Megatrend Medical Fitness
Vier Thesen für die Zukunft der Fitnessbranche
Medizin und Fitness verzahnen sich immer mehr. Es geht nicht mehr nur um stärker, schneller, besser, sondern vor allem darum, Gesundheit zu erhalten, zu verbessern oder wiederherzustellen – also um Fitness, die auf modernen Trainingskonzepten, medizinischem Know-how und professionellen Messwerten basiert. Diese Entwicklung bestätigt die Zukunftsforscherin Corinna Mühlhausen und unterteilt sie auf Basis von wissenschaftlichen Analysen in vier Bereiche. In diesem Artikel werden ihre Thesen vorgestellt und zusammengefasst, warum Medical Fitness so relevant für die Fitnessbranche ist, wie Studios diese Trends aufgreifen, Kundenbedürfnissen begegnen und sich selbst positionieren können.
Wir alle wissen: Die Bedürfnisse und die Ansprüche der Fitnesskunden haben sich verändert. Der klassische Anamnesebogen allein ist nicht genug – die Kunden wollen und erwarten mehr: eine fundierte Bestandsaufnahme, eine klare Zieldefinition und eine individuelle Beratung. Dabei müssen Studios mehr bieten als die inzwischen omnipräsenten Self-Tracking- Tools wie Wearables und Apps, mehr als kostenlose Trainingsvideos im Internet und Sport-Influencer. Die nachfolgenden Thesen bieten vier Anknüpfungspunkte für Fitnessstudios, um den veränderten Kundenbedürfnissen mit fundierten Medical-Fitness-Angeboten zu begegnen.
Trend 1 – Ganzheitliche Selbstoptimierung
„Ganzheitliche Selbstoptimierung“ lautet das neue Credo. Also nicht nur gesund, sportlich und leistungsfähig zu sein, sondern auch entspannt, selbstbestimmt und glücklich – das ist Selbstoptimierung 2.0. Über 53 Prozent der Deutschen verfolgen das Ziel, sich ständig zu verbessern. Dabei arbeiten drei Viertel (74 Prozent) vor allem an ihrer Gesundheit und die Hälfte (51 Prozent) an ihrer körperlichen Fitness. Self-Tracking ist dabei das Mittel der Wahl, befeuert durch den Boom zahlreicher Gesundheits- Apps und Fitnesstracker. Der eigene Körper wird minutiös überwacht in Bezug auf Mahlzeiten, Schritte, Sporteinheiten, Puls und Herzfrequenz. Das Ziel der Selbstoptimierer: Erfolge sichtbar, messbar und belegbar zu machen. Allerdings ist die „Do-it-yourself-Selbstvermessung“ kein Garant dafür. Laut einer Studie der Oregon Health and Science University überschätzen die Nutzer von Tracking-Tools beispielsweise häufig ihren eigenen Fitnesszustand, sodass ihre Aktivität im Verlauf der Zeit sogar geringer wird. Für Fitnessstudios ergeben sich aus dem Selbstoptimierungstrend sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Zum einen müssen sie dem Streben nach Selbstoptimierung begegnen, um Kunden zu halten und neue zu gewinnen. Zum anderen können sie sich mit individuellen Angeboten, die mehr bieten, als der Kunde schon weiß oder kostenlos online bekommt, abgrenzen und positionieren. Dazu gehören individuelle gesundheitsorientierte Fitnesskonzepte, kombiniert mit qualifizierter Beratung, die auf professionellen Messwerten basieren. „Zum Beispiel liefern Daten zum Stresslevel, zur Zellgesundheit oder zur Körperzusammensetzung einen zusätzlichen Mehrwert für den Kunden – und für das Studio“, so Sabrina Fütterer, Leitung der Geschäftsstelle des DSSV – Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen e. V. „Denn wer mit medizinisch validierten Messsystemen arbeitet, die Trainingserfolge nachweisen und sichtbar machen können, der schafft nicht nur ein individuelles und ganzheitliches Trainingserlebnis, das jeden Selbstoptimierer zufriedenstellt. Er schafft damit auch die Voraussetzungen, in Zukunft mit Ärzten und Kassen kompetent kommunizieren zu können.“ Denn diese haben ebenfalls ein großes Interesse am Thema „Fitness“, vor allem im Hinblick auf Prävention und Gesundheit. So bezuschussen Krankenkassen seit 2015 sogenannte §20-zertifizierte Gesundheitskurse und Ärzte können dafür eine Präventionsempfehlung ausstellen. Gesundheitsorientierte Fitnesskonzepte sind die Brücke zwischen Selbstoptimierung und Gesundheit. Und dies können und sollten Studios nutzen: „Gesundheits- und Medical-Fitness-Anbieter mit entsprechend qualifiziertem Personal und hochwertiger Ausstattung können sich gegenüber der Zielgruppe der Selbstoptimierer und den Krankenkassen als kompetenter Gesundheitsdienstleister positionieren und ganz neue Geschäftsmodelle entwickeln“, so Zukunftsforscherin Corinna Mühlhausen.
