Diagnose Burn-Out
Interview mit Dr. Manuel Ortmann, Leitender Psychologe, und Martin Wagner, Leiter des Bereichs Physio-, Sportund Bewegungstherapie, Schön Klinik, Bad Arolsen
Symptome wie ständige Erschöpfung, Antriebslosigkeit und bleierne Müdigkeit sind klassische Hinweise auf ein Burnout- Syndrom. Die Krankheit ist jedoch weitaus komplexer! Wir haben mit zwei Experten der renommierten Schön Klinik Bad Arolsen gesprochen und interessante Erkenntnisse rund um das Thema „Burn-out und sportliche Aktivität“ gewonnen.
body LIFE: Wie charakterisiert sich ein Burn-out? Welches sind die klassischen Symptome?
Dr. Manuel Ortmann: Der Begriff „Burnout“ – wörtlich übersetzt: „Ausbrennen“ – existiert bereits seit nunmehr über 40 Jahren. H. J. Freudenberger, einer der Vorreiter in der Burn-out- Forschung, verwendete ihn ursprünglich für ein Phänomen, welches er bei freiwilligen Helfern in Selbsthilfe- und Kriseninterventionseinrichtungen beobachtete, und beschrieb einen Zustand, der durch depressive Verstimmung, Erschöpfung, psychosomatische Beschwerden und Gleichgültigkeit charakterisiert war. Christina Maslach, eine der wichtigsten amerikanischen Forscherinnen auf diesem Gebiet, entwickelte zusammen mit ihrer Kollegin Susan Jackson das sogenannte Maslach Burnout Inventory, kurz MBI. Das Burn-out-Syndrom wurde damit messbar. Sie definierten, dass ein Burn-out-Syndrom mit hoher Wahrscheinlichkeit dann vorliegt, wenn die folgenden drei Kriterien erfüllt sind: Erschöpfung, Zynismus und verringerte Leistungszufriedenheit.
Das Phänomen des „Ausgebranntseins“ ist jedoch eigentlich uralt: Schon im Alten Testament gibt es Episoden, die vom Propheten Elias handeln, der unter „schwerer Müdigkeit“ litt Johann Wolfgang von Goethe soll seine Italienreise genutzt haben, um Krankheitssymptome, die dem heutigen Burn-out-Syndrom entsprechen, auszukurieren. Auch Schriftsteller haben ausgebrannte Charaktere beschrieben, bevor das Phänomen in den 70er-Jahren Einzug in die Wissenschaft gehalten hat. In dem Roman „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann weist der Senator Thomas Buddenbrook die wichtigsten Züge von Burn-out, wie extreme Müdigkeit sowie der Verlust von Idealismus und Leidenschaft für die Arbeit, auf.
body LIFE: Gibt es typische Alarmzeichen, die ich eventuell in meinem Umfeld beobachte und die von Betroffenen oft selbst gar nicht wahrgenommen werden?
Dr. Manuel Ortmann: Erschöpfung ist das Hauptkriterium für Burn-out. Sie ist gekennzeichnet durch Symptome wie Kraftlosigkeit, Müdigkeit, Energielosigkeit. Das Gefühl, nicht mehr zu können, mündet nicht selten in „Fluchtfantasien“, z. B. den Job aufzugeben und irgendetwas ganz anderes zu machen.
Unter „Zynismus“ wird das reduzierte Engagement für Klienten und für andere, z. B. Kollegen, Vorgesetzte, verstanden. Es äußert sich meist durch eine gleichgültige, distanzierte, zynische oder sarkastische Einstellung. Häufig tritt eine erhöhte Reizbarkeit auf. Oft lässt sich auch eine verringerte Leistungszufriedenheit feststellen: Der von Burn-out Betroffene leistet oft objektiv betrachtet noch sehr viel. Er selbst ist aber mit der eigenen Leistung und der Art, wie er sie erbringt, in der Regel nicht mehr zufrieden, macht mehr Fehler, ist weniger kreativ, die Freundlichkeit lässt nach, die Arbeit geht dem Einzelnen nicht mehr so gut von der Hand. Es wird häufig alles als anstrengender erlebt.
body LIFE: Der Begriff „Burnout“ wird teilweise inflationär gebraucht. Wie lässt sich eine klare Abgrenzung finden, wann tatsächlich ein Burn-out- Syndrom vorliegt?
