Prozessoptimierung vor Digitalisierung
Wie Sie Ihr Unternehmen für die Aufgaben der Zukunft optimal aufstellen
Über 76 Prozent der Fitnessunternehmen wollen laut aktuellem Branchenkennzahlenbericht in die Digitalisierung investieren. Ein Wert, der den des Vorjahres übertrifft. An der Sinnhaftigkeit von Automatisierungsprozessen scheint inzwischen kaum noch jemand zu zweifeln. Die Frage nach dem Ob ist also geklärt, die Frage nach dem Wie und Wo ist für viele aber nicht so einfach zu beantworten.
Die ersten Gedanken fließen in der Regel in Richtung Digitalisierung der Trainingsfläche, schließlich ermöglichen mit dem Internet verbundene Trainingsgeräte, digitale Trainingsplanungen oder moderne, datenbankangebundene Testsysteme den Trainierenden ein modernes und professionelleres Training und den Trainern ein kundenorientiertes Arbeiten. Premiumanlagen erhoffen sich durch den noch professionelleren Service eine bessere Abgrenzung zum Discountsegment. Neue Zielgruppen sollen erschlossen und der Monatsdurchschnittsbeitrag erhöht oder zumindest gehalten werden können.
Betriebswirtschaftlich gesehen, steht also die Steigerung – oder zumindest die Sicherung – des Gesamtumsatzes im Vordergrund der Überlegungen bezüglich einer Investitionsentscheidung. Zu schnell wird dabei aber übersehen, dass das Betriebsergebnis nicht nur umsatz-, sondern auch kostenabhängig ist. Doch gerade auf der Kostenseite bieten Digitalisierungsprozesse enorme Optimierungsmöglichkeiten: Es sind insbesondere die Bereiche Verwaltung, Mitgliedermanagement, Vertrieb, Service und Bistro, die ungeahnte Verbesserungspotenziale in sich bergen.
Arbeitsabläufe analysieren und optimieren
„Kostenoptimierung“ bei gleichzeitig hohem Service- und Trainingsqualitätsanspruch ist das Schlagwort. Was wie die „eierlegende Wollmilchsau“ klingt, rückt durch die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung in greifbare Nähe. Der Schlüssel dabei sind digitale Betriebskonzepte, durch die Prozesse automatisiert und optimiert werden.
Die hierfür anzuschaffenden Softwaresysteme, Hardwarekomponenten, Zugangskontrollsysteme und/oder Endkundenanwendungen (Apps, Log-in-Bereiche etc.) haben aber die negative Eigenschaft, dass sie nicht „per se“, also nur durch ihre reine Anschaffung, automatisch Kosten senken oder Arbeitsabläufe optimieren. Vielmehr bedarf es zunächst einer intensiven Auseinandersetzung der Entscheidungsträger mit den bisherigen Arbeitsabläufen im Unternehmen. Diese müssen in ihrer Gesamtheit hinterfragt und bei Bedarf verändert und – wenn möglich – durch moderne, digitale Lösungen komplett neu abgebildet werden.
Der Entscheidungsträger sollte sich also vor der Anschaffung irgendwelcher Digitallösungen oder Geräte die Fragen beantworten: Wie stelle ich mir mein Studio der Zukunft vor? Was will ich zukünftig erreichen und wie viel Aufwand und Geld spare ich tatsächlich durch die Einführung dieser oder jener Neuerung ein? Sind es Arbeitsstunden oder Materialkosten, die eingespart werden, oder kann ich z.B. meinen Vertriebs- oder Marketingaufwand reduzieren?
Ohne eine solche kritische Analyse der aktuellen Arbeitsprozesse und der Entwicklung eines klaren Zukunftsbildes im Vorfeld wird es zunehmend schwieriger, Unternehmen in eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft zu führen. Das betriebliche Umfeld ist permanenten Veränderungen unterworfen. Im Gegensatz dazu stammen viele Arbeitsprozesse der Gegenwart aus einem „Vor-Internet-Zeitalter“ und können den Anforderungen der digitalen Welt in der Regel nicht mehr standhalten. Möchte man dieses mithilfe moderner Digitaltechnik ändern, spricht man von einer „digitalen Mobilisierung“ des Unternehmens.
