Der Pfad des Coaches
Eine Reise zum eigenen Ich
In diesem Artikel möchte ich ein Plädoyer halten für diesen für mich unglaublich sinnstiftenden Beruf des Trainers – und auch Gedanken mitgeben, die meiner Meinung nach essenziell sind, um diese Rolle überhaupt dauerhaft ausfüllen zu können und zu wollen.
Im Jahr 2019 war es so weit: Ich durfte mein zwanzigstes Jahr in der Fitnessbranche feiern. Zwanzig Jahre, in denen ich mich „Trainer“ nennen darf. Dass ich diesen Beruf – besser gesagt: meine Berufung – liebe, steht für mich außer Frage. Dabei gab es in diesen vielen Jahren nicht nur Sonnenschein, sondern auch Momente, in denen ich gezweifelt habe. In denen meine eigene Energie im Keller war. Der Job Trainer und später Coach war für mich nie etwas Statisches, sondern vielmehr eine andauernde Reise auf der Suche nach noch effizienteren und effektiveren Trainingsinhalten, Ernährungsstrategien und Regenerationsmaßnahmen. Aber auch und vor allem eine Reise zu mir selbst.
Traumjob Trainer?
Ist es nicht selbstverständlich, dass es sich beim Beruf des Trainers um einen Traumjob handelt? Betrachtet man die nackten Zahlen, ist eher das Gegenteil der Fall. Laut der „Europe Active Study: Personal Training in Europe“ sowie den Ergebnissen von „Titze, G. & Gronau, N. (2015). Personal Training: Der Markt in Deutschland. Edelhelfer, Mannheim“ verbringen fast 50 Prozent aller Menschen, die in der Fitnessbranche arbeiten, nur 0–5 Jahre in derselbigen. Bei dem scheinbaren Traumjob „Personal Trainer“ ist die Lage noch dramatischer: 65 Prozent aller Personal Trainer droppen nach 0–5 Jahren aus diesem Beruf. Weitere 20 Prozent geben nach 6–10 Jahren auf. In der Summe sind das rund 85 Prozent, die maximal 10 Jahre lang Personal Trainer bleiben.
Warum ist das so? Ich möchte darauf mit den beiden Begriffen „Wollen“ und „Können“ antworten. Meiner Erfahrung nach scheitern die meisten an dem, was ich als „Wollen“ bezeichne. Das „Wollen“ beschäftigt sich mit der Frage nach dem Warum; das Können mit dem Was und dem Wie.
Die Sinnfrage stellen
Zum „Wollen“ gehört für mich als wichtigster Baustein die schon erwähnte „Reise zu sich selbst“. Immer mehr Menschen stellen sich – privat wie beruflich – die Warum-Frage. Das ist absolut wünschenswert. Allerdings verwechseln viele sie mit der Frage: „Macht mich dieser Job glücklich?“ Das allgegenwärtige Streben nach Glück um uns herum ist wohl (übrigens auch aus alter philosophischer und ethischer Betrachtungsweise) der direkte Weg ins Unglück. So viel sei gesagt: Es gibt nichts und niemanden, der mich dauerhaft glücklich macht. Glück kommt aus meinem Innersten in ganz bestimmten Momenten. Eine befreundete Psychologin hat „Glück“ beschrieben als „Sahnehaube auf dem Boden der Zufriedenheit“. Es ist eben viel mehr diese stetige innere Zufriedenheit, die mich beständig bleiben lässt und die es zulässt, dass ich persönlich und fachlich wachse.
Wie aber schaffe ich es, dieses Fundament zu errichten? Dazu braucht es im Beruf wie im Privaten die Dimension der Sinnhaftigkeit. Ist die Tätigkeit, die ich ausübe, für mich zutiefst sinnstiftend? Wenn ich das bejahen kann, komme ich meiner inneren Zufriedenheit schon einmal deutlich näher, auch wenn ich nicht in jedem Moment ein Glücksgefühl habe. Ich möchte das an einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Es ist November, es ist kalt, dunkel und verregnet, als mein erster Kunde um 6 Uhr auf mich wartet. Ich weiß, es ist nicht seine Uhrzeit und er braucht mich als Inspirator, als Coach und als Trainer, der ihn antreibt. Das bedeutet, ich gebe Energie. Verspüre ich in diesem Moment ein tiefes Glücksempfinden? Nein, ganz bestimmt nicht. Bin ich davon überzeugt, dass diese Einheit mit meinem Kunden einen wichtigen Sinn hat? Ja, davon bin ich überzeugt. Durch diese Einheit schenke ich ihm Energie, physisch und psychisch. Er geht anschließend in seine Firma und ist vielleicht eine bessere Führungskraft, schafft somit in seinem Umfeld wieder Impact. Das ist für mich sinnstiftend. Die Sinn- Frage stelle ich mir ganz bewusst in jeder einzelnen Woche. Und würde mir persönlich diese Dimension meines Berufs eines Tages verloren gehen, würde ich etwas verändern. Die Sinnhaftigkeit meines Tuns ist mein größter Antreiber. Mein Appell an dich ist: Frag nach deinem Warum, aber verwechsle nicht diese Frage mit der nach „Glück“, sondern berücksichtige die sinnstiftende Dimension.
