Fitness und Therapie miteinander vernetzen
Interview mit Dipl. Sportlehrer Patrick Herbst, Fachreferent der AG Prävention von PHYSIO-DEUTSCHLAND
Die Kooperation von Fitnessstudios und Physiotherapiepraxen ist aus Sicht von Patrick Herbst äußerst sinnvoll. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt, dass das Zusammenwachsen in Zukunft unausweichlich ist. Dazu müssten allerdings Physiotherapiepraxen und Fitnessstudios teilweise ihre Denkweisen anpassen.
body LIFE: Warum macht es für Studios Sinn, eine Kooperation mit Physiotherapeuten einzugehen?
Patrick Herbst: Ich halte es für sehr sinnvoll, Fitness und Therapie miteinander zu vernetzen. Denn durch normalen Fitnesssport lassen sich bestehende Probleme an Rumpf und Skelettmuskulatur oftmals nicht beheben.
Umgekehrt ist es aber auch so, dass die Physiotherapie eher rehabilitativ arbeitet, also ein Symptom behandelt, aber weniger dessen Ursprung, zum Beispiel den allgemeinen Bewegungsmangel. Bei einer Kooperation profitieren Fitnessstudios vom hohen Fachwissen der Physiotherapeuten, was Bewegungsausführung und medizinische Zusammenhänge betrifft – etwa bei Kunden mit bereits bestehenden orthopädischen Problemen. Gleichzeitig bietet ein Trainingsbereich für Physiotherapeuten die Möglichkeit, die Behandlungen stärker zu variieren und präventiv auf den Patienten einzuwirken. Am Ende geht es schließlich in beiden Bereichen um die Gesundheit des Patienten und diese lässt sich mit einer Verknüpfung von Primärprävention und Rehabilitation sicherlich am besten erhalten.
body LIFE: Ist eine Kooperation zwischen den beiden Parteien allein schon durch die zunehmende Verflechtung des ersten und zweiten Gesundheitsmarktes zu empfehlen? Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Patrick Herbst: Aus meiner Sicht ist ein Zusammenwachsen in naher Zukunft unausweichlich. Allerdings gehen die Denkweisen von Fitnessstudios und Physiotherapieeinrichtungen teilweise noch auseinander. Dass man aber mit beiden am Ende Geld verdienen muss, steht natürlich außer Frage. Deshalb würde ich befürworten, wenn sich beide Bereiche jeweils vom anderen etwas abschauen und sich im Idealfall ergänzen.
body LIFE: Welche Synergien können bei einer Kooperation von Fitnessstudio und Physiotherapiepraxis entstehen? Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich gemacht?
Patrick Herbst: Ich würde dabei grundsätzlich zwei Dinge unterscheiden:
einmal die Kooperation von Physiotherapie und Fitnessstudio mit unterschiedlicher Geschäftsführung beziehungsweise Gesellschaftern und von zwei Unternehmen mit ein und demselben Gesellschafter/Geschäftsführer. Betreibt ein und dieselbe Person eine Physiotherapie und ein Fitnessstudio unter einem Dach, ist der Synergieeffekt natürlich größer. Die Ambition, Patienten aus der Physiotherapie zu animieren, ihre Therapieerfolge im Fitnessstudio zu erhalten, ist hierbei deutlich höher, da es sich für den Betreiber direkt auszahlt. Auch bestehende Studiomitglieder bevorzugen bei Beschwerden, sich in den gleichen Räumlichkeiten physiotherapeutisch behandeln zu lassen, ohne noch einmal einen extra Weg anzutreten. Der Ehrgeiz eines Betreibers, Mitglieder in die benachbarte Praxis eines Kollegen zu schicken, hält sich meiner Erfahrung nach allerdings in Grenzen.
body LIFE: Wo sehen Sie klare Abgrenzungen der beiden Märkte?
Patrick Herbst: Fitness bedeutet für die meisten Spaß, Auspowern, Abschalten und – abgesehen von der aktuellen Pandemiephase – natürlich auch, soziale Kontakte zu pflegen. Die Mitglieder kommen freiwillig, weil sie das möchten. Das Aufsuchen einer Physiotherapiepraxis geschieht gezwungenermaßen, weil der Körper nicht mehr so funktioniert, wie man es sich erwartet. Es hat weniger mit Spaß zu tun, sondern ist in den meisten Fällen eine Notwendigkeit aufgrund der körperlichen Situation.