Ein praktisches Beispiel
Werfen wir einen Blick auf ein beispielhaftes Szenario, das deutlich macht, wie eine solche digitale Mobilisierung gestaltet werden kann. Im konkreten Fall steht die Senkung der Verkaufs- bzw. Vertriebskosten im Vordergrund:
In einer klassisch betriebenen Fitnessanlage führt eine Online- und Social- Media-Werbekampagne (z.B. Facebook- Marketing) zur Generierung von sogenannten Leads, die von speziell geschulten Vertriebsmitarbeitern oder Verkäufern nachbearbeitet werden müssen. Diese „Leads“ werden in der Regel per Telefon oder E-Mail kontaktiert und zu einem Beratungs- bzw. Verkaufsgespräch eingeladen. Anzusetzende Arbeitszeit dafür: mindestens 30–45 Minuten. Ein gut geschulter Verkäufer erzielt aus den zur Beratung erschienenen Interessenten eine ca. 70-prozentige Abschlussquote und bei professioneller Gesprächsführung noch weitere „Leads“ über persönliche Weiterempfehlung.
Möchte man diesen Prozess optimieren, stehen diverse digitale Tools bzw. Hilfsmittel zu Verfügung, um z.B. die Abschlussquoten mehr oder weniger erfolgreich zu erhöhen oder um die Produktivität des Vertriebspersonals zu steigern. Das schwächste oder vielmehr unsicherste Glied in dieser Kette ist nun der Mitarbeiter. Mit seinen Fähigkeiten und seinem Engagement steht und fällt der Erfolg. Unternehmen haben aber zunehmend Schwierigkeiten, geschultes, motiviertes und nicht zuletzt talentiertes Personal für diese Aufgabe zu finden. Gleichzeitig steigen die Mitarbeiterkosten pro Stunde permanent an und schlucken einen nicht unbeträchtlichen Anteil des dagegenstehenden Umsatzes.
Die Aufgabe ist es nun, den Mitgliedschaftsverkauf grundsätzlich neu zu strukturieren. Dazu muss der gesamte Prozess von Grund auf hinterfragt und vollkommen neu aufgesetzt werden. Andernfalls laufen Investitionen für eine digitale Lösung des Problems ins Leere. Natürlich schmerzt es den Unternehmer, eingeführte, veraltete Arbeitsprozesse und -abläufe auf den Prüfstand zu stellen und notfalls auch „zu Grabe zu tragen“. Es erfordert Mut, visionäres unternehmerisches Denken und Handeln.
Wie könnte das im beschriebenen Fall aussehen? Der Interessent einer Online- Kampagne wird zukünftig nicht mehr auf eine Landingpage, sondern direkt in das Online-Verkaufstool des Studios geleitet. So schafft man einen volldigitalen Prozess, in dem der Interessent direkt Studiomitglied werden kann. Quasi „über Nacht“ entfallen kostenund nervenraubende Prozesse: Callcenter, lange Verkaufsgespräche, das Ausfüllen von Papierverträgen, die Kontrolle der Arbeitszeiten und der Performance des Mitarbeiters, die händische Eingabe von Vertragsdetails in das System usw. Ganz zu schweigen von dem Zeitaufwand, das entsprechende Personal zu finden, zu schulen und zu entwickeln.
Mitgliedschaften jederzeit und überall abschließen
Man schafft so einen neuen Weg der Kundengewinnung, wie ihn der Konsument im Übrigen bereits aus anderen Lebensbereichen kennt: Kleidung wird online bestellt, Flüge oder ganze Reisen werden online gebucht. Warum nicht auch Fitnessstudio-Mitgliedschaften? Der Kunde wird durch eine intelligente Digitalstrategie in die Lage versetzt, überall und zu jeder Zeit über seinen Computer oder sein Handy eine Mitgliedschaft abzuschließen. Vor allem die mobilen Lösungen sind dabei gefragt. Selbst wenn man durch diese strategische Entscheidung in einem ersten Schritt eine Online-Quote von „nur“ 30– 40 Prozent seiner Neuabschlüsse erzielt, entlastet man sein Studiomanagement erheblich und die Verkaufs- und Vertriebsmitarbeiter können die gewonnene Zeit für andere, ggf. gewinnbringendere Themen wie Firmenfitness oder Kooperationen einsetzen.
