Mehr Natur, mehr Luft, mehr Licht
„Zinckernagel“ setzt auf Kombination aus Outdoor-Training und Wetterschutz
Inmitten der Pandemie hat Dirk Zinckernagel im rheinhessischen Flomborn ein Gartengrundstück mit zwei alten Bruchsteinscheunen erworben. Sein Ziel: ein Trainingskonzept anzubieten, das so oft es geht outdoor absolviert werden kann. Flankiert wird das selbst ernannte „Life-Changing-Training“ von Workshops, Coachings und Yoga. Die Coronakrise war für den Betreiber eine glückliche Fügung, durch die das Projekt erst möglich wurde.
Eigentlich war im November 2019 schon alles beschlossen – die Verlängerung des nach elf Jahren auslaufenden Mietvertrages stand bevor. Das Studio lief sehr gut, es war viel Geld in die Erweiterung eines Yogabereichs investiert worden, die Privat- und die Firmenkunden waren mehr als zufrieden. Doch dann veränderte die Coronakrise alles. Das „Zinckernagel“-Studio musste schließen, die Workshops und Coachings brachen auf rund 10 Prozent ein. Das Problem: Mit seiner Fläche von ca. 400 Quadratmetern war das Boutique- Studio in Alzey nicht auf die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln ausgelegt. „Mir war bewusst, dass die Coronakrise ein sehr langer Weg wird. Unser Studio war für ein Leben mit dem Virus zu klein und zu teuer“, sagt Dirk Zinckernagel. Der Mietvertrag wurde somit im Mai 2020 nicht verlängert. Stattdessen entwickelte der Betreiber eine neue Idee: mehr Natur, mehr Luft, mehr Licht – eine Kombination aus Outdoor- Training und Wetterschutz. „Wir müssen konzeptionell umdenken – raus aus unserer Komfortzone. Outdoor-Bereiche beinhalten einen wertvollen Reiz für das Immunsystem“, sagt Zinckernagel. So investierte er inmitten der Krise im September 2020 in ein Gartengrundstück mit zwei alten Bruchsteinscheunen in Flomborn, rund 6 Kilometer von Alzey entfernt – seit November vergangenen Jahres läuft der Umbau.
Gemeinsames Familienprojekt
Zinckernagel war seit 2003 als selbstständiger Berater für Betriebliches Gesundheitsmanagement für große Unternehmen aktiv. „Bis zum Beginn der Finanzkrise 2008 lief das Geschäft sehr gut, doch dann sind mir Firmen weggebrochen. Ich hatte erhebliche Umsatzeinbußen und musste mich breiter aufstellen“, sagt er rückblickend. Er eröffnete 2009 in einem Facharztzentrum ein Boutique-Studio – ein kleines, aber feines Studio, im Hochpreissegment angesiedelt, das sich über eine intensive persönliche Betreuung und eine exklusive Ausstattung definierte. Parallel bot er gemeinsam mit seiner Frau Nicole, die 2013 in den Betrieb einstieg, mit Outdoor- Aktivitäten verbundene Workshops zur Inspiration, Reflexion und Neuausrichtung an. „Es war ein funktionierendes Geschäft“, so Zinckernagel.
Doch nach der Finanzkrise 2009 sah er sich 2020 erneut mit einer höheren Gewalt konfrontiert, die ihn zur beruflichen Kursänderung zwang. Die Familie Zinckernagel sah die Coronapandemie aber weniger als Krise oder gar Existenzgefährdung, sondern vielmehr als eine glückliche Fügung: Zum einen bot sich jetzt die Gelegenheit, das Outdoor-Training, für das sie sich schon immer begeisterte, auszuweiten – zum anderen verstärkte die Krise den Kontakt zwischen den Brüdern Dirk und Gunar. „Mein Bruder ist ein weltweit gefragter Projektleiter. Wir haben uns rund 25 Jahre kaum gesehen. Meine Schwägerin ist Architektin; beide haben seit Beginn der Krise wenig Aufträge. Da gab uns die Pandemie die Möglichkeit, gemeinsam etwas zu realisieren“, sagt der Betreiber.
