Ich will spielen!
Gamification in der Fitnessindustrie
Die eigenwillige Wortkreation „Gamification“ bedeutet nichts anderes, als dass die Welt der Videospiele auf neue Bereiche des Lebens ausgedehnt wird. Im Fall der Fitnessindustrie dient die Übertragung von spielerischen Elementen auf das Fitnesstraining dazu, Kunden zum Sport zu motivieren. Gamification trägt aber auch dazu bei, neue Zielgruppen zu erschließen. Ein Überblick über den Markt und wie Fitnessstudios Gamification für sich nutzen können.
Gamification dient im Fitnessbereich dazu, sich zu bewegen und dabei gleichzeitig zu spielen. Die Spiele sollen die Trainingsmotivation verbessern. Es geht dabei aber nicht nur um die Motivation, sondern auch darum, Spielmechaniken in nicht spielerische Kontexte zu integrieren, um bestimmte Ziele zu erreichen, wie z. B. die Verbesserung der Kundenbindung, die Markenbildung oder die Steigerung des Umsatzes.
Spielend mehr Umsatz generieren
Wer im Fitnessbereich erfolgreich sein will, sollte sich auch mit den neuesten Trends im Bereich innovativer Technologien auseinandersetzen, denn die Digitalisierung verändert unser aller Leben. Gamification im Fitnessbereich ist ein Beispiel für diese Veränderungen und ermöglicht es, ganz neue Zielgruppen zu erschließen. Durch den Einsatz von Gadgets und Wearables können Erlebnisse geschaffen werden, die nicht nur Spaß machen, sondern auch motivieren und zu langfristigen Verhaltensänderungen führen. Dabei werden spielerische Elemente wie Punkte, Badges, Highscores oder Ranglisten in alltägliche Situationen integriert, um die Motivation und das Engagement der Nutzer zu steigern. Einfache Beispiele für Gamification im Gesundheitsbereich sind Apps, die die Nutzer zu regelmäßiger körperlicher Aktivität motivieren, indem sie Punkte für erreichte Ziele oder Fortschritte vergeben. Gamification macht sich dabei die menschliche Neigung zunutze, nach Belohnungen zu streben. Durch die Integration spielerischer Elemente in den Alltag fällt es den Nutzern leichter, langfristige Ziele zu verfolgen und ihr Verhalten zu ändern. Der Spieltrieb wird genutzt, um selbst Bewegungsmuffel dazu zu bringen, Sport zu treiben. Das Angebot reicht von Apps, interaktiv gesteuerten Böden, die zum Tanzen oder Functional Training animieren, über interaktive Wände bis zu Spielen an Cardio- und Kraftgeräten. VR-Apps wie „FitXR“ oder „Bodycombat VR“ ermöglichen es, spielerisch an Kursen teilzunehmen – und das mittlerweile im Mehrspielermodus. Bei all diesen Möglichkeiten kann Gamification ein effektives Instrument sein, um Nutzer zu motivieren und ihr Verhalten in eine gesundheitsorientierte Richtung zu lenken.
Vor- und Nachteile von spielerischen Ansätzen
Betreiber von Fitnessanlagen können mithilfe der neuen Technologien ein junges und technikaffines Publikum erreichen und die Kundenbindung dadurch verbessern, dass Mitglieder spielerisch zum Training motiviert werden. Spiele, die im Mehrspielermodus verfügbar sind oder bei denen Kunden gegeneinander antreten, fördern zudem soziale Komponenten. Mitglieder lernen sich untereinander kennen und interagieren miteinander. Ganz nebenbei sind die Spieler sportlich aktiv und das hat wiederum positive Auswirkungen auf ihren Trainingszustand und ihre Gesundheit. Zu diesen Vorteilen kommt noch hinzu, dass sich nun ganz neue Zielgruppen, die vorher eher am Rechner spielten, für Fitnessgames begeistern und die Fitnesswelt für sich entdecken. Gamification kann aber auch zur Förderung gesunder Ess- und Schlafgewohnheiten eingesetzt werden. Durch die Integration von spielerischen Elementen in Ernährungs- und Schlaftracking-Apps können Nutzer motiviert werden, Entscheidungen zu treffen und ihr Verhalten zu ändern, um gesünder zu leben.