Dr. Manuel Ortmann: Insgesamt werden mittlerweile in der Literatur an die 160 Symptome angeführt, die bei einem Burn-out auftreten können. Deshalb spricht man hier auch von einem „Syndrom“. Eine klare Abgrenzung ist da gar nicht möglich. Dies kann dazu führen, dass sehr rasch der Begriff „Burnout“ gewählt wird. Auf der anderen Seite ist aber auch zu beobachten, wie Warnsignale von den Betroffenen einfach ignoriert werden, sei es, dass sie die Symptome in der Tat nicht wahrnehmen, sei es, dass sie die Beschwerden nicht wahrhaben wollen. Überforderung passt ja schließlich nicht zum Selbstbild…!
In der Praxis hat es sich als hilfreich erwiesen, zwischen Burn-out als Prozess und Burn-out als Syndrom zu unterscheiden. Der Prozess ist als Weg zum Syndrom zu sehen und kann im Leben mehrmals durchlaufen werden, wenn dem nicht gegengesteuert wird. Der Prozess verläuft schleichend, es kann viele Jahre dauern, bevor das Syndrom voll ausgebildet ist.
body LIFE: Wie lässt sich ein Burn-out von einer Depression abgrenzen?
Dr. Manuel Ortmann: In der Psychopathologie ist die Depression klar einzuordnen; es gibt Symptome, die zugeordnet werden, und auch einige Zeitkriterien, wodurch eine diagnostische Einschätzung der Depression erfolgen kann. Dies gibt es beim Burn-out-Syndrom nicht, sodass Burn-out vielmehr als Risikofaktor für eine Folgeerkrankung verstanden wird. Häufig ist dies dann die Depression. Weitere typischen Folgeerkrankungen eines Burnout- Syndroms sind Angststörungen, somatoforme Störungen, Schmerzstörungen, Suchterkrankungen oder Essstörungen.
body LIFE: Wer stellt die Diagnose „Burn-out“? Ist die Vorstellung in einer entsprechenden Praxis oder Klinik notwendig oder ist gar der Hausarzt dazu berechtigt?
Dr. Manuel Ortmann: Meist ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner. Zunehmend öfter wenden sich aber Betroffene auch direkt an einen ambulanten Psychotherapeuten. Am wichtigsten ist das Gespräch mit dem Betroffenen, erst in zweiter Linie werden psychologische Tests eingesetzt. In diesem Gespräch wird eingehend nach aktuellen Beschwerden gefragt, um eine Abklärung der Symptomatik herbeizuführen und um eventuell bereits vorhandene Folgeerkrankungen diagnostizieren zu können. Weiterhin wird der Therapeut mit den Patientinnen und Patienten die persönliche Einstellung zu Familie und Beruf besprechen und Fragen zur Lebensgeschichte stellen – erst nach einer genauen Anamnese kann eine endgültige Diagnose gestellt werden. Falls der Verdacht besteht, dass eine organische Erkrankung die Ursache der Beschwerden ist, werden nach Absprache mit Patientinnen und Patienten auch entsprechende Untersuchungen durchgeführt.
body LIFE: Welche Therapiemöglichkeiten stehen nach der Diagnose „Burnout“ zur Verfügung?
Dr. Manuel Ortmann: Liegen ein Burnout- Syndrom oder bereits eine oder mehrere Folgeerkrankungen vor, ist eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll und meist notwendig, denn allein ist es schwer, den Teufelskreis zu durchbrechen. Langfristige Veränderungen werden durch Einstellungs- und Verhaltensänderungen erreicht. Zur psychotherapeutischen Behandlung des Burn-out-Syndroms hat sich die kognitive Verhaltenstherapie als besonders effektiv erwiesen.