Mit dieser beschriebenen Dimension ist es folglich auch klar, dass das Warum in der Berufswahl Trainer/Coach nur dann sinnstiftend und erfüllend für mich sein kann, wenn ich dabei fast schon altruistisch denke – also Erfüllung darin finde, anderen Menschen zu helfen. Beschränkt sich mein Warum auf „Ich mache einfach gern Sport“ oder „Ich mag Fitness“ oder „Es tut meinem Ego gut, wenn ich im Dunstkreis erfolgreicher Sportler arbeite“, dann werde ich mit ziemlicher Sicherheit über kurz oder lang ausbrennen.
Informationen versus Wissen
Beim „Können“ stoßen wir gerade in unserer heutigen digitalen Zeit der Schwarmintelligenz auf eine schier unbegrenzte Zahl unterschiedlichster Wissensquellen. Ich treffe gerne die Unterteilung in Informationen, Wissen, Können und Kompetenz. Schaue ich mir ein YouTube- Video nach dem anderen an und eifere Influencern nach, so ist das eine lose Ansammlung von Informationen. Um diese unvollständigen, teilweise auch unsinnigen Informationen von den für mich relevanten zu trennen, braucht es ein solides Fundament aus Basiswissen. Fehlt mir dieses, kann ich die Informationen nicht zu etwas Anwendbarem zusammenfügen. Folglich sind reine Informationen aus den digitalen Medien, Infohappen aus Konferenzen etc. noch lange kein Wissen. Nein, es gilt, sich wirklich ausdauernd mit Thematiken auseinanderzusetzen und richtig zu lernen. Ich muss als guter Trainer/Coach auch ein Stück weit immun sein gegen den ein oder anderen Trend der Fitnesswelt. Ich darf die neuen Methoden überprüfen, ob sie in mein bestehendes Konzept hineinpassen und ob sie überhaupt Sinn machen. Habe ich kein solides Fundament an Wissen, kann ich dies nicht beurteilen und ich agiere (auch in den Augen der Kunden) wie ein Fähnlein im Wind. Das rein angelernte Wissen bringt mir in der Praxis auch nichts. Meiner Meinung nach muss ich die Dinge erst einmal an mir selbst ausprobieren, um sie dann step-by-step an Kunden anzuwenden. „Wissen“ ist für mich etwas Theoretisches, „Können“ ist für mich Wissen in die Praxis transportiert. Die Kompetenz, die ich zuletzt erwerbe, ist nichts anderes als angewandtes Wissen multipliziert mit Erfahrung. Das bedeutet: einfach machen. Trau dich, die Dinge, die du auf einem stabilen Wissensfundament aufgebaut hast, in der Praxis umzusetzen. Nur die Erfahrungen mit perfekten und gestörten Handlungsplänen machen dich wirklich kompetent in dem, was du tust.
Präsent sein bei Fortbildungen
Meine Empfehlung: Besuche bitte nicht nur Workshops und Fortbildungen im „Vorbeigehen“. Wenn du dich fortbildest (dafür solltest du jedes Jahr ein gewisses Budget festlegen), dann bereite dich darauf vor. Sei völlig präsent während des Workshops oder des Seminars und nicht permanent mit anderen Dingen wie dem Handy beschäftigt und schreibe möglichst alles mit. Durch das Schreiben lernst du deutlich besser. Im Nachgang bereite das Gelernte nach und integriere es an die richtige Stelle in deinem Konzept, aber wirf nicht nach jedem Seminar dein komplettes Konzept über den Haufen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des „Könnens“ ist, sich mindestens genauso intensiv in dem Bereich des Wie weiterzubilden wie in dem Bereich des Was. Es gibt sehr viele unglaublich gute Fachleute, die jedoch „ihre PS nicht auf die Straße bringen“. Es nützt nichts, wenn ich alles über die Biomechanik einer Kniebeuge weiß, aber weder das rhetorische noch das empathische noch das taktile Handwerkszeug habe, dieses Wissen den Kunden praxisnah methodisch näherzubringen. Wie sieht es mit meiner Präsenz aus, wie wirke ich? Sind mein Selbst- und mein Fremdbild deckungsgleich oder gibt es da starke Differenzen? Gelingt es mir, meine Kunden in wirklich nachhaltige Veränderungsprozesse zu begleiten, oder scheitern sie häufig auf halber Strecke ihres Transformationsprozesses? Das sind entscheidende Fragen, die sich jeder Trainer und Coach stellen sollte. Und in diese Bereiche gilt es eben mindestens so viel Zeit und Invest zu legen wie in das rein Fachliche.
