünglich vom Felsklettern, klassischen Mountainbiken oder dem Turnsport kommen.
body LIFE: Sehen Sie Kooperationsmöglichkeiten zwischen solchen Einrichtungen und klassischen Fitness- und Gesundheitsstudios?
Anja Kirig: Ich sehe, dass Menschen heute vermehrt nicht nur eine Sportart machen und ausprobieren wollen. Die oben erwähnten Bewegungsformen haben alle viel Spaßcharakter. Das können Fitness- und Gesundheitsstudios natürlich aufgreifen. Wenn Menschen bereits mit Bouldern, Trampolinspringen und Parcours in Berührung gekommen sind, bauen sie das sicher gerne auch in ihren Trainingsalltag ein oder lassen sich für ein Studio gewinnen, wenn das Angebot dort existiert.
Aber speziell auch die Frage nach Kooperationen finde ich sehr zukunftsträchtig! Bereits jetzt haben beispielsweise viele Boulderhallen Calisthenics- Anlagen installiert und bieten Yogakurse an. Wenn ein Fitness- und Gesundheitsstudio in der Nähe einer solchen Sporteinrichtung ist, wäre es doch sehr naheliegend, Synergien zu bündeln und sich gegenseitig zu ergänzen.
Generell gibt es eine Tendenz, dass es in Zukunft mehr auf ein Denken in Netzwerken ankommt. Kollaboration und Coopetition statt Konkurrenz und Competition.
Gerade die Sportgesellschaft mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Motiven bietet hier viele Gelegenheiten.Diese nicht zu nutzen, schadet eher dem einzelnen Unternehmen oder auch der einzelnen Sparte. Die Vielfalt an präsenten Sportangeboten, die eher auf Fun als auf Wettkampf ausgerichtet sind, bieten gerade auch jenen einen Zugang zu Bewegung, die bis dahin noch nicht die passende Bewegungsform für sich gefunden haben. Ich bin der Überzeugung, dass es für jede Person etwas gibt, das ihr oder ihm liegt. Und durch „Sportainment“ bestehen mehr Möglichkeiten zum Ausprobieren.
body LIFE: Welche neuartigen Konzepte in Sachen Sportstätten sehen Sie als besonders zukunftsträchtig an?
Anja Kirig: Die Frage muss differenziert betrachtet werden. Einerseits können die Angebote im Vordergrund stehen, wie etwa das Bedürfnis nach Entertainment oder Community, andererseits aber auch die Frage nach den Strukturen, welche einzelne Sportstätten aufweisen. Wichtige Punkte sind Erreichbarkeit, Philosophie, Preis, Nachhaltigkeit, Arbeitsplätze – auch hier gibt es eine Diversifizierung. Generell gilt es, sich immer wieder zu hinterfragen, ob das eigene Konzept adaptiert werden muss, ob man sich der Werte und Bedürfnisse der Kundengruppe bewusst ist und welche neuen Anforderungen ein sich wandelndes Zeitalter hervorbringt. Für mich sind alle Konzepte zukunftsfähig, die traditionelle Sportstätten hinterfragen und herausfordern – sei es baulich durch räumliche Flexibilität, durch ungewohnte Kooperationen oder auch durch die Integration von Aspekten, welche die Moderne erfordern. Das können Antworten auf den Klimawandel sein, niederschwellige Bewegungsangebote, Entertainmentcharakter, mentale Gesundheit, Work-Life-Blending oder natürlich auch eine vorurteilsfreie Kultur.
body LIFE: Welche Voraussetzungen sollten klassische Fitnessstudios erfüllen, um hier zukunftsfähig und wettbewerbsfähig zu bleiben?
Anja Kirig: Sich immer wieder mit großen Transformationen auseinandersetzen und fragen, in welche Richtung man diese mitgestalten möchte und/oder sich daran anpassen muss. Gleichzeitig ein Höchstmaß an Resilienz und Flexibilität beibehalten. In Krisenzeiten benötigt es gekonntes und schnelles Handeln.
body LIFE: Geht der Trend Ihres Erachtens in Richtung „Sport mit Eventcharakter“ und weg vom klassischen Trainieren im Studio?
