Green Pressure: aus Kür wird Pflicht
Interview mit Anja Kirig, Zukunfts- und Trendforscherin mit Schwerpunkt Sport- und Freizeitkultur
Dem Megatrend Neo-Ökologie kann sich heute niemand mehr entziehen! Der „Green Pressure“ bestimmt mehr und mehr unser privates und unternehmerisches Handeln. Für die Sportgesellschaft ist dies aus ganz unterschiedlichen Gründen von Bedeutung. Im Interview erklärt Anja Kirig, wie sich die Gesellschaft und vor allem auch die Fitnessbranche in Sachen Nachhaltigkeit verändern.
body LIFE: Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit als Zukunfts- und Trendfor-scherin?
Anja Kirig: Ich arbeite mit der Methodik von Megatrends und nutze sie, um Wandlungsprozesse sichtbar zu machen. Megatrends sind global, besitzen eine lange Aktualität, wirken tief in alle Be-reiche unseres Lebens und Alltags hinein und sind komplex in ihrem Wandlungsprozess. Megatrends sind also für alle Branchen und alle Aspekte von Gesell-schaft und Wirtschaft relevant. Sie sind ein Modell und Hilfsmittel, um komplexe Veränderungsprozesse verständlich zu machen. Auf diese entsprechend zu reagieren bedeutet, Zukunft aktiv mitzugestalten.
Was mich besonders interessiert, ist dabei der gesellschaftliche Wandel im Kontext neuer Werte und Bedürfnisstrukturen, die durch Megatrends ausgelöst werden. Wie reagieren Gesellschaft, Politik und natürlich auch Wirtschaft auf sie, welche Konsequenzen hat dies? Das lässt sich in soziokulturellen Entwicklungen zusammenfassen.
Speziell beschäftige ich mich dabei mit der Sportgesellschaft, aber auch den Freizeitmärkten allgemein, beispielswei-se auch dem Tourismus. Dafür sind unter anderem Megatrends wie Individualisierung, Gender Shift, Gesundheit, Neo-Ökologie, Urbanisierung, aber auch Themen wie „Silver Society“ und „Konnektivität“ besonders relevant. Diese werden von mir in Gemeinschaft mit dem Netzwerk der Mitarbeitenden rund um das Zukunftsinstitut ständig beobachtet und aktualisiert.
body LIFE: Was bedeutet der Begriff „Green Pressure“ und wie wird „Green Pressure“ unsere Gesellschaft allgemein beeinflussen?
Anja Kirig: Mit „Green Pressure“ ist der zunehmende Druck gemeint, der sowohl von der Gesellschaft als auch seitens der Politik auf die Wirtschaft ausgeübt wird, sich umweltverträglicher, klimafreundli-cher und verantwortungsvoller aufzustellen. Es wird nicht nur eine Stellungnahme zum Thema „Neo-Ökologie“ eingefordert, sondern auch ein Handeln. Die Dynamik dabei trägt sich gegenseitig. Einerseits haben wir eine globale Protestkultur, die für Klimagerechtigkeit und auch andere soziale Themen weltweit auf den Straßen ist – andererseits einen Wandel im Selbstverständnis des Menschen, der dabei ist, sich nicht länger getrennt von „Natur“ und „Umwelt“ zu verstehen, sondern als Teil im Ganzen. Gleichzeitig werden durch Neo-Ökologie veränderte Wirtschaftsprozesse verstärkt; dabei werden Wachstum und Effizienz neu definiert, sodass sie einen positiven Mehrwert für alle Menschen und den gesamten Planeten generieren.