Eine Abgrenzung findet natürlich auch wirtschaftlich statt. Viele Physiotherapiepraxen arbeiten noch immer am Existenzminimum und bleiben außerdem auf Ausfallkosten sitzen, wenn Patienten Termine kurzfristig absagen. Die notwendige Eins-zu-Eins-Betreuung in der Therapie beschränkt außerdem die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells. Bei voller Auslastung kann ein Physiotherapeut mit einer 40-Stunden-Woche rund 3.500 Euro Umsatz im Monat für die Praxis erwirtschaften. Bei einem Gehalt von durchschnittlich 2.500 Euro brutto bleibt am Ende wenig übrig.
In einem Fitnessstudio sprechen wir teils von vierstelligen Mitgliederzahlen, die jeweils zwischen 50 und 70 Euro Monatsbeitrag zahlen, egal ob sie das Studio nutzen oder nicht.
body LIFE: Was macht aus Ihrer Sicht eine gute und professionelle Zusammenarbeit von Fitnessstudio und Physiotherapie aus? Welche Voraussetzungen sollten gelten?
Patrick Herbst: Die fachliche Kompetenz in beiden Bereichen muss definitiv gegeben sein. Sowohl in der Physiotherapie als auch im Fitnessstudio müssen die Hauptverantwortlichen ihr Handwerk verstehen, einander ergänzen und wissen, wie der andere Bereich tickt. Nur dann ist eine effektive Zusammenarbeit möglich. Ich möchte fast sagen, die Zusammenarbeit steht und fällt mit dem Team.
body LIFE: Gibt es rechtliche Rahmenbedingungen für die Kooperation?
Patrick Herbst: Jeder Teilbereich muss für sich die Auflagen und staatlichen Voraussetzungen erfüllen. Für ein Fitnessstudio ist erforderlich, dass zu jedem Zeitpunkt Trainer mit B-Lizenz auf der Trainingsfläche vorhanden sind. In einer Physiotherapie dürfen nur staatlich zugelassene Physiotherapeuten arbeiten und nur die Behandlungen erbracht werden, für die die Therapeuten eine Aus- oder Weiterbildung abgeschlossen haben.
Außerdem bestehen bei Physiotherapiepraxen räumliche Auflagen, wie etwa eine Mindesthöhe der Decke, die Anzahl und Größe der Behandlungsräume und das Vorhandensein bestimmter medizintechnischer Geräte. Der Praxisbereich muss außerdem räumlich vom Fitnessstudio abgegrenzt sein. Es muss Patienten möglich sein, den Behandlungsbereich zu betreten, ohne dafür vorher durch einen anders werblich genutzten Raum, beispielsweise. eine Trainingsfläche, gehen zu müssen. Bevor man so eine Kooperation startet, sollten daher die Zulassungsbedingungen einer Praxis überprüft werden. Diese kann man z. B. bei den physiotherapeutischen Verbänden erfragen.
body LIFE: Was sollten Fitnessstudios auf keinen Fall tun? Gibt es Fallstricke, die es zu beachten gilt?
Patrick Herbst: Wie bereits geschildert, sollten die räumlichen Voraussetzungen keinesfalls auf die leichte Schulter genommen werden. Verletzt man diese, kann die Zulassung als Physiotherapiepraxis auch nachträglich noch entzogen werden.
Auch in Sachen Fachkräftemangel darf man sich als Studiobetreiber nichts vormachen. Physiotherapeuten sind auf dem Arbeitsmarkt extrem gefragt – hier muss man stets aktiv bleiben, um entsprechende Mitarbeiter für das eigene Unternehmen zu gewinnen.
body LIFE: Was sind Ihre Erfahrungen aus der Praxis: Wie werden solche Kooperationen hierzulande umgesetzt, welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie in Zukunft?
Patrick Herbst: Bei den Kooperationen besteht sicherlich noch Nachholbedarf. Ich denke, dass viele Studiobetreiber die Vorteile sehen, aber vor den Zulassungsbedingungen zurückschrecken. Damit mehr Patienten auch nach der Therapie aktiv bleiben und etwas für ihre Gesundheit machen, würde ich mir sehr wünschen, dass sich das zukünftig ändert.
body LIFE: Vielen Dank für das interessante Interview!
Foto: Patrick Herbst