CO2-neutrales und nachhaltiges Konzept
Die Branche habe den Kontakt zur Natur zu sehr verloren, sagt er. „Was ich in unserer Branche nicht verstehe: Alle sprechen immer davon, dass es um die Gesundheit geht. Wieso wird dann aber überwiegend bei wohltemperierten 22 Grad indoor trainiert?“ Zinckernagel fährt einen entgegengesetzten Kurs. Das Gartengrundstück mit den Bruchsteinscheunen im rheinhessischen Flomborn soll zu einem Ort mit viel frischer Luft, ausreichend Abstand und lichtdurchfluteten Räumen mit großem Luftvolumen inmitten erholsamer Natur werden. In der Trainingsscheune wird es einen Kinesis-, einen Cardio-, einen Personal- Training- und einen Functional-Training- Bereich geben.
Die zweite, kleinere Scheune beherbergt im Erdgeschoss die Umkleiden und im ersten Stock einen 120 m² großen Yogakurs-/Workshop-Bereich. Der Clou: Das Training ist auch immer im ca. 3 000 m² großen Garten und auf den ca. 400 m² großen Außenterrassen möglich. Wetterschutz bieten die Scheunen und die Holz-Cubes. Die Geräte sind dabei sowohl indoor als auch outdoor vorhanden. Darüber hinaus wird neben den Umkleiden nur der für Vorträge und Seminare vorgesehene Gewölberaum in der großen Scheune beheizt. Die Betreiber setzen auf ein CO2-neutrales, nachhaltiges Konzept. Was für den Outdoor- Bereich gilt, gilt auch für den Indoor- Bereich: Man kann zu jeder Zeit wind- und regengeschützt trainieren.
Ganzheitlicher Trainingsansatz
Im „Zinckernagel“ wird ein gesundheitsorientiertes, achtsames und effizientes Körpertraining angeboten. Um den ganzheitlichen Trainingsansatz zu komplettieren, können die Trainierenden das körperliche Training mit erlebnisreichen Workshops (u. a. Bergtouren in Österreich) und/oder motivierenden Coachings zu Themen wie „Achtsamkeit“, „Ernährung“, „Detox“, „Führung“, „Regeneration“, „Verhaltensänderung“, „Persönlichkeitsentwicklung“ und „Beziehungen“ kombinieren. Die Inhaber nennen es ein „Life-Changing-Training“. Voraussetzung für das Training ist der „MindBodySCAN“. Hierbei werden 23 verschiedene Messungen und Tests aus den Bereichen Sportmedizin, Trainingswissenschaft, Ernährungswissenschaft und Psychologie durchgeführt, um den persönlichen „Ladezustand“ des Kunden zu bestimmen. Je nach Testergebnis werden die Trainierenden in das „freie Training“ geführt oder es bedarf in der Anfangsphase einer noch intensiveren Betreuung durch terminierte Personal Trainings.
Seit der Eröffnung des Studios 2009 in Alzey können die Mitglieder ohne Vertragsbindung trainieren; das gilt auch für den neuen Standort. „Die Menschen sind von unserem Weg überzeugt. Deswegen haben wir auch ohne langfristige Verträge eine Stabilität in der Kundenbindung“, freut sich Zinckernagel.
Funktionelles Personal Training auf der Baustelle
Die Begeisterung der Mitglieder zeigt sich auch jeden Tag auf der Baustelle, wenn die Trainierenden aus Solidarität am Umbau mithelfen oder das Baustellenteam von mehreren Mitgliedern bekocht wird. Zudem wird bereits ein sogenanntes Baustellen-Training und ein funktionelles Personal Training – natürlich outdoor und unter Wahrung der Coronaauflagen – angeboten. Des Weiteren zählen Online-Trainings zum coronabedingten Angebot. „Wir sind gut gebucht, die Leute reagieren sehr positiv“, freut sich der Inhaber. Bereits nach vier Vorverkaufstagen haben die Zinckernagels 80 Abos geschrieben – ohne dafür Marketingausgaben getätigt zu haben. Die Zinckernagels schreiben eine beeindruckende Geschichte inmitten der von ständig neuen Hiobsbotschaften geprägten Coronakrise. Dabei ist das erst der Anfang.
Max Fischer
Foto: Zinckernagel