Prinzipiell kann es sich schon heute niemand mehr leisten, keine Verantwortung für ökologische und auch soziale Themen zu übernehmen. Und das nicht nur aus einer moralischen Position her-aus, sondern zunehmend auch wirtschaftlich motiviert. Das schließt sich künftig gar nicht mehr aus. Im Gegenteil: Wer nicht rechtzeitig seine Unternehmung, Organisation und/oder sein Geschäftsmodell wirklich nachhaltig ausrichtet, sondern vielleicht nur „Greenwashing“ betreibt, wird über kurz oder lang nicht überstehen. Dabei gilt es, sich zunächst einmal der Situation dieses Wandels klar zu werden, dass Neo-Ökologie keine vorübergehende Mode oder Empfindlichkeit ist, sondern ein tiefgreifender Veränderungsprozess, der die Werte in der Gesellschaft und Wirtschaft verändert – nicht zuletzt auch eben aus dieser Notwendigkeit, auf die Folgen des Klimawandels zu reagieren, diese nicht weiter zu verschärfen, aber auch auf soziale Ungerechtigkeiten. Beides ist manchmal eng miteinander verwoben.
Green Pressure ist zum einen also der Druck von außen auf die Wirtschaft, zum anderen spiegelt sich darin auch ein systemischer Druck wider – etwa aufgrund sich verschiebender Ressourcen.
Neben dem globalen Druck seitens der Gesellschaft – im Übrigen nicht nur der jüngeren Generation, auch Ältere sind von den Konsequenzen des Klimawandels betroffen – lässt sich ebenfalls beobachten, dass Menschen sich nicht länger als entkoppelt von der Natur und Umwelt erleben. Die Pandemie hat hier ein Stück weit diesen Prozess beschleunigt. Der Mensch setzt sich in Zusammenhang und nicht länger auf ein Podest.
So verändert sich auch die Einstellung, wie auf zum Beispiel aktuelle ökologische Herausforderungen reagiert wird. Die Schuldfrage wird abgelöst von Handlung – statt Verzicht geht es stärker um die Entwicklung von nachhaltigen Alternativen. Der Mensch wird nicht länger als der Feind der Natur betrachtet, sondern als Teil eines Prozesses, in dem er natürlich Verantwortung für sein Handeln übernehmen muss – mehr denn je auch aus Überlebenswille. Mit diesen Ideen und einem neuen Bewusstsein verändert sich auch das Prinzip des Wirtschaftens. Postwachstumsgesellschaft, Kreislaufwirtschaft, Social Business sind längst keine Nischenthemen mehr.
body LIFE: In welcher Hinsicht ist Nachhaltigkeit im Bereich Sport zukünftig von Bedeutung?
Anja Kirig: Keine Branche kann sich dem Megatrend Neo-Ökologie noch entziehen. Diese Entwicklungen betref-fen alle Wirtschaftszweige. Der Sport ist davon nicht ausgenommen. Vielleicht trifft es diesen Bereich sogar besonders, da die Sportgesellschaft in sich sehr divers und ausdifferenziert ist. Ich denke hier auf der Bandbreite von Fan und Event über Outdoor-Sport und Sporttourismus bis hin zu E-Sport und Metaverse.
Und zudem wird diesen Themen mit unterschiedlichen Motiven begegnet, etwa mit dem Wunsch nach verbesserter Gesundheit oder mit der die Suche nach Gemeinschaft. Da Sport auch in so viele Teilbereiche hineinreicht – Arbeit, Freizeit, Tourismus, Raumplanung –, ist Nachhaltigkeit auch geschlossen anzugehen.
Generell ist der Sport daher in seiner Gesamtheit gefordert. Das beginnt bei elementaren Dingen wie Anreise und Ressourcennutzung bis hin zu Material, Equipment und Konsum. Das impliziert viele Aufgaben, aber eben auch viele Möglichkeiten zu beginnen.
Neben den großen Themen wie „Zero Waste“, „Vermeidung der CO2-Emissionen“ und „Ersatz für endliche Ressourcen“ sind es prinzipiell alle ESG-und SDG-Ziele (Nachhaltiglkeitsziele), mit denen sich Studiobetreiber auseinan-dersetzen sollten – nicht um sie alle gleichzeitig anzugehen, aber um sich das eine oder andere auch mit auf die Agenda zu schreiben. Sie müssen nicht automatisch zu einem Social Business werden. Es schadet mit Perspektive auf die Zukunft nicht, sich mit deren Prinzipien auseinanderzusetzen und ein Teil zu integrieren.
body LIFE: Wo, wann und wie werden wir in Zukunft Sport und Bewegung praktizieren?
