Digitalisierung im Fitnessclub
body LIFE Expertentalk
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der Fitnessbranche und wie lassen sich digitale Erlebnisse auf der Trainingsfläche zukünftig gestalten? Antworten auf diese und weitere spannende Fragen lieferte der body LIFE-Expertentalk am 25. April in Ettlingen. Max Barth diskutierte mit bekannten IT-(Fitness-) Experten über Chancen und Risiken für Clubbetreiber.
Max Barth: Wie wird sich die Digitalisierung in der Fitnessbranche Ihrer Meinung nach zukünftig entwickeln? Auf welche Bereiche sollten sich Studiobetreiber fokussieren?
Boris Crismancich: (…) Technologisch wird es zukünftig zwei Richtungen geben: zum einen Smartphones, die mit auf die Trainingsfläche genommen werden, zum anderen linuxbasierte Computer, mit denen Systeme ausgerüstet werden. Auch VR – Virtual Reality – wird in einigen Jahren eine wichtige Rolle spielen; aktuell ist dafür die Hardware allerdings noch zu kostenintensiv (…). Fakt ist: Produkte haben ausgedient, der Fokus liegt auf Lösungen. Der Mensch möchte kein Auto, er möchte Mobilität. Im Mittelpunkt sollte dabei die User-Experience stehen. Es geht immer darum, welche Erlebnisse ein Kunde mit den jeweiligen Produkten hat. Diese Punkte gesamtheitlich zu betrachten und durch Sammeln von Daten zu optimieren, wird zukünftig der Schlüssel für das Erlebnis auf der Trainingsfläche.
Max Barth: Nico, wie sieht die Realität im Bereich Digitalisierung derzeit in den Fitnessstudios aus?
Nico Scheller: Als ich vor elf Jahren in die Fitnessbranche gekommen bin, habe ich mich in die Steinzeit zurückkatapultiert gefühlt. Digitalisierung hat damals noch nicht stattgefunden. Mittlerweile sind wir ein Stück weiter, aber noch weit entfernt von einem ganzheitlichen Weg. Viele Anbieter haben Insellösungen, bei denen die „Customer Journey“ noch keine Berücksichtigung findet. Damit meine ich den Weg eines Kunden innerhalb des Studios: von der Kundenakquise über die Datenerhebung im Club, ein ordentliches Retention-Management und Mitgliederverwaltung bis schlussendlich zur Kündigung und ggf. Reaktivierung. Dafür eignen sich die unterschiedlichsten Module, wie z.B. Körpermessungen, Wearables und Tracker, die miteinbezogen werden können. Dieses Geflecht so aufzubrechen, dass Schnittstellen geschaffen werden können, wird die Herausforderung der Zukunft sein. (…)
Max Barth: Wie stark fangen solche ganzheitlichen Konzepte an, sich am Markt durchzusetzen?
Simon Heinz: User-Experience ist in vielen Fällen noch ein Fremdwort. Fitnessunternehmer sollten sich die Frage stellen, welche Erlebnisse sie ihren Kunden bieten wollen. Erst dann kann man vernetzte Lösungen, bestehend aus unterschiedlichen Partnern aus den Bereichen Verwaltung, Analyse, Dokumentation etc., bieten.
Nico Scheller: Der Fokus sollte ganz klar auf dem Kundennutzen liegen: Welche Interaktion möchte er digital mit dem Fitnessclub haben? Jeder Anbieter macht momentan seine eigene App, aber der Kunde ist Mitglied in einem Studio und möchte am liebsten alles aus einer Hand in einem geschlossenen System. Die Wünsche des Kunden sollten im Fokus stehen, nicht die des Clubbetreibers oder des Geräteherstellers.
Max Barth: Wie groß ist Ihrer Meinung nach das Interesse der Studiobetreiber an Tools zur Kundenfokussierung und -segmentierung?
Sascha Peter: Wir haben die Endkunden schon lange im Blick und hatten noch nie eine so starke Entwicklung hin zur Fokussierung auf den Endnutzer und seinen Bedürfnissen. Der Kunde will Erlebnisse. Und unsere Aufgabe ist es, ihm diese Erlebnisse zu bieten. In anderen Ländern ist man in diesen Bereichen schon sehr viel weiter. Die deutsche Fitnessbranche tut sich damit noch etwas schwer. Aber auch hier wird diese Entwicklung kommen. Wer jetzt die breiteste Palette von funktionierenden Gesamtlösungen bietet und für die Schnittstellen etablierte Partner sucht, wird am Ende führend sein. Auch in Deutschland wird nicht unbedingt der Große den Kleinen fressen, sondern eher der Schnelle den Langsamen.