Diese wird von ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten ambulant sowie in darauf spezialisierten Fachkliniken durchgeführt.
body LIFE: Was sind die Aufgaben eines Sporttherapeuten in diesem Bereich?
Martin Wagner: Die Aufgaben in unserer stationären Behandlung gliedern sich in folgende Teile: Wir arbeiten übungsorientiert vorgebend und übernehmen dabei die anleitende und moderierende Rolle. Eine andere Facette ist unsere teilnehmende und begleitende Rolle. Zum Beispiel bieten wir Sportgruppen in der Natur an, wo wir Patientinnen und Patienten in den Kontakt bringen, diese in Gespräche einbinden, Ansprechpartner für sie sind und einfach gemeinsam etwas tun oder unternehmen.
body LIFE: Welche Therapiemöglichkeiten eignen sich im Bereich Sport/Bewegung? Welche eher nicht?
Martin Wagner: Empfehlenswert sind körperliche Aktivitäten mit leichter, moderater oder anstrengender Intensität, die einen positiven stressreduzierenden Effekt haben. Dabei eignen sich zyklische Bewegungsformen wie zum Beispiel Nordic Walking, Laufen oder Wandern bevorzugt in der Natur.
Hier lenken wir die Aufmerksamkeit auf die unterschiedlichen Facetten der Natur. Sie ist ein Ort für Aktivität, ein Ort für Abstand zu den eigenen vier Wänden. Hier kann man die Umgebung und die Besonderheiten jeder Jahreszeit bewusst wahrnehmen. Ergänzend dazu eignen sich Entspannungstechniken wie Yoga oder Qigong, achtsamkeitsbasierte Verfahren und Bewegungstherapie. Die Patientinnen und Patienten profitieren von der Vielzahl an Therapiemöglichkeiten, um die eigene „Sportdefinition“ neu zu formulieren und diese praxisnah zu erleben. Nicht empfehlenswert sind erfahrungsgemäß körperliche Aktivitäten mit hoher Intensität, wodurch Patientinnen und Patienten sehr schnell erschöpft sind und Frustration erleben.
body LIFE: Wie lassen sich Betroffene aus einer starken Antriebslosigkeit heraus ausgerechnet zu Bewegung und Sport – also hin zum anderen Extrem – bewegen?
Martin Wagner: Im klinischen Kontext werden Patientinnen und Patienten durch die Struktur unterstützt. Termine und soziales Eingebundensein sind hier – abseits von Inhalten – die elementaren Hilfsmittel, welche auch in den eigenen Alltag, zum Beispiel in einer Vereinsstruktur oder beim Verabreden mit Freunden oder Bekannten, übertragbar sind.
body LIFE: Umgekehrt betrachtet: Gibt es ein spezielles „Burn-out-Syndrom“, verursacht durch zu viel Training, zu hohen, eventuell selbst auferlegten Leistungsdruck?
Martin Wagner: Diese Frage kann ich nicht mit einem konkreten Ja oder Nein beantworten. Das menschliche Bewegungsverhalten zeigt sich in der heutigen schnelllebigen Zeit überwiegend zweipolig. Stichwort: Bewegungsmangel versus Sportsucht. Am Beispiel der Sportsucht zeigt sich, dass diese aktuell keine anerkannte Krankheitsdiagnose entsprechend den Kriterien nach ICD-11 oder DSM-5 ist. Dabei zähle ich allerdings verschiedene Gefahrenpotenziale auf, wie beispielsweise zu hohe Trainingsumfänge, rigide und zwanghafte Bewegungsabläufe, fehlende Pausengestaltung, ausbleibende Erholungsphasen, großer Konkurrenzkampf, eine hohe Leistungsorientierung und dysfunktionales Bewerten von technischen Hilfsmitteln wie Apps oder Trackern. Diese könnten ein solches spezielles „Burn-out-Syndrom“ sowohl verhindern als auch definieren.
body LIFE: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Yvonne Menges
Foto: Dr. Manuel Ortmann, Martin Wagner; Schön Klinik