Von Biohackern und Biohacks
Do it yourself!
Über die letzten Jahre ist eine Bewegung von „Do-it-yourself-Wissenschaftlern“ herangewachsen. Sie setzen neue technologische Errungenschaften dazu ein, um in einer technologiedominierten Welt die Werkzeuge der Natur in noch nie dagewesener Form nutzbar zu machen – damit wir gesünder, glücklicher und leistungsfähiger leben. Diese „Wissenschaftler“ nennen sich selbst Biohacker und ihre Methoden werden als Biohacks bezeichnet.
Unser Körper ist ein erstaunliches „Instrument“, das, wenn wir es richtig behandeln, enorm anpassungs- und widerstandsfähig sein kann. Wir sind in der Lage, uns auf unterschiedliche Licht-, Nahrungs- und Temperaturverhältnisse einzustellen – und sind dabei äußerst flexibel.
Genauso wie sich Reptilien häuten, Bäume die Blätter verlieren oder Pinguine eine besondere Fettschicht bilden, so haben wir von der Evolution Mechanismen mitbekommen, die es uns erlauben, uns zu verschiedenen Jahreszeiten auf diesem Planeten wohlzufühlen. Gleichzeitig haben wir uns eine künstliche Umwelt geschaffen, die diese Mechanismen mehr und mehr unterdrückt.
Optimiert durch Rückbesinnung auf das Wesentliche
Die heutige moderne Gesellschaft ist geprägt von einem Paradigmenwechsel im Gesundheitsbereich – einem Wechsel Mechanisvon passiver Unwissenheit hin zu positivem Engagement und innovativer Eigeninitiative. Unsere Umwelt hat sich in den letzten 100 bis 150 Jahren massiv verändert. Heute sind wir immunologischen Angriffen nicht mehr machtlos ausgesetzt, müssen uns nicht mehr gegen Attacken wilder Tiere wehren oder uns von menschheitsdezimierenden Kriegen erholen. Unsere große Herausforderung für ein gesundes (Über-) Leben liegt heute in der von uns selbst veränderten Umwelt und in einem uns immer artfremder werdenden Umfeld.
Halten Sie Ihren Körper und Geist „im Flow“
Wir leben in einer elektrifizierten und digitalisierten Umgebung, die uns unserem gewohnten natürlichen elektromagnetischen Feld und Lichtspektrum entzieht und damit unserem Organismus zunehmend zu schaffen macht. Mehr denn je brauchen wir daher Hilfsmittel und Instruktionen zur Rückbesinnung, um unseren Körper und Geist „im Flow“ zu halten und täglich aufs Neue Türen zur eigenen Regeneration zu öffnen. Bei meiner Beschäftigung mit Biohacking und Optimierung besinne ich mich gern auf Nassim Nicholas Talebs Begriff der „Antifragilität“. Denn wir sollten verstehen lernen, dass wir unserem Körper und Geist Gutes tun, indem wir ihn nicht (krampfhaft) auf Robustheit und Resilienz trainieren, sondern durch eine Rückbesinnung auf ursächliche Wirkmechanismen der Natur, durch eine Reduktion auf das Wesentliche, antifragiler, also weniger zerbrechlich werden. Nur so können wir uns besser an unser verändertes Umfeld anpassen und gestärkt und optimiert weiterbestehen.
Schauen Sie über den Tellerrand!
Bei Biohacking und Optimierung geht es darum, über den Tellerrand einfacher biochemischer oder elektrophysikalischer Vorgänge zu schauen. Wir benötigen ein vertieftes Verständnis für unsere evolutionäre Herkunft und unseren individuellen körperlichen und geistigen Zustand: Wo befinde ich mich? Wie fragil reagiere ich auf meine Umwelt? Wie reagiert mein Organismus auf molekularer Ebene auf mein internes und externes Umfeld? Unsere persönliche Fragilität – oder besser natürlich unsere Antifragilität – zeigt sich in unserer Reaktion auf unsere „moderne“ Ernährung und darin, wie flexibel unser Stoffwechsel mit unseren heutigen Nahrungsmitteln umgehen kann. Ebenso spiegelt unser zelluläres Energieniveau unsere Adaptionsfähigkeit an die Umwelt wider. Wer schon am Morgen an Energiemangel leidet, bekommt die eigene Fragilität klar vor Augen geführt. Eigentlich sind wir aber wie kein anderes Lebewesen dafür geschaffen, unsere großartige Denkfähigkeit zu unserem Vorteil zu nutzen und mit großer Kraft und Beweglichkeit den Alltag zu meistern. Geistige und körperliche Agilität sollte unser ganzes Streben sein! Man mag es nennen, wie man will: biohacken, optimieren, pimpen (oder irgendein anderer Trendbegriff). Wichtig ist, dass sich hier alles um die lebenswichtigen Aspekte zur Förderung körpereigener Adaptionsmechanismen dreht, die uns in einer strapaziösen Umwelt entspannter, antifragiler und standfester machen.
