Trend: „Back to the roots“
Interview mit Tim Lobinger, PT und Coach
Für den ehemaligen Stabhochspringer spielt der Sport – trotz Leukämiediagnose im Jahr 2017 – noch immer eine zentrale Rolle. Tim Lobinger war u. a. 15 Mal Deutscher Meister im Stabhochsprung, gewann zahlreiche WM- und EM-Medaillen und ist einer der wenigen deutschen 6-Meter-Springer. Einige Jahre lang betreute er als Athletiktrainer die Spieler von RB Leipzig und coacht heute Freizeit- und Profisportler. Im Interview verrät er u. a., wie er die Coronakrise erlebt hat.
body LIFE: Herr Lobinger, Sie sagten einmal, ein Leben ohne Sport sei für Sie nicht vorstellbar. Wie schwer sind Ihnen die zurückliegenden Monate sowohl privat als auch beruflich gefallen, als Sport aufgrund der Pandemie nur eingeschränkt möglich war?
Tim Lobinger: Corona hat mir sowohl beruflich als auch privat zum Glück kaum Probleme bereitet. Ich bin jemand, der gut durch die Krise kam. Als Rehasporttrainer mit Arbeitszulassung für Österreich konnte ich weiterhin mit meinen Kunden arbeiten und gehöre daher nicht zu den Hauptleidtragenden. Trotzdem ist es eine schlimme Zeit, die auch mich geprägt hat, vor allem aber natürlich die Kollegen, die schließen mussten. Wir erleben eine Zeit der Prüfungen für viele Menschen, sei es in der Fitness- oder in anderen Branchen. Privat bin ich sehr gefestigt und kann auf ein stabiles Umfeld zurückgreifen; daher habe ich die Krise als nicht so schlimm wie befürchtet erlebt.
body LIFE: Wie sah Ihr (Trainings-)Alltag in den zurückliegenden Monaten aus?
Tim Lobinger: Zu Beginn der Pandemie war das Wetter sehr günstig; ich konnte direkt draußen arbeiten und ein Outdoor-Gym einrichten. Durch meine Arbeit mit Profisportlern, die ja nicht so sehr von den Coronamaßnahmen betroffen waren und weiterhin trainieren durften, hatte ich einen nach wie vor geregelten Alltag. Bis die Grenze zu Österreich geschlossen wurde, habe ich unter der Woche dort gearbeitet und ansonsten in München mit den Profis. Für mich war der Arbeitsalltag ziemlich normal, den Umständen entsprechend.
body LIFE: Haben Ihre Klienten im Lockdown die Motivation für den Sport aufrechterhalten können? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Tim Lobinger: Das Feedback von vielen war sehr positiv; das Training draußen kam gut an und die Kunden haben es genossen. Wenn man nicht im Studio an den Geräten trainiert und outdoor improvisieren muss, hat man natürlich die besten Voraussetzungen für das ultimative funktionelle Training geschaffen. Die Natur bietet ein großes Spielfeld für tolle neue Ansätze, z. B. Training am Hang oder auf verschiedenen Untergründen. Die Kunden konnten sich in spartanischem Umfeld beweisen und neue Sachen ausprobieren, die sie vorher noch nie gemacht haben. Für mich war das eine wichtige Bestätigung, dass man eben nicht zwingend die perfekte Umgebung schaffen muss und nur danach trainiert, was in den Handbüchern steht.
body LIFE: Was empfehlen Sie Trainern und Studiobetreibern für die bevorstehende Wiedereröffnung?
Tim Lobinger: Entscheidend ist gerade mit Bezug auf die Kunden, dass man Verpasstes nicht nachholen kann. Viele Studiomitglieder sind durch die lange Zwangspause einfach nicht mehr auf dem Fitnesslevel von vor der Pandemie. Manche müssen vielleicht wieder bei Null anfangen. Falscher Ehrgeiz beim Trainer ist hier also ein falsches Rezept. Das Vakuum, das durch die Studioschließungen entstanden ist, ist in den seltensten Fällen wirklich genutzt worden – sowohl von Seiten der Betreiber, als auch von Seiten der Kunden. Und das Training zu Hause oder der Outdoor-Sport, der im Sommer 2020 einen großen Boom erlebt hat, sind nicht vergleichbar mit einem professionellen 1:1-Training. Sportler oder ambitionierte Klienten müssen da abgeholt werden, wo sie jetzt tatsächlich stehen; das halte ich für den entscheidenden Faktor.
body LIFE: Welche Chancen ergeben sich aus der Coronakrise für Trainer und Studios?
