Digitale Transformation
Der professionell digitalisierte Fitnessclub ist hybrid
Während der Pandemie haben viele Fitnessanlagen ihre Kurse online übertragen. Die aus der Not geborenen improvisierten Trainingsvideos haben inzwischen ausgedient. Das Londoner Unternehmen Wexer katapultiert Clubs mit einem Komplettpaket aus Livestreaming und Trainings-Apps in die Ära der Digitalisierung.
Durch Covid-19 hat sich die Digitalisierung in der Fitnessbranche extrem beschleunigt. In kürzester Zeit gingen viele Boutique- und Fitnessstudios dazu über, Kurse online anzubieten. Die Angebote werden immer professioneller und sie werden hybrid, d.h., dass das Training zu Hause und das Training im Studio zukünftig miteinander kombiniert werden. Virtuelle Angebote werden zunehmend nicht mehr nur für das Training in den eigenen vier Wänden, sondern auch für das Training im Fitnessstudio genutzt. Der Kunde entscheidet, wann, wo und wie er trainieren will. Aber wie genau kann man sein Fitnessstudio für diese neue hybride Welt fit machen?
Während der Coronapandemie haben sich Internetplattformen und Apps etabliert, die zunächst das Training zu Hause ermöglichten, jetzt aber auch als Lösungen für die weitere Digitalisierung in Fitnessstudios eingesetzt Livekurwerden. Allen voran die Streamingplattform Wexer mit Sitz in London, die neben Livekursen und Groupfitness on demand auch Cyclingprogramme, Functional und Personal Training digitalisiert.
Digitales Komplettpaket für Fitnessanlagen
Seit Januar 2022 kooperiert Wexer mit Pure Fitness, dem amerikanischen Ableger von PureGym, einem Discounter, der rund um die Uhr geöffnet ist. Der Anbieter betreibt bereits über 500 Clubs in Großbritannien, der Schweiz und Dänemark und arbeitet schon seit Längerem mit Wexer zusammen. „Diese Partnerschaft, die 2014 in Großbritannien ihren Anfang nahm, wird immer stärker“, bestätigt Jake Shand, Leiter der Geschäftsentwicklung von Wexer in den USA. Zwei von drei Clubs im Großraum Washington wurden bereits eröffnet. Der dritte soll im ersten Quartal 2022 folgen.
Neben den traditionellen Angeboten wie Kursen oder dem Training an Geräten sowie Functional Training bieten alle drei neuen Anlagen ihren Mitgliedern ein von Wexer speziell entwickeltes Programm für virtuelle Fitnesskurse an. Die Clubs verfügen über je zwei „Wexer Virtual Player“, die auf großen Bildschirmen ein flexibles virtuelles Fitnessprogramm – von HIIT über Cardio und Kraft bis hin zu Yoga und Cycling – ermöglichen. Mit dem digitalen System können 1 600 Kurse online abgerufen und vor Ort auf einem Großbildschirm gezeigt werden. Das Angebot ist auch für zu Hause oder unterwegs über Smartphone oder Tablet nutzbar. „Die Ergänzung mit virtuellen Fitnessangeboten wird uns helfen, uns besser von der Konkurrenz abzuheben“, sagt Francine Davis, Chief Strategy Officer bei PureGym. „Wir sind gespannt, wie sich unsere Teststandorte in den USA entwickeln.“
Ungenutzte Kursräume effizient auslasten
Die Übertragung der Kurse kann nicht nur durch das Personal der Fitnessanlage gesteuert werden. Ein spezieller Touchscreen, der sogenannte Virtual Trainer, ermöglicht es, neben virtuellen Kursen auch auf vorinstallierte Übungen zuzugreifen. Die Benutzeroberfläche ist intuitiv zu bedienen. Mitglieder können je nach Trainingsniveau Ausrüstung oder gewünschtem Trainingsziel ganz unterschiedliche Übungssequenzen abrufen. Die Touchscreens ermöglichen es, dass Mitglieder Kurse im Kursraum starten, ohne dass Trainer anwesend sind. So kann das Kursangebot erweitert und die Auslastung der Räume verbessert werden. Die Displays können auch im Functional- Training-Bereich eingesetzt werden oder auf der Gerätefläche bei Dehn- und Kraftübungen unterstützen.