Hat man als Verantwortlicher diese grundsätzliche Entscheidung getroffen und möchte man in den Online-Verkauf von Mitgliedschaften einsteigen, stehen aber sofort die nächsten Entscheidungen und Prozessoptimierungsanforderungen „vor der Tür“: Man muss sich äußerst kritisch mit dem eigenen Internetauftritt auseinandersetzen und sich die Frage stellen, inwieweit die Website so verkaufsoptimiert und informativ ist, dass ein Interessent Lust darauf bekommt, sich beim Studio anzumelden – und zwar ohne das Studio jemals von innen gesehen zu haben!
Im nächsten Schritt braucht es dann ein Verkaufstool, das kundenfreundlich, selbsterklärend und direkt mit der Mitgliederverwaltung verbunden ist, sodass ein Neuvertrag keinen weiteren administrativen Prozess benötigt. Dieses Tool muss also so gut sein, dass es den gesamten Online-Verkaufsprozess sowohl attraktiv und zeitnah als auch rechtssicher und prozessoptimiert abbildet. Man steht hier im Vergleich mit den großen Online-Anbietern wie EBAY, Amazon oder anderen professionellen Onlineshops, von denen der Konsument inzwischen „gelernt“ hat, wie eine Online- Anmeldung oder ein Online-Kauf heutzutage abzulaufen hat.
Dieses eine Beispiel soll deutlich machen, wie wichtig es in der Zukunft sein wird, tatsächlich möglichst alle Prozesse einer Fitnessanlage zu hinterfragen und zu optimieren, denn nicht nur im Verkauf schlummern viele Optimierungspotenziale. Mindestens ebenso viel Potenzial findet man im Bistro, im Mitgliedermanagement, bei den After-Sales-Prozessen und in der Personalplanung.
Fazit
Egal, um welchen Bereich es sich handelt: Es gilt immer die Regel, dass zunächst die Arbeitsprozesse analysiert werden müssen und erst danach digitale Lösungen installiert werden können, die das gewünschte Ergebnis erzielen. Denn Digitalisierung trägt erst dann maximal zur Steigerung des wirtschaftlichen Erfolges eines Unternehmens bei, wenn alle Prozesse optimal ineinandergreifen, es keine „Insellösungen“ mehr gibt und die Endkunden die neuen digitalen Prozesse als Verbesserung und nicht als Verschlechterung im Sinne einer zunehmenden Anonymisierung empfinden.
Denn in diesem Punkt unterscheidet sich die Fitnessbranche deutlich von der Online-Wirtschaft: Der direkte und persönliche Kundenkontakt wird immer eine zentrale Rolle einnehmen. Die Digitalisierung soll dies unterstützen und keinesfalls ersetzen. Sie soll es den Mitarbeitern ermöglichen, noch näher am Kunden zu sein, ohne weitere Kosten zu produzieren. Guter Kundenservice bei gleichzeitiger Kostenoptimierung führt zu einem positiven Betriebsergebnis, und zwar unabhängig von der Positionierung des Fitnessunternehmers.
Christian Hörl
Christian Hörl hat 30 Jahre Berufserfahrung in der Fitnessbranche. Er ist Inhaber und Geschäftsführer von 15 Fitnessclubs inklusive Ernährungszentrum, Kosmetikzentrum und einer Privatklinik mit dem Schwerpunkt Physiotherapie. Er ist zudem Geschäftsführer der DSB – digital systemischen Betriebskonzepte GmbH, welche Betriebe in die digitale Zukunft transformiert und verschiedene Lizenzsysteme für Fitnessstudios anbietet.
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Fotos: vegefox – stock.adobe.com, Foto: farland9 – stock.adobe.com; Christian Hörl