Schulterbeschwerden nachhaltig reduzieren
Neurozentrierte Strategien
Ist es Ihnen unmöglich, Ihren Aufschlag beim Tennis oder Ihren Armzug beim Kraulschwimmen ohne Schmerzen auszuführen? Ist Ihre maximale Bewegungsamplitude in der Schulter in den letzten Jahren dramatisch gesunken? Erfahren Sie hier, mit welchen fünf neurozentrierten Ansätzen Sie Ihre Probleme langfristig in den Griff bekommen können.
Beschwerden in der Schulter zählen heutzutage neben Rücken- und Nackenschmerzen zu den häufigsten körperlichen „Baustellen“. Unter Sportlern äußern sich diese Beschwerden häufig in stechenden oder dumpfen Schmerzen, Bewegungseinschränkungen oder einem reduzierten Kraftoutput. Da in der Schulter viele Muskeln, Sehnen, Bänder, Knochen und Nerven auf engstem Raum zusammenarbeiten, kommen für Beschwerden in diesem Bereich viele Ursachen infrage, etwa Verschleiß, Verletzungen oder kalkartige Ablagerungen in der Sehne des M. supraspinatus (Obergrätenmuskels), entzündete Schleimbeutel, eine schwache oder einseitig belastete Muskulatur sowie beeinträchtigte Nerven, Bänder und Sehnen.
Das große Problem dabei ist, dass diese große Ursachenvielfalt zumeist nur auf einen rein biomechanischen Ansatz reduziert wird und Behandlungen von Schulterbeschwerden dementsprechend auch nur über diesen Weg angegangen werden. Wir müssen jedoch einen Schritt weiter gehen und die genaue Ursache herausfinden, um passgenaue Maßnahmen ergreifen zu können. Neben den orthopädisch notwendigen Vorgehensweisen müssen Sie sich bewusst machen, was eigentlich auf neurologischer Ebene mit der Schulter bei Bewegungen passiert. Denn nur so können Störfeuer gezielt gelöscht werden. Betrachten wir dies einmal im Detail:
Die Hauptaufgabe des Gehirns ist immer das Garantieren Ihrer unmittelbaren Sicherheit und Unversehrtheit. Diesem Vorgehen wird alles untergeordnet, außer in akuter Lebensgefahr. Ob Sie eine Langhantel in die Höhe stemmen oder sich beim Squash austoben – dem zentralen Nervensystem (ZNS) ist das egal. Hauptsache, Sie überstehen das Ganze unbeschadet. Dabei handelt das ZNS als höchste steuernde Instanz im menschlichen Körper stets nach derselben Methode: Es empfängt sensorische Informationen aus der Um- und Innenwelt durch u. a. Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten, den Gleichgewichtssinn und das Temperaturempfinden, die es zeitgleich analysiert und interpretiert. Tag und Nacht beantwortet Ihr Gehirn die Fragen: Bin ich in Sicherheit? Was kann ich gegen Unsicherheit tun? Auf der Grundlage dieses Screenings erstellt Ihr Gehirn eine Prognose für das, was als Nächstes passieren wird, und trifft so eine Entscheidung darüber, was die entsprechenden Organe und Systeme, die einen Output erzeugen, als Nächstes zu tun haben.
Der Output ist vom Input abhängig: Je präziser Ihren Sinnesorganen die Wahrnehmung von Reizen gelingt, desto genauer kann Ihr ZNS die aktuelle und zukünftige Situation prognostizieren. Maximale Sicherheit in der Bewegung entsteht dann, wenn die Informationsqualität aus den Zuliefersystemen als hervorragend einzustufen ist. Wenn der Input aus den sensorischen Systemen nun lückenhaft ist, wird Ihr Gehirn annehmen, dass die aktuelle Situation nicht sicher ist. So kann Ihr Gehirn keine genaue Prognose für die kommende Situation stellen und der Vorhersageprozess über das, was als Nächstes passieren soll, scheitert. Sie merken dies auf Dauer durch Bewegungseinschränkungen, Schmerzen, Kraftlosigkeit und Koordinationsprobleme – verbunden mit einer erhöhten Verletzungsgefahr.
Die oben genannten Beschwerden der Schulter sind Aktionssignale Ihres Systems. So kommuniziert Ihr ZNS, wenn es Sie zu einer Änderung der Situation bewegen will. Gelingt es Ihnen also, die Informationslage aus Ihren Sinnesorganen und den Strukturen der Schulter zu verbessern, erhöhen Sie damit auch die Wahrscheinlichkeit, das Auftreten von schmerzenden Aktionssignalen zu mindern. Denn je sicherer das Gehirn die aktuelle Lage bewertet, desto weniger Maßnahmen zur Einschränkung von Bewegungen, z. B. Schmerzen, geringe Kraftentfaltung, Bewegungseinschränkungen usw., sind aus Sicht des ZNS notwendig.