Wie bei jeder Technologie gibt es nicht nur Vorteile durch eine Gamifizierung von Fitnessinhalten, sondern auch Nachteile. Manche Nutzer können überfordert sein und das verursacht Stress, besonders dann, wenn Belohnungen und Punktesysteme zu schwer zu erreichen sind. Das Thema „Sucht“ ist bei spielerischen Ansätzen nicht zu vernachlässigen. Nutzer können von den Belohnungen im Spiel tatsächlich abhängig werden. Auch Manipulation ist möglich, dass also Nutzer zu bestimmten Verhaltensweisen verleitet werden, die nicht in ihrem Interesse sind. Da eine Vielzahl von persönlichen Daten gesammelt werden können, sind auch der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre zu bedenken. Es ist daher wichtig, bei der Anwendung von Gamification alle Vor- und Nachteile sorgfältig abzuwägen und zu berücksichtigen, um sicherzustellen, dass die Nutzererfahrung sicher, motivierend und erfolgreich ist.
Gamification – aus ethischer Sicht betrachtet
Wolf Loh ist Postdoc am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen. In seiner Veröffentlichung „Level-Up? Zur Gamifizierung von Fitness- und Gesundheits- Apps“ beschäftigt sich Loh mit der Anwendung von Gamification in Fitnessund Gesundheits-Apps. Er hat untersucht, ob und in welchem Maß die Anwendung von Gamifizierungsstrategien in Fitness-/ Gesundheits-Apps ethische Bedenken aufwerfen kann. Ein zentraler Fokus liegt darauf, ob diese spielerischen Strategien eine problematische Beeinflussung darstellen. Zum einen besteht die potenzielle Gefahr, dass unzulässige paternalistische Ansätze zur Motivation der Nutzer verwendet werden, also eine Art Bevormundung der User erfolgt. Zum anderen könnten spielerische Ansätze auch ethisch fragwürdig manipulieren, wenn Apps beispielsweise versuchen, Nutzer länger in der Anwendung zu halten und mehr Daten von ihnen zu erhalten. Loh argumentiert, dass die ethischen Aspekte vor allem von a) der Intensität der Motivationseffekte, b) der Klarheit dieser Effekte, c) der Übereinstimmung der Ziele von Nutzern und App-Betreibern sowie d) der Wahrscheinlichkeit und Schwere unbeabsichtigter Konsequenzen abhängen.
Kritische Perspektive auf einige Anbieter
So sind bereits einige Apps wie beispielsweise „Sweatcoin“ und „WeWard“ in die Kritik geraten, insbesondere, weil sie falsche Versprechungen machen und hier die Ziele der Betreiber andere sind als die der Nutzer. „Sweatcoin“ ist eine kostenlose App, die die täglichen Schritte mit einer Währung, dem Sweatcoin, belohnt, die gegen Prämien eingetauscht oder für wohltätige Zwecke gespendet werden können. Klingt erst einmal gut, jedoch hat die App einige Haken. So können User mit der kostenlosen Version nur fünf Sweatcoins am Tag erlaufen und brauchen oft Jahre, um genügend Sweatcoins für eine Prämie zu sammeln, denn man bekommt für 1 000 Schritte nur einen Sweatcoin. So liest man in Bewertungen auf dem Portal „Trustpilot“ Kommentare wie: „Leider werden die Prämien immer seltener, diese kann man nur noch durch einen Gewinn erhalten. Eher unmöglich.“
Der allergrößte Teil der Prämien von „Sweatcoin“ wird zudem ausschließlich auf Basis einer Auktion herausgegeben. Nur wer die meisten Sweatcoins dafür bietet, erhält am Ende eine Prämie. Um mehr Sweatcoins zu bekommen, können Nutzer mehr Werbespots schauen oder sie müssen weitere Freunde einladen. Der Algorithmus misst zudem nicht jeden Schritt, sondern nur ungefähr 70 Prozent. Zu langsame Schritte werden ebenfalls nicht gezählt. Spaziergänger gehen also leer aus. Auch in der App „WeWard“ ist die Anzahl der benötigten Schritte für die die Währung „Wards“ hoch. Für 10 000 Schritte erhalten Nutzer zehn Wards. Wer diese Apps nutzt, hat zudem einen höheren Akkuverbrauch. Rein theoretisch besteht auch die Gefahr, dass solche Apps das Smartphone der Nutzer für Mining-Zwecke nutzen und die Apps jede Menge Nutzerdaten sammeln. Dennoch sind diese Apps beliebt und führen dazu, dass sich Menschen mehr bewegen.