Die Streamingplattform Wexer bietet neben Livekursen und Groupfitness on demand auch eine spezielle Software namens „Intelligent Cycling“. Durch den Einsatz von Augmented Reality werden verschiedene Aufnahmen automatisch überlagert, sodass kein Kurs dem anderen gleicht, selbst wenn das Fahrprofil gleich bleibt. Auch „Intelligent Cycling“ kann von zu Hause (sofern ein Bike vorhanden ist) und auch im Studio genutzt werden. In der Fitnessanlage kann der Kurs auf eine große Leinwand übertragen werden. Mitglieder können die Online-Kurse über ihr Smartphone selbst aktivieren. Das 2019 fertiggestellte cloudbasierte Cyclingprogramm stammt von der gleichnamigen dänischen Firma Intelligent Cycling und trägt dazu bei, dass Bikes in den Clubs optimal ausgelastet werden, indem On-demand-Inhalte, das Streaming von virtuellen Livekursen und VR-fähiges Indoor Cycling angeboten werden. Das Programm bietet neben etlichen bereits vorchoreografierten Kursen auch die Möglichkeit, dass Trainer aus Hunderten vorgefertigten Trainingseinheiten ihr eigenes Workout zusammenstellen und dadurch Zeit bei der Vorbereitung sparen. Die dazugehörige App liefert sogar ein Trainings-Feedback in Echtzeit.
Personal einzusparen kann kontraproduktiv sein
Discounter wie PureGym können durch dieses virtuelle Ökosystem 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche ein umfassendes virtuelles Programm anbieten, was natürlich erheblich Kosten spart. Personalkosten sind schließlich einer der größten Kostenfaktoren in Fitnessanlagen. Allerdings sind die eigenen Trainer auch das Alleinstellungsmerkmal eines Fitnessstudios. Vorwiegend auf Streaming von Kursen zu setzen, könnte auch kontraproduktiv sein. Schließlich ist der soziale Faktor mitentscheidend für eine langjährige Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio. Ob sich ein Trainingsbetrieb, in dem nahezu keine reale Menschen für die Kunden da sind, durchsetzen wird, ist fraglich, zumal das Angebot von Wexer in den unterschiedlichsten Fitnessclubs der Welt gestreamt wird. Wer also fast ausschließlich auf Wexer setzt, um Kosten zu sparen, dem fehlt ein Alleinstellungsmerkmal.
Premiumanbieter sollten Vorsicht walten lassen, denn wenn das Angebot auch bei Billiganbietern erhältlich ist, ist eine Abgrenzung schwierig und höhere Preise sind kaum zu rechtfertigen. Schwierig wird es, wenn man eine Partnerschaft mit Wexer eingeht und selbst Content für die Plattform liefert. Bisher liefern 60 Partner live und on demand Videos für den Streamingdienst. Auch hier ist Vorsicht geboten, denn wer sehr gute Trainer hat, verkauft damit auch sein Team an Wexer. Das Unternehmen gibt sogar den Tipp, sehr beliebte und erfolgreiche Trainer als Aushängeschild sehr viel besser zu bezahlen und mit ihnen über Videos auf der Plattform durch die hohe Reichweite Werbung für das eigene Fitnessstudio zu machen. Aber dazu müssen die Trainer überregional bekannt sein und es muss kontinuierlich eine sehr hohe Qualität aufrechterhalten werden. Ob das sinnvoll ist, muss jeder Clubbetreiber selbst abwägen. Noch dazu besteht die Gefahr, dass zahlende Kunden zum Streamingdienst wechseln.
Der Datenschutz muss gewährleistet sein
Schwierig ist auch das Filmen in Kursen aus Gründen des Datenschutzes. Wexer selbst möchte natürlich, dass möglichst viele Studios über eine Partnerschaft Videos von ihren besten Trainern für alle live zur Verfügung stellen. Zurzeit sind es 60 Studios, die Content bereitstellen. Je mehr Fitnessanlagen mitmachen, desto mehr Kurse kann der Streamingdienst bereitstellen. Bei Trainingsdaten handelt es sich um sensible, sehr persönliche Daten der Mitglieder. Datenschutz spielt dabei eine maßgebliche Rolle. Die Sicherheit ist ein entscheidendes Kriterium für die Nutzung digitaler Angebote. Es gibt Mitglieder, die haben kein Problem damit, bei einem Liveevent gefilmt zu werden. Andere wollen weder gefilmt noch getrackt werden. In einem Fitnessstudio sollten deshalb beide Möglichkeiten, also digital und analog, berücksichtigt werden, denn in Zukunft wird es ganz ohne Technik wohl nicht mehr gehen, wenn Fitnessclubs konkurrenzfähig bleiben möchten. Allerdings muss der Datenschutz dabei gewährleistet sein.