Trend 2 – Feminisierung der Fitnesswelt
Unter den Selbstoptimierern finden sich auch viele Frauen. Dabei haben sie häufig eine ganzheitliche Definition von Gesundheit: Neben Fitness und Leistungsfähigkeit ist Gesundheit für zwei Drittel der Frauen ein Synonym für die Balance von Körper, Geist und Seele. „Gesund“ ist also das neue „Schön“ – nicht mehr wie bisher nur das „Dünn“. Frauen zählen zu einer immer wichtigeren Zielgruppe von Fitnessstudios. So lag der Frauenanteil in deutschen Studios 2018 bereits bei 55,5 Prozent. Mehr als jedes zehnte Studio (11 Prozent) ist ausschließlich Frauen vorbehalten. Ihre Ansprüche und ihre Bedürfnisse im Hinblick auf Beratung, Training und Studioleistung unterscheiden sich dabei von denen der Männer deutlich; Prävention spielt eine größere Rolle. So nutzen überwiegend Frauen (81 Prozent) Angebote der Krankenkassen zur individuellen verhaltensbezogenen Prävention. Gleichzeitig sind viele Frauen heutzutage stark eingespannt zwischen Beruf, Familie und Sozialleben. Ein effizientes Training ist für sie daher oft besonders wichtig. Hier können Studios mit individuellen Trainings- und Ernährungskonzepten, die auf fundierten Analysen von Fitnesslevel, Körperzusammensetzung und Ernährungsgewohnheiten basieren, einen großen Mehrwert bieten. Frauen verfügen über eine wachsende Kaufkraft und haben gleichzeitig hohe Ansprüche an ganzheitliche Konzepte und ein effizientes Training – Potenziale, die Studios für sich nutzen sollten.
Trend 3 – Neunormierung des Körpers
Die Gleichung „fit = gesund = schön“ spiegelt sich auch im dritten großen Trend im Bereich Medical Fitness wider. Die Definition und die Bewertung von Übergewicht, Gesundheit und Schönheit haben sich stark verändert. Ohne Zweifel ist Übergewicht ein globales Problem. Laut WHO hat sich die Zahl der Übergewichtigen in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Neben einem ungesunden Lebens- und Ernährungsstil ist mangelnde Bewegung eine der zentralen Ursachen: 25 Prozent aller erwachsenen Menschen weltweit sind nicht ausreichend körperlich aktiv und ganze 80 Prozent treiben weniger Sport als die empfohlenen 150 Minuten moderater Bewegung pro Woche. Aber: Das Gewicht alleine lässt noch keine Aussage über die Gesundheit eines Menschen zu. So hat auch jeder fünfte Schlanke ein erhöhtes Risiko, an einer kardiovaskulären Krankheit zu erkranken. Normalgewichtige, die metabolisch ungesund sind, haben im Vergleich zu metabolisch gesunden Normalgewichtigen eine Risikoerhöhung um den Faktor 2,15 – das Risiko von Menschen mit Übergewicht, die aber metabolisch gesund sind, ist hingegen lediglich um den Faktor 1,26 erhöht. Das heißt: Wer schlank ist, muss nicht automatisch gesund sein. Wer etwas Übergewicht hat, ist nicht automatisch krank. Verstärkt wird diese Wahrnehmung durch die sogenannte Body-Positivity- Bewegung, die weltweit vor allem in den sozialen Netzwerken stattfindet. Sie stößt eine Diskussion über das gängige Schönheitsideal an und fordert die Akzeptanz aller Körper, unabhängig von Form, Größe oder Aussehen. Damit stellt sie den gesellschaftlichen Standard infrage, dass nur schön und gesund ist, wer schlank oder dünn ist. Für die Definition und die Bewertung von Schönheit und Gesundheit ist also eine differenzierte Betrachtung notwendig abseits von BMI und Gewicht. „Es wird immer wichtiger, dass wir den Ernährungszustand von Menschen ganzheitlicher betrachten. Es reicht nicht aus, sie auf eine Waage zu stellen, den BMI zu bestimmen und dann in die Kategorien ‚schlank = gesund‘ oder ‚übergewichtig = krank‘ einzuordnen“, erklärt die Ökotrophologin Dr. Heike Niemeier. Die Körperzusammensetzung ist deutlich aussagekräftiger, z. B. das Verhältnis von aktiver Muskelmasse zur Fettmasse, die Fettverteilung, die Muskelstärke und das Fitnesslevel. In der gesundheitlich orientierten Fitnessbranche eröffnen sich damit neue Optionen: Mit Gesundheitsund Medical-Fitness-Konzepten können Studios ihr Angebot erweitern und die Motivation sowie die Präventionsbemühungen ihrer Mitglieder fördern.