Veränderungen brauchen Zeit
Ein weiterer Aspekt des „Könnens“, der in meinen Augen ein weiterer wichtiger Grund ist, warum so viele in diesem Beruf scheitern, ist, dass gerade Personal Trainer häufig den Weg in die Selbstständigkeit wagen, ohne dafür die notwendige Kompetenz zu haben. Einer meiner Mentoren sagte immer: „Veränderung braucht Zeit.“ Und auch die Reise als Trainer/Coach braucht Zeit. Ich glaube, dass viele Trainer den Schritt in die Selbstständigkeit zu früh wagen. Es ist wichtig, sich erst einmal eine Kompetenz zu erarbeiten in seiner Fachlichkeit (dem Was und dem Wie). Erst dann empfehle ich den Schritt in die Selbstständigkeit. Meiner Meinung nach solltest du zuerst erst im fachlichen und im menschlichen Bereich in einem Anstellungsverhältnis reifen, bevor du den Schritt Richtung Entrepreneur gehst. Ich selbst habe zunächst neun Jahre in diversen Anstellungen verbracht, bevor ich mich 2008 und schließlich 2010 mit dem R1 Sportsclub selbstständig gemacht habe. Für mich war es ein Wechsel vom reinen Coach zum Unternehmer und Coach, den ich bewusst gewählt habe und den ich keinen Tag bereue. Wichtig ist, eine bewusste Entscheidung dafür zu treffen und sich allen Konsequenzen bewusst zu sein.
Erfüllung und Herausforderung
Ich bin davon überzeugt, dass unser Beruf einer der erfüllendsten Jobs überhaupt ist – aber eben auch ein sehr herausfordernder. Sind dir die beschriebenen Dinge des „Wollens“ und „Könnens“ bewusst, hast du eine gute Chance, die für dich richtigen Entscheidungen zu treffen, um langfristig ebenfalls Erfüllung und Freude an dieser Berufung zu haben, wie das bei mir der Fall ist.
Ein weiterer essenzieller Meilenstein in der eigenen beruflichen Entwicklung ist die bewusste Trennung der Rollen als Trainer und Coach. Wird die Trainerperspektive eingenommen, ist man der Detailarbeiter – ein absoluter Experte, der eine genaue Strategie verfolgt bei z. B. Schulterschmerzen oder Muskelaufbau. Als Trainer befindet man sich auf der Was-Ebene, die fachlich absolut perfekt sein muss. Schließlich vertraut uns der Klient sein höchstes Gut an – seine Gesundheit. Als Personal Trainer rückt dann die Wie-Ebene noch stärker in den Blickpunkt: Wie gut sind meine Anweisungen (Cues) sowohl rhetorisch als auch kinästhetisch und visuell? Als Trainer ist meine Sprache sehr direktiv, sprich anweisend.
Ein Coach hingegen versetzt sich empathisch in den Kunden hinein und versucht, die Welt durch seine Brille zu betrachten. Er redet nicht direktiv, sondern beherrscht die Kunst, die richtigen Fragen zu stellen, damit der Klient selbst auf die für ihn richtige Antwort kommt.
Letztlich bezeichne ich alles, was nicht unmittelbar mit konkreter Übungsanleitung, also Instruktion zu tun hat, als Coaching. Gerade in der Welt des Personal Trainings (Coachings) ist es essenziell, beide Perspektiven einnehmen zu können und zwischen ihnen zu springen.
Warum braucht es Coaching?