Anja Kirig: Nein, wir leben in einer Sportgesellschaft, die sehr ausdifferenziert ist und unterschiedliche Sportbedürfnisse und auch -motive hat. Und das nicht nur zwischen den unterschiedlichen Lebensstilen, sondern auch innerhalb eines Lebensstils. Das fängt bereits damit an, dass „Sport mit Eventcharakter“ für die eine Person der Besuch eines Ninja Parcours ist, für jemand anderes die Teilnahme am wöchentlichen Lauftreff und für wiederum jemand anderes der Einbau von digitalen Elementen in das eigene Training. Bereits jetzt ließen sich theoretisch bereits einige Angebote von Fitnessstudios als „Event“ im weiteren Sinne definieren: Gruppenkurse – selbst das jahrzehntealte „Cardio Theatre“ – ist, wenn man so möchte, eine Eventisierung. Nicht zuletzt auch Meetingräume, in denen ich mich mit anderen Trainierenden austauschen kann. Es hängt sicherlich von den individuellen Bedürfnissen ab.
Zu beobachten sind da zwei Entwicklungen. Einerseits tatsächlich, dass Playfulness, Gamification und Entertainment trainingsmotivierend sein können und nicht zuletzt auch Zugänge zu Training niederschwellig gestalten. Zum anderen aber auch eine Entwicklung,die man mit „Clean Fitness“ oder „Pure Fitness“ vielleicht am besten beschreiben könnte. Gemeint ist ein Training ohne Schnickschnack und mit Rückbesinnung auf das Wesentliche. Das bezieht sich auf alle technologischen Unterstützungsangebote, auf die Palette an Ernährungs- und Lebensstilempfehlungen sowie auch auf jene von äußeren Reizen.
body LIFE: Auf welche interessanten, erfolgversprechenden Konzepte sind Sie bei Ihren Recherchen außerdem gestoßen?
Anja Kirig: Interessant finde ich in jedem Fall alle Sporteventstätten, die ohne weitere Verpflichtungen Möglichkeiten anbieten, diverse Sportarten auszuprobieren. Oder natürlich alle Konzepte, die Sportarten anbieten, die normalerweise wetter- und standortabhängig sind. Spannend finde ich in dem Zusammenhang „Sparkx“ in Belgien, die „Gravity Parks“ in Großbritannien oder auch „Hapik“ in Mainz und Karben.
„Sparkx“ ermöglicht wirklich eine Vielzahl an Sportarten. Im Sommer fand ein Camp statt, in dem Kinder und Jugendliche über mehrere Tage verschiedene Bewegungsformen ausprobieren konnten. Es wird für die Zukunft überlegt, Sport- und Turnvereine mit einzubinden, sodass die Kinder und Jugendlichen dann weiter dort trainieren können.
Die „Gravity“-Anlagen haben die drei unterschiedlichen Hauptthemen „Max“, „Active“ und „Social“. Dabei sticht vor allem „Active“ heraus; das sind Sportstätten, welche diverse Sportainment- Angebote inkludieren: von Trampolin über Klettern bis Fitness. „Max“ hingegen ist eher weniger bewegungsorientiert, sondern mehr ein immersiver Fun Parc „Social“ inkludiert traditionelle Happenings wie Dart, Bowling oder Minigolf in neuem Design.
„Hapik“ setzt der klassischen Kletterund Boulderhalle noch eins drauf. Die Kletterelemente könnten nicht weiter entfernt von klassischem Felsen oder sogar der Kletterhalle sein. Die Wand wurde quasi mehrfach neu erfunden. Die Landschaft setzt dabei weniger auf individuelle Kreativität, sondern gibt viel vor. Der Vorteil ist, dass es für Anfänger wie Individualsportler ideal ist, da es sich um ein selbstsicherndes System handelt.
body LIFE: Wir bedanken uns für das sehr interessante Gespräch!
Foto: Claus Setzer