Trend 4 – Active Aging
Eine weitere zunehmend wichtige Zielgruppe im Fitnessbereich sind die sogenannten Active Ager, sportlich aktive Menschen 60+. Zum einen wächst diese Bevölkerungsgruppe durch den demografischen Wandel kontinuierlich: Zwischen 1996 und 2016 ist die Zahl der über 64-Jährigen in Deutschland von rund 13 Millionen auf 16,7 Millionen angestiegen; somit machten sie 2016 einen Anteil von 20,6 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Zum anderen ist diese Generation deutlicher aktiver als frühere Generationen, hat mehr Lust auf Sport und ein großes Interesse daran, möglichst gesund zu altern. Das kommt nicht von ungefähr, handelt es sich doch hierbei um die sogenannten Babyboomer. Sie waren wohl die erste Generation, die Sport zum Spaß und als Ausdruck von Selbstbestimmtheit betrieben haben – und sie wollen im Alter keinesfalls damit aufhören. Das ist natürlich lobenswert. Wenn aber das Training nicht dem Alter angepasst, sondern weiter wie mit 20 Jahren trainiert wird, führt dies häufiger zu Verletzungen. Die Folgen sind steigende Raten von Hüft- und Kniegelenksprothesen in den sogenannten developed countries: In den USA stieg die Zahl der Hüftprothesen-Erstimplantationen insbesondere bei den sportlichen Babyboomern zwischen 2005 und 2011 um 28 Prozent an. Die Muskelmasse wird im Alter weniger, damit steigt das Verletzungsrisiko um ein Vielfaches. Das individuelle Training sollte dies berücksichtigen. Auch hier helfen verlässliche und professionelle Messdaten – zum einen, um den körperlichen Zustand des Trainierenden zu bestimmen, und zum anderen, um individuelle Ziele und Trainingspläne zu entwickeln. Unter den 65- bis 85-Jährigen sagt heute jeder Dritte, er treibe ein Mal pro Woche Sport; jeder Fünfte tut es mehrmals pro Woche. Wir haben es also mit einer wachsenden, oftmals zahlungskräftigen Zielgruppe zu tun, die schön, fit und gesund altern will – die auf dem Weg dahin aber zugeschnittene Trainingskonzepte und individuelle Beratung benötigt. Die Verknüpfung von Sport, Medizin und Gesundheit gewinnt für sie an Bedeutung und die Nachfrage nach gesundheitlich ausgerichteten Trainings- und Präventionsangeboten wächst. Für Studios bieten sich damit neue Positionierungsoptionen – zum einen Angebote für die ältere Zielgruppe, die ihre Gesundheit erhalten oder verbessern will, zum anderen für die jüngere, um frühzeitig die Weichen für lange Fitness und Gesundheit zu stellen: „Der demografische Wandel wird anhalten“, so Zukunftsforscherin Corinna Mühlhausen. „Und mit den alternden Selbstoptimierern und gesundheitsbewussten, heute jungen Sportlern wird die Zielgruppe der aktiven, anspruchsvollen Best Ager noch wachsen. Die Nachfrage nach präventivem, ganzheitlichem Sport wird weiter steigen und einen völlig neuen Markt für entsprechende Fitnesskonzepte und Analysetools öffnen.“
Studio als ganzheitlicher Gesundheitsdienstleister
Die Bedeutung von Medical-Fitness- Konzepten wird weiterwachsen. Sie eröffnen damit für Fitnessstudios neue Positionierungsmöglichkeiten. Die hier vorgestellten Trends bieten verschiedene Ansatzmöglichkeiten und Entwicklungspotenziale für die Zukunft. Im Mittelpunkt steht dabei die Ganzheitlichkeit – im Sinne von Selbstoptimierung hin zu einem besseren Selbst, der Betrachtung und Bewertung des Körpers, der Körperzusammensetzung, der Trainings- und Ernährungskonzepte und am Ende auch eines ganzheitlichen Verständnisses von Gesundheit.
Nicola Berkowitz
Nicola Berkowitz studierte Literatur, Kultur & Medien und ist als freie PR-Beraterin für die seca gmbh & co. kg tätig. Ausführlichere Informationen, Zahlen und Berichte aus der Praxis zu der Verzahnung von Medizin und Fitness hält der „seca Trendreport“ unter www.seca.com/trendreport bereit.
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