Die Definition von Biohacking
Das Wort „Biohacking“ setzt sich zusammen aus den beiden Begriffen „Bio“, was Leben bedeutet, und „Hacking“, dem englischen Wort aus dem Computerbereich, das eine Art der Entschlüsselung bezeichnet. Zusammen ergibt sich eine Form der biologischen Entschlüsselung mit dem Ziel, uns als Menschen besser zu verstehen. Heute ist Biohacking weltweit zu einem Megatrend geworden. Es geht dabei darum, ein biologisches System auseinanderzunehmen, es zu verstehen und dann wieder zusammenzusetzen. Dabei hat sich die Community auf folgende Definition geeinigt: „Biohacking bedeutet das Optimieren von Körper und Geist mithilfe von Technologie, Wissenschaft und Systemdenken.“
Mittlerweile finden rund um den Globus zahlreiche Biohacking-Konferenzen und -Veranstaltungen statt, auf denen sich Experten und Interessierte aus den verschiedensten Bereichen einfinden. Neben Ernährungswissenschaftlern kann man bei einem solchen Event zum Beispiel auch Fitnesstrainern, Neoschamanen, Musikern, Unternehmern, Leistungssportlern und Neurochirurgen die Hand schütteln. Alle vereint das Ziel, Körper und Geist besser zu verstehen,Zusammenhänge zu erkennen und damit neue Werkzeuge zu gewinnen, um Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden nehmen zu können. Stellen Sie sich eine Art Daniel Düsentrieb vor, der eine innere Neugierde für die biologischen Vorgänge in seinem eigenen Körper hat.
Biohacking in Bezug auf neuartige Trainingsmethoden
Spätestens seit die BILD-Zeitung über Biohacking in Bezug auf die neuartigen Trainingsmethoden von jungen Fußballstars wie Erling Haaland und Serge Gnabry berichtet, ist Biohacking auch hierzulande in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Mittlerweile gibt es Biohacking-Events auf der ganzen Welt, auf denen man mit den neuesten Geräten herumexperimentieren, sein Genprofil testen, verheißungsvolle Tinkturen probieren, sich magnetisch behandeln lassen, außergewöhnlichen Vorträgen lauschen und sogar in einer Sauna schwitzen oder ins Eiswasser springen kann. All diese Menschen auf diesen Events verbindet eins: das Interesse für die biologische Entfaltung unserer individuellen Potenziale.
Spickzettel: Motivation
- Entwickeln Sie ein Anliegen, das Sie von innen heraus antreibt. Der Unterschied zu einem Ziel ist, dass ein Anliegen zeitlich unbegrenzt ist, Sie also dauerhaft motivieren kann, wie z. B.: „Mein Anliegen ist, ein Vorbild für meine Kollegen und Kinder zu sein.“
- Seien Sie sich bewusst, dass sich die Motivation, die Sie brauchen, um etwas zu beginnen, von derjenigen, die Sie zum Durchhalten antreibt, unterscheidet.
- Entwickeln Sie einen gesunden Rhythmus und bauen Sie ein Momentum auf, um möglichst viele Flow-Momente zu erleben. Besonders wichtig ist hier Ihr Schlaf-wach-Rhythmus.
- Lassen Sie Ihren Körper Dopamin produzieren, indem Sie täglich Sonnenlicht tanken, Ihre Wasservorräte auffüllen und die richtigen Nährstoffe zuführen. Reduzieren Sie gleichzeitig den Konsum von künstlicher Motivation durch Substanzen wie Nikotin oder nicht zwingend notwendigen Medikamenten.
- Umgeben Sie sich mit positiven Menschen, die Sie herausfordern. Lenken Sie Ihre Gedanken auf die Fortschritte und Errungenschaften auf Ihrem Weg zu Ihrem Ideal.
Was ist der Ego-Depletion-Effekt und wie kann man ihn vermeiden?
„Sollte ich heute zum Training gehen? Eigentlich schon. Andererseits fühle ich mich heute leicht kränklich. Vielleicht gehe ich dafür dann morgen und übermorgen, wenn ich wieder mehr Energie habe.“ Bestimmt kennen Sie diese Art des inneren Dialogs. Es gibt Menschen, die können so lange mit sich selbst diskutieren, bis sie vollkommen erschöpft sind und sich davon dann ausruhen müssen.
Sozialpsychologen und Verhaltensökonomen nennen das den „Ego-Depletion- Effekt“ oder das „Modell der mentalen Erschöpfung“. Wissenschaftler sind sich einig, dass Menschen, die einen hohen Grad an Willenskraft haben, mehr Erfolg und Lebenszufriedenheit erfahren. Sie sind sich allerdings noch uneinig, ob die Willenskraft genau wie ein Muskel trainiert und damit vermehrt werden kann. Klar scheint zu sein, dass Ihre tägliche Willenskraft begrenzt ist und diese mit der Energie, die Sie für die Entscheidungsfindung aufbringen, aufgezehrt wird.
Biohacking am Beispiel von Steve Jobs
Um Entscheidungen zu fällen, bedarf es der Energie. Es fängt bereits damit an, welches Hemd Sie heute tragen sollten und ob Sie Ihren Kaffee heute als einen kleinen oder großen Cappuccino trinken wollen. Mit diesem Bewusstsein können Sie sich allerdings auch dazu entscheiden, unwichtige Entscheidungen schnell zu treffen und somit Ihre Willenskraft für wichtigere Probleme aufzuheben. Ein Grund, warum Steve Jobs stets einen schwarzen Turtleneck trug, war, um die ihm wohlbekannte „Decision Fatigue“ (Entscheidungsmüdigkeit) zu vermeiden.
Mein Tipp: Treffen Sie heute Abend bereits einfache Entscheidungen für morgen. Zum Beispiel, was Sie frühstücken, was Sie anziehen oder ob Sie zum Yoga/zum Sport gehen werden. Sparen Sie sich so Ihre Willenskraft. In den meisten Fällen ist Ihre erste Wahl sowieso mindestens genauso gut wie alle Entscheidungen, die darauf folgen.
Max Gotzler
ist der Gründer von Flowgrade.de, Biohacker, Leistungssportler und Blogger. Als einer der führenden deutschen Biohacker bietet er über seine Website Informationen und Produkte zur Selbstoptimierung an. Dazu veröffentlicht er den wöchentlichen Biohacking- Podcast „Die Flowgrade Show“ mit renommierten Gästen aus den unterschiedlichsten Bereichen.
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