Die Antwort liegt eindeutig auf der Hand: Es ist die einzige Chance, Menschen dauerhaft zu Veränderungen ihrer Gewohnheiten zu verhelfen, egal ob diese mit Bewegung, Ernährung, Regeneration oder Persönlichkeitsentwicklung verbunden sind. Und das ist der einzige nachhaltige Weg zum Erfolg. Um diese Veränderungen anzustoßen, reicht es nicht, Bewegungsexperte zu sein, sondern es braucht eine holistischere Kompetenz. Ich bin davon überzeugt, dass der Personal Coach der heutigen Zeit eher ein Lifestyle Coach ist. Noch einmal: Mit meinen Tools als Trainer schaffe ich meist keine nachhaltige Veränderung, aber genau das ist es doch, worum es geht.
An einem konkreten Beispiel möchte ich das verdeutlichen: Ein Kunde kommt zu mir mit dem Ziel, seine Rückenschmerzen zu beheben und abzunehmen. Ich mache ein biomechanisches und ein internistisches Screening mit ihm. In der ersten PT-Einheit gebe ich ihm kleine korrigierende Hausaufgaben (unsere sog. TOP 5) und sage ihm, er solle sie 10 Minuten täglich machen. Das wäre eine rein direktive Ansprache. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde diese TOP 5 wirklich jeden Tag 10 Minuten macht, liegt bei weit unter 50 Prozent (außer der Leidensdruck ist immens). Aber wäre es nicht perfekt, jeden Tag, vielleicht als Morgenroutine, kleine Mobis zu integrieren, so wie ich es auf sehr vielen Mobility-Fortbildungen erzählt bekomme? Ja, absolut! Trotzdem sieht die Realität mit dem Kunden meist völlig anders aus. Das meine ich Molent. Ibus quunt fugiasp erciuntust, sandae consequam rae doluptate nisimus mills quas magvolo cus ut in mit „Coaching-PS auf die Straße bekommen“. Also zurück zu dem Beispiel: Ich gebe ihm jetzt keine direktive Anweisung, sondern lasse ihn diese Übungen und das Vorher/ Nachher-Ergebnis direkt in der PT-Einheit spüren. Wenn ich das richtige Was getroffen habe, wird er unmittelbar eine Linderung verspüren. Dann erkläre ich ihm, dass wenn er diese Linderung nachhaltig haben möchte, er in Form von 10-minütigen Übungen dazu beitragen sollte. Ich frage ihn, wie oft er sich bereit erklärt, diese Übungen zu Hause zu machen. Er sagt mir, dass er es 2-mal pro Woche schafft. Obwohl ich weiß, dass dies auf Dauer zu wenig ist, nicke ich. Besser 2-mal als kein Mal. Nichts ist ungünstiger als überfordernde Ziele bei Veränderungsprozessen.
Mehr als nur Training
Eine der 5 Grundprinzipien der Veränderung besagt: Schritt für Schritt. Ich gehe also noch einen Schritt weiter und zoome mit ihm tief in seinen Alltag hinein, lasse ihn seine Tage visualisieren. Dann frage ich ihn ganz konkret, an welchen Tagen er die zwei TOP-5-Einheiten integrieren wird. Wir einigen uns auf zwei Tage und auch Uhrzeiten. Dann frage ich ihn, was passiert, wenn an diesen Tagen gestörte Handlungspläne auftreten (seine Kinder werden vor ihm wach). Er gibt Ausweichmomente an. Zum Abschluss vereinbaren wir einen Einsatz, den er leistet, wenn er nicht diese 2-mal schafft. Wir einigen uns auf eine Spende für eine gemeinnützige Organisation. Er unterschreibt dieses Commitment. Wie hoch liegt jetzt die Wahrscheinlichkeit, dass er dranbleibt?
Das ist nur ein Beispiel, das zeigen soll, wie wichtig Coaching versus die rein direktive Trainer-Rolle ist.
Fazit: Sei ein Menschenfreund
Kenne dein „Wollen“ und dein „Können“. Sei ein Menschenfreund. Entwickle dich zum Coach und werde kompetent im Perspektivwechsel zwischen Trainer und Coach. Zusammenfassend kann ich aus voller Überzeugung sagen, dass das die für mich essenziellen Meilensteine sind, um wirklich dauerhaft Erfüllung und Sinn in diesem fantastischen Beruf zu erfahren und außerdem einen nachhaltigen Einfluss auf die Menschen, mit denen ich arbeite, zu erreichen.
Thomas Korompai | ist studierter Sportwissenschaftler, „Myofascial Release Practitioner“, staatliche geprüfter Mental- und Resilienz-Coach sowie Ernährungsberater und Speaker. Er hat Erfahrung im Profisport und ist seit 2008 als Personal Trainer aktiv. 2010 eröffnete er in München den R1 Sportsclub, der über eine eigene Ausbildungsakademie verfügt.
Foto: Thomas Korompai