Tim Lobinger: Ich glaube, dass jeder Trainer in der Krise die Chance hatte, sich neu zu erfinden und sich an ganz neue Übungen oder Konzepte heranzutasten. Insgesamt war in den vergangenen Monaten eine deutliche Tendenz zu „Back to the roots“ und „Keep it simple“ erkennbar; viele Kunden haben Spaß daran gefunden. Es ist wichtig, mehr Progression in die Trainings zu bringen, die Klienten auch motorisch zu fördern und für eine Variabilität der Reize zu sorgen. Ich glaube, dass hier gerade junge Trainer in der Krise an ihre Grenzen gestoßen sind. Wer diesen Ansatz jedoch genutzt hat, hat damit seine eigene Vielseitigkeit verbessert. Es bleibt eine spannende Zeit.
body LIFE: Sie sind 2017 an Leukämie erkrankt und zählen zur Coronarisikogruppe. Wie empfinden Sie aufgrund Ihrer Krankheit die Pandemie?
Tim Lobinger: Natürlich schüchtert mich die Situation ein und ich muss noch mehr auf mich achten als bisher. Ich selbst habe mich allerdings nie als Hochrisikopatienten gesehen. Durch meine Krankheit bin ich z. B. Mundschutz tragen und Kontaktbeschränkungen schon gewöhnt und konnte mich so viel leichter auf die weiteren Coronastrategien und Einschränkungen im täglichen Leben einstellen.
body LIFE: Wir treffen Sie heute im „Gymnasion“ in Rastatt für Videoaufnahmen. Worum geht es genau?
Tim Lobinger: Ich arbeite schon seit langer Zeit mit Charlotte Würdig zusammen. In diesem Kontext habe ich z. B. Programme speziell für Frauen nach der Schwangerschaft entwickelt, die ihr Fitnesslevel wieder anheben möchten. Wir arbeiten auch mit Übergewichtigen und älteren Menschen jenseits der 50 zusammen. Beim Videodreh heute geht es um die Vorstellung eines 10-Wochen-Programms im Bereich Performance und Training: ein Kurz-und-knackig-Konzept für alle, die effizient trainieren wollen.
body LIFE: Welche Verbindungen haben Sie noch zum Leistungssport?
Tim Lobinger: Der Leistungssport ist der Nenner, den ich durch meinen Beruf auch jetzt noch habe; er ist für mich die Hauptaufgabe. Etwa 90 Prozent meiner Kunden sind Hochleistungssportler aus vielen verschiedenen Sparten. U. a. sind Breakdancer und E-Sportler dabei, hauptsächlich betreue ich aber Fußballer. Auch Profis aus den Bereichen Wintersport, Leichtathletik, Feldhockey, Golf und Tennis gehören zu meinen Klienten.
body LIFE: Sie haben eine Zeit lang bei RB Leipzig gearbeitet. Welche Arbeit macht Ihnen mehr Spaß: die mit den Leistungs- oder die mit den Freizeitsportlern?
Tim Lobinger: Letztlich ist es die Balance aus beidem. Ich bin jemand, der gerne auf dem Prüfstand steht. In dem Segment ankommen, wo man an seiner sportlichen Leistung gemessen wird, mag ich am liebsten. Trotzdem ist auch die Rückmeldung von Freizeitsportlern sehr wertvoll für mich. Wenn jemand ein neues Körpergefühl entwickelt hat, wenn ich Vorher-nachher- Bilder sehe, positive Kommentare bekomme, dann gibt mir das viel zurück und es hat sich gelohnt, was ich an Arbeit, Energie und Leidenschaft in das Training gesteckt habe.
body LIFE: Was sind Ihre weiteren Pläne für die kommende Zeit?
Tim Lobinger: Ich muss sagen, dass ich beruflich ziemlich happy bin. Ich habe mit jungen, ehrgeizigen und sehr sympathischen Menschen und Sportlern