Anja Kirig: Kurz gesagt: überall, wo es möglich ist! Es gilt zu verstehen, dass Sport und Bewegung ein fester Bestand-teil des Alltags sind. Und je leichter der Zugang, je unkomplizierter die Nutzung, desto besser. Natürlich unterscheidet sich der Ort mitunter stark von den Motiven und natürlich dem individuellen Lebensstil.
Wichtig ist dabei zu verstehen, dass sich Sportarten, Sportorte nicht ausschließen. Die Nutzungen ergänzen sich und entsprechen eher situativem Verhalten als einer Art Dogma.
Individualsport wird in der Gruppe praktiziert, beispielsweise Rennradfahren oder Laufgruppen. An Kursen kann individuell von zu Hause aus mittels Fitnessspiegel oder Internetplattformen teilgenommen werden. Sporttreibende werden da ein kein Entweder-oder kennen, sondern nur Sowohl-als-auch. Das ist eigentlich etwas sehr Positives, da man so noch mehr Menschen ansprechen kann, wenn diese Bewegung möglichst unkompliziert in ihren Alltag integrieren können.
body LIFE: Wie sehen und bewerten Sie die Zukunft des klassischen Fitnessstudios/-clubs?
Anja Kirig: Es gibt hier bereits teils sehr ausdifferenzierte Angebote, die sich an unterschiedliche Bewegungsmotive richten. Das halte ich für eine gute Entwicklung. So wichtig ein vielfältiges Angebot ist, so wichtig ist künftig jedoch noch mehr das Wissen um die Motive, mit denen die Kunden/Kundinnen kommen.
Es geht mehr denn je darum, dass ein Mehrwert über – ich vereinfache – die pure Möglichkeit zur Bewegung gegeben wird. Motive können von dem Wunsch nach mehr Gesundheit bis hin zu Enter-tainment reichen.
Eine weitere gute Nachricht ist, dass Sport und Bewegung einen steigenden Stellenwert in unserer Gesellschaft ha-benDie vielleicht weniger gute Nachricht ist, dass es unzählige Formen und Ange-bote in diesem sehr lebendigen, sich stetig ausdifferenzierenden Markt gibt.
body LIFE: Auf welche Veränderungen werden sich Studiobetreiber einstellen müssen/können?
Anja Kirig: Sicherlich auf eine noch diversere Kundschaft, die sowohl ihre Individualität pflegt als auch nach Community sucht. Die Kundinnen und Kun-den von morgen bringen ganz unterschiedliche Motive und Wertesettings mit. Darunter auch ein erhöhtes Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Sie werden immer mehr zu kritischen Konsumenten. Während heute Nachhaltigkeit noch ein USP sein kann, wird siemorgen eher zum Standard gehören. Wer dann nicht überzeugend Maßnahmen verfolgt, Dinge eventuell schönredet, wird Nachteile haben. Dabei gilt es gar nicht, alles hundertprozentig zu machen, sondern den Prozess einzuleiten, diese Dinge transpa-rent zu kommunizieren: Was klappt, was wurde bereits getan, was steht noch an, wo gibt es Herausforderungen? Wichtig ist, Mitglieder nicht nur auf dem Weg kommunikativ mitzunehmen, sondern auch aktiv mit einzubeziehen. Neo-Ökologie lebt von geteilter Verantwortung.
Studiobetreiber kann ich nur einladen, sich immer wieder mit den großen Wandlungsprozessen, den Megatrends zu beschäftigen, um daraus abzuleiten, was dies für Gesellschaft, Wirtschaft und letztendlich dann ihre Verfahren und Angebote bedeutet.
Das Interview führte Yvonne Menges
Foto: Lanserhof at The Arts Club, London