Zunehmende Bedeutung des hybriden Trainings
Als zusätzliches Angebot, um das Training für Mitglieder flexibler und individueller zu gestalten, wird das virtuelle Training wahrscheinlich zunehmend eine Rolle spielen, denn Bequemlichkeit und Flexibilität sind für Kunden ein entscheidendes Kriterium für die Auswahl eines Fitnessanbieters und seit Corona haben sich viele an online verfügbare Angebote gewöhnt. Dass es nicht ausreicht, nur die Hybridtechnologie zu liefern und von anderen produzierte Videos live oder on demand zu zeigen, hat Wexer erkannt. Die Erstellung von digitalen Inhalten ist nicht mehr nur ein Nebenprodukt des Clubbetriebs – sie wird zukünftig ein Eckpfeiler des hybriden Erfolgs sein und die eigene Corporate Identity untermauern. Alle Angebote, analog wie digital, sollten allerdings auf die Zielgruppe des Fitnessstudios und die Anforderungen der Mitglieder angepasst sein, damit das Erlebnis live und virtuell stimmig ist. Wexer arbeitet bereits mit 4 000 Fitnessclubs zusammen und versucht, für jeden ein möglichst eigenes digitales Ökosystem zu entwickeln, das auch selbst produzierte Videos umfasst, die nur den jeweiligen Mitgliedern zur Verfügung stehen. Neben Angeboten im Bereich Groupfitness können zusätzlich Trackingdaten eingebunden, Werbung auf Bildschirmen geschaltet, mit Mitgliedern kommuniziert und Apps für das Training auf der Gerätefläche eingebunden werden.
Die Datenhoheit und Kontrolle behalten
Die Inhalte können mittlerweile unter der eigenen Marke des Studios in einer eigenen App bereitgestellt werden. Ein Software Development Kit (SDK) ermöglicht es Betreibern, virtuelle Inhalte aus der Wexer-Bibliothek in ihre Apps einzubinden – ohne sich um die Beschaffung, Verwaltung und Lizenzierung der Inhalte von Drittanbietern kümmern zu müssen. Über ein Content- Management-System wird gesteuert, wie die Inhalte angezeigt werden.Die Benutzeroberfläche kann an das eigene Design angepasst werden.
Das hat den Vorteil, dass Inhaber eines Studios die Datenhoheit behalten und die Inhalte, die abrufbar sind, an die eigene Corporate Identity anpassen können. Der Zugriff auf Videos der eigenen Trainer ist dann nur Mitgliedern – oder über eine selbst festgelegte Paywall auch Externen – möglich.Geschäftsinhaber haben dann praktisch ihre eigene Plattform, auf der sie die Inhalte für ihre Mitglieder digital bereitstellen. So behalten sie nicht nur die Kontrolle über die Daten, sondern machen sich auch nicht von einem digitalen Drittanbieter abhängig.
Clubeigene Inhalte werden bevorzugt abgerufen
Laut Wexer funktioniert das gut: „Die digitale Fitnessplattform des asiatischen Konzerns Evolution Wellness, die von Wexer unterstützt wird, zeigt, dass nur 30 Prozent der verfügbaren Inhalte selbst produziert sind. Diese 30 Prozent machen jedoch 47 Prozent aller Aufrufe aus.“ Das verdeutliche, dass Mitglieder die Inhalte des eigenen Fitnessstudios bevorzugten. Eigene Inhalte bereitzustellen hat darüber hinaus den Vorteil, dass die favorisierten Trainer einen Kurs in weitere Kursräume und nach Hause live übertragen können und so mehr Mitglieder teilnehmen können. Volle Kurse und Kapazitätsengpässe sind dadurch Vergangenheit. Kleine Gruppen von Mitgliedern können sich spontan verabreden und außerhalb der Stoßzeiten über ihr Smartphone einen Kurs mit ihrem Lieblingstrainer über den großen Bildschirm in einem ungenutzten Kursraum starten. Das eröffnet ganz neue Perspektiven. Auch lizenzfreie Musik ist verfügbar.
Rechtliche Absicherung: Lizenzfreier Musikimport
Damit der Sound stimmt, kann Musik leicht importiert werden. Durch die Integration des Stockholmer Unternehmens Swedebeat, dem in Schweden führenden Anbieter von Musik für die Fitnessindustrie, ist das Streaming der Musik rechtlich abgesichert. Mit einem „Session Designer“ können Trainer nicht nur eigene Workouts online erstellen, sondern auch Musik von Spotify oder MP3-Dateien durch Drag-anddrop importieren. Die Musik wird automatisch mit den Trainingsintervallen abgestimmt. Die DMX-Software, die in dem System von Intelligent Cycling integriert ist, ermöglicht eine kreative Beleuchtung. Dazu sind zusätzlich nur ein LED-Set-up und ein Art-Net-Konverter notwendig.
Rita Hoogestraat
Foto: Wexer