Ansatz 1: Sensorik der Haut
Zur Reduktion von Schulterbeschwerden können sensorische Reize der Haut sehr hilfreich sein, um die Sicherheitslage des ZNS zu erhöhen. Für die Praxis ist das entscheidend: Kleben wir z. B. ein Tape auf die Schulter, nutzen eine Faszienrolle oder ein Vibrationsgerät an diesem Gelenk, so aktivieren wir spezifische Rezeptoren, deren zusätzliche Aktivierung sich positiv, neutral oder negativ auf die Bewegung auswirken kann. Dazu benötigen wir individuell passende und förderliche Reize. Zur richtigen Anwendung eines sensorischen Reizes sollten zumindest die Art des Reizes (spitz, stumpf, warm, kalt, langsame und schnelle Vibration), der Ort der Reizaufnahme und die Art der Weiterleitung differenziert betrachtet werden. Wird der für den Athleten passende Reiz gewählt, erhöht sich die Sicherheitslage des ZNS und es kommt zu einer direkten Linderung der Beschwerden. Diese Art der Anwendung funktioniert, weil die von den Rezeptoren der Haut wahrgenommenen Reize zuerst sensorisch verarbeitet werden, bevor daraus ein motorischer Befehl abgeleitet wird. Sie arbeiten auf sensorischer Ebene also mit den Prozessen, die im Vorfeld einer motorischen Handlung ablaufen. Hier gilt: Probieren geht über Studieren! Hinweis: Oft sind die Reize, die Sie nicht gut wahrnehmen können, diejenigen, die im Rahmen der Prognose fehlen und die das Gehirn zur Aussendung von Schmerzsignalen bewegen. Besonders deutlich tritt dieses Phänomen dort zutage, wo Tattoos und Narben die sensorischen Eigenschaften der Haut angegriffen haben.
Ansatz 2: Neuromechanik
Die Ursache von Gelenkbeschwerden kann dort liegen, wo Sie es am wenigsten vermuten: auf der Ebene der Nerven. Knickt man einen Gartenschlauch, wird der Wasserdurchfluss unterbrochen. Gleiches passiert, wenn die Nervenfasern unser Gehirn nicht einwandfrei mit Informationen versorgen. Das Gehirn muss dann Prognosen erstellen, die auf lückenhaften Informationen beruhen. Folglich zieht das ZNS die Handbremse und schränkt aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus den motorischen Output ein. Da Nerven eigene Gefahrenrezeptoren besitzen, können diese bei unverhältnismäßiger Druckbelastung ebenfalls leistungsmindernde Signale aussenden. Schmerzen sind häufig die Folge. Um eine optimale Informationsübertragung gewährleisten zu können, müssen die Nerven einwandfrei im Gewebe gleiten. Um die Gleiteigenschaften derjenigen Nerven, die die Schulter innervieren, zu verbessern, eignen sich neuromechanische Übungen. Diese umfassen die Mobilisation und die Entspannung der Nerven zur Verbesserung der Signalübertragung vom motorischen Kortex über das Rückenmark zum Muskel und zurück. Stellen Sie sich also die Fragen: Sind die Nerven, die die Schulter innervieren, frei und können diese die sensorischen Informationen gut übertragen?
Ansatz 3: Propriozeptives Training
Im Bereich der Halswirbelsäule treten diejenigen Nerven aus, die die Schulter innervieren bzw. steuern. Daher kann die Ursache für Schulterschmerzen und Bewegungseinschränkungen darin liegen, dass einer dieser Nerven mehr Spielraum benötigt – die Mobilisierung der Halswirbelsäule kann demnach immens zur Schmerzlinderung beitragen. Eine weitere Frage, die Sie sich stellen sollten, lautet: Ist der Bereich der Halswirbelsäule, wo die Nerven für die Schulter austreten, beweglich, frei von Spannung und gut ansteuerbar? Es kann immens hilfreich sein, an der maximalen Kontrolle der Schulter in Bewegung zu arbeiten und so ein geringeres Risiko für die Entstehung von Schulterbeschwerden zu erwirken.
Isometrisches Training: Isometrisches Krafttraining hat sich als erfolgreiches Werkzeug erwiesen, um Schulterbeschwerden zu reduzieren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die zusätzliche Spannungserzeugung zu Stabilitätsverbesserungen der Schulter führt und dem ZNS mehr Sicherheit suggeriert. Bewegen Sie die eingeschränkte Schulter dazu bis knapp vor den Moment des Schmerzes und halten Sie diese Position. Ein Partner versucht dann, Ihren Arm leicht aus dieser Position zu drücken – jedoch nur so weit, dass Sie die Position noch halten können. Halten Sie z. B. den Arm neben dem Kopf und der Partner drückt aus jeder Richtung leicht gegen diesen Arm. So wird dem Gehirn durch isometrische Kontraktion in der angesprochenen Position beigebracht, dass die Bewegungsposition sicher ist und dass Spannung erzeugt werden kann. Denn nur wenn das ZNS grünes Licht gibt, sind wir überhaupt erst in der Lage, Schmerzen zu überwinden.