Max Barth: Wie kann ich als Fitnessunternehmer in der Praxis von der Digitalisierung und der Automatisierung profitieren und meinen Kunden noch damit einen zusätzlichen Mehrwert bieten?
Sascha Peter: Es ist wichtig zu prüfen, welche Prozesse innerhalb des Studios überhaupt automatisiert werden können und welche nicht. In vielen Bereichen wird der Mensch nicht ersetzbar sein, in anderen wiederum können durch standardisierte Prozesse die Mitarbeiter entlastet werden und haben dadurch mehr Zeit für die Kunden. Als dritten Punkt dient die Digitalisierung als Controlling-Instrument für die Betreiber. Ich muss wissen: Wie zufrieden sind meine Kunden, wie sind die Check-in-Zeiten und – dadurch abgeleitet – wie hoch ist das Kündigungsrisiko eines Kunden? Dadurch können die Trainer ihre Beratungsqualität extrem erhöhen.
Simon Heinz: Gerade bei der Kundenbetreuung kann Digitalisierung einen extremen Mehrwert schaffen, indem zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Informationen für die Trainer oder Therapeuten zur Verfügung gestellt werden können und sie damit mit noch mehr Kompetenz ausstatten.
Max Barth: Was passiert jedoch mit meinen gesammelten Daten, wenn ich als Unternehmer plötzlich den Anbieter wechseln möchte und es noch keine standardisierte Schnittstelle gibt?
Walter Süß: Bei einem Einzelstudio ist eine Migration absolut überschaubar. Bei einer Kette mit bis zu 100.000 Mitgliedern ist das eine umfangreiche Aufgabe, die sich über mehrere Monate hinweg hinziehen kann, weil es keine Standardisierung in der Schnittstelle gibt. Jeder hat seine eigenen Vertragsgestaltungen, die nun ein anderes Softwareunternehmen übernehmen soll. Dafür gibt es derzeit keinen Standard. Hier Schnittstellen zu schaffen, ist wirtschaftlich nicht sinnvoll.
Nico Scheller: Ich glaube nicht, dass Schnittstellen es erleichtern, eine Software zu wechseln. Ich glaube sogar, das Gegenteil ist der Fall: Wenn ich eine Software habe, die offen ist und an die ich meine punktuelle Individualsoftware als Insellösungen angliedern kann, ist doch mein Wechselrisiko viel geringer.
Frage aus dem Publikum: Ich versuche gerade, die Praxis anzupacken, und bin in der misslichen Lage, dass ich einen Anbieter finden muss, der zu mir passt – mit der Gefahr, dass er in zwei Jahren nicht mehr zu mir passt und das ganze Prozedere von vorne beginnt. Warum ist die Industrie nicht in der Lage, eine Schnittstelle zu definieren, sodass wir als Studiobetreiber die Möglichkeit haben, unterschiedliche Anbieter anzudocken?
Walter Süß: Ich bin ganz der Meinung, dass wir so viele Anbieter im Markt haben mit individuellen Lösungen, die ein einzelner Softwareanbieter gar nicht alle abdecken kann. Wenn ein Clubbetreiber vier oder fünf Bedürfnisse hat, dann benötigt er einen Softwareanbieter, der bereit ist, diese Dienstleister anzubinden.
Sascha Peter: Alles kann nicht von einem Hersteller kommen, das stimmt. Allerdings schaut man sich z.B. die Firma Apple an, die ebenfalls sehr geschlossen sind und sehr viel selbst machen, ist es durchaus möglich, das meiste anhand unterschiedlicher Produkte selbst abzudecken, gerade wenn man eine lange Erfahrung hat. Ich glaube, Schnittstellen müssen da geschaffen werden, wo die Kompetenzen enden. Entscheidend für Fitnessunternehmer ist die globale Nutzerzahl und die Frage: Wer von den Anbietern wird sich langfristig im Markt etablieren können? Schnittstellen bergen in meinen Augen auch immer die Gefahr, dass die Qualität nicht gesichert werden kann. Qualitätssicherung ist in meinen Augen am besten gegeben, wenn eine Software aus einer Hand kommt. Wie es in Zukunft sein wird, wissen wir nicht.
Bei diesem Artikel handelt es sich um Auszüge aus dem Expertentalk. Den vollständigen Expertentalk können Sie hier ansehen.
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Foto: body LIFE