Interaktive Wände und smarte Gummibänder
Es gibt aber nicht nur Bedenken, denn einige Beispiele zeigen, dass Gamification im Gesundheits- und Fitnessbereich erfolgreich eingesetzt werden kann, um die Motivation und das Engagement der Nutzer zu steigern und gesunde Verhaltensweisen zu fördern. Wichtig ist dabei immer, dass die digitalen Anwendungen stets zu natürlichen und gesundheitsfördernden Bewegungen in der realen Welt motivieren. Das Unternehmen LYMB.iO hat z. B. mit „LYMB ONE“ ein interaktives Spielsystem mit dem Hintergrund entwickelt, mit spielerischen Übungen von Schmerzen beim Training abzulenken. Dabei wird eine einfache Wand in eine interaktive Sport- und Spielarena verwandelt. Durch die Kombination von interaktiver Wandprojektion und Sensortechnologie verwandelt sich jeder Raum in einen Augmented-Reality- Raum, bei dem durch Berührungen mit der Hand und einem Ball Punkte gesammelt werden.
Die STRAFFR GmbH aus Kassel hat ein Sensorsystem in ein flexibles Trainingsband integriert. Das smarte Gummiband misst die Leistung während des Trainings, egal wo gezogen wird. Das Band wird per Bluetooth mit dem Smartphone verbunden. Das Training ist sowohl für Einsteiger als auch Fortgeschrittene geeignet. In der kostenlosen App stehen eine große Auswahl an Übungen mit Anleitungen für das Training mit dem Band, Trainingsstatistiken und Analysen sowie Zugriff auf On-demand- Workouts zur Verfügung. Die App gibt zudem Trainingsfeedback in Echtzeit. Bei jeder Übung gibt es eine Ziellinie, die überschritten werden muss, damit eine Wiederholung gezählt wird. Zudem wird je nach Trainingsleistung die Platzierung der Nutzer pro Woche, Monat und Jahr angezeigt und mit anderen Nutzern aus der Community ins Verhältnis gesetzt.
Das Unternehmen AIMO mit Sitz in Stuttgart bietet einen intelligenten Bewegungsscan. Er ermöglicht einen durch künstliche Intelligenz gestützten funktionellen Bewegungstest, der Bewegungsmuster analysiert. Intelligente Algorithmen erkennen dabei kleinste Ausweichbewegungen, die auf ein Ungleichgewicht im Körper hinweisen. In einem Score wird die Beweglichkeit bewertet. Je höher der Score, desto unauffälliger sind die Ausweichbewegungen.
Gamification mittels Virtual Reality
Die brainjo GmbH mit Sitz in Regensburg setzt auf Burnout-Prävention und Bewegungsausgleich für das Betriebliche Gesundheitsmanagement mit Virtual Reality. Die Virtual-Reality-Anwendungen verbinden kognitive Aufgaben mit körperlichen Übungen. Zudem gibt es einen virtuellen Achtsamkeitskurs – ein zehnwöchiges Programm, um neue Atemtechniken, Methoden der Persönlichkeitsentwicklung und Achtsamkeitsübungen zu erlernen.
Eine weitere VR-App, die von sich reden macht, heißt „FitXR“. In Zusammenarbeit mit professionellen Trainern entwickelten die Macher verschiedene neue VR-Trainingseinheiten wie z. B. Tanzkurse und HIIT. Wer ein VR-Headset aufsetzt und die VR-App startet, kommt zuerst in den Eingangsbereich eines virtuellen Fitnessstudios. In diesem Empfangsbereich erscheint ein Menü mit den fünf verschiedenen Studiobereichen Boxen, Dance, HIIT, Sculpt und Combat, aus denen wiederum virtuelle Kurse ausgewählt werden können. Les Mills hat sich mit dem VR-Spezialisten Odders Lab zusammengetan, um das in Fitnessstudios bereits etablierte, durch Martial Arts inspirierte Workout „Bodycombat“ in einer VR-Gaming-App auf der Quest-Plattform bereitzustellen. Die international bekannten Instruktoren Dan Cohen und Rachael Newsham haben nicht nur dabei geholfen, die Technik der VR-App zu verbessern, sondern sie motivieren die Nutzer während des Spiels, das Training bis zum Ende durchzuhalten.
Luise Walther, Rita Hoogestraat
Mit ihrem neurozentrierten Training sorgt Luise Walther für Aufsehen in der Gesundheits- und Fitnessbranche. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Individualisierung und Professionalisierung von Trainingsprozessen, um Schmerzen zu reduzieren und Bewegungsabläufe zu optimieren. Die Spezialistin für Rehabilitation, Verletzungsprophylaxe und Performance-Steigerung stellt die ganzheitliche Betrachtung der körperlichen Leistungsfähigkeit in den Vordergrund. Die zentrale Grundlage ihrer neuroathletischen Arbeit ist die Erkenntnis, dass Schmerzen im Gehirn entstehen.
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