Aktive Schulterkontrolle in Bewegung: Versuchen Sie, eine maximale Bewegungskontrolle in Ihrer Schulter aufzubauen, indem Sie die Schulter durch Kreisen und Bewegungen im Achtermuster in jeder Ihnen möglichen Gelenkstellung bewegen.
Opposing Joints: Das Ausführen einer nicht linearen Bewegung (Kreisen, Achten, Spiralen) auf der schmerzfreien Seite aktiviert den Hirnstamm der betroffenen Seite, der zur Reduktion von Schmerzen entscheidend beitragen kann. Schmerzt Ihre Schulter rechts, können Sie versuchen, die linke Hüfte in einer nicht linearen Bewegung zu mobilisieren und zu prüfen, ob Ihr Schmerzlevel dadurch abnimmt. Die Hüftmobilisation sollte dabei genau entgegengesetzt zur schmerzhaften Bewegung ausgeführt werden. Sie können bspw. mit Ihrem linken Bein hinter Ihnen langsam kreisende Bewegungen machen, ohne sich dabei vorzubeugen, falls die Schulter in der Beugung schmerzt.
Ansatz 4: Aktivierung des Mittelhirns
Dieser Ansatz ist auf den ersten Blick ungewöhnlich: Ihre Augen. Über unsere Augen lassen sich die Kerne der Hirnnerven 3 und 4 aktivieren, die im Mittelhirn liegen. Die Augen aktivieren das Mittelhirn und somit auch den Tractus rubrospinalis, der als direktes Bindeglied zur Schulter die Flexorenaktivität der oberen Extremität erhöht und insgesamt großen Einfluss auf Ihre Bewegungseffizienz nimmt. Um die Aktivität des Mittelhirns zu erhöhen, eignen sich im Besonderen „Augenliegestütze“ oder diagonale Augenbewegungen. Darüber hinaus können Sie die Aktivität des Mittelhirns über peripheres Sehtraining fördern. Hierzu wird im neutralen Stand oder in einer sport- oder trainingsspezifischen Position ein Punkt fixiert, den die Augen während der Übung nicht verlassen dürfen. Ihr Trainer steht hinter Ihnen und führt von da aus mit einer Hand „Gänsefüßchen“ (Zeige- und Mittelfinger in Bewegung) ins linke oder rechte periphere Sichtfeld von Ihnen. Sie geben eineRückmeldung, sobald Sie im peripheren Sichtfeld eine Bewegung wahrnehmen.
Ansatz 5: Mirror Box App
Die Mirror Box App ist eine mobile Anwendung, deren Name schon verrät, worum es sich dreht: die Spiegelansicht. Wenn Sie in der Lage sind, Ihre rechte Schulter schmerzfrei zu bewegen, tun Sie dies vor Ihrem Handy bei eingeschalteter App. Für Ihre Augen sieht es auf dem Bildschirm so aus, als würden Sie die Schulter auf der anderen Seite bewegen. Diese kognitive Verzerrung kann unser Gehirn austricksen; es glaubt, Ihre eigentlich schmerzende Schulter bewege sich schmerzfrei. Dies kann dazu führen, dass das Gehirn Schmerzen als Aktionssignal nicht mehr erzeugt. Die Mirror Box App kann dementsprechend langfristig helfen, die schmerzende Schulter wieder belastbarer und schmerzfreier zu halten.
Fazit
Häufig ist der Blick auf rein biomechanische Strukturen in der Behandlung von Schulterbeschwerden nicht ausreichend, denn die Ursachen sind zu vielfältig. Mit den fünf vorgestellten Trainingsansätzen haben Sie die Möglichkeit, vom Rezeptor bis zu höheren Ebenen der Bewegungssteuerung Ihre Schulterschmerzen zu therapieren. Überprüfen Sie dabei nach jedem Stimulus, ob sich das Schmerzlevel verändert hat, und nutzen Sie nur die Maßnahmen, die Ihre Beschwerden wirklich lindern. Führen Sie nach jeder dieser Maßnahmen ein Test-Retest-Verfahren durch, um einen Vergleichswert zu schaffen. Eine Einteilung von Tools und Werkzeugen in „gut“ und „schlecht“ ist dabei unmöglich; kein Werkzeug ist die finale Antwort auf Ihre Schulterprobleme. Vor der langfristigen Anwendung eines Tools muss Klarheit darüber herrschen, ob Sie den spezifischen Stimulus benötigen – oder eben nicht. Das kann von Werkzeug zu Werkzeug ganz unterschiedlich sein.
Yassin Jebrini
Yassin Jebrini
ist Sportwissenschaftler M.A. und Z-Health-Absolvent. Er arbeitet als Neuroathletiktrainer mit Profi- und Freizeitsportlern. Zusätzlich ist er als Referent tätig und bildet Trainer im Bereich der Neuroathletik aus.
www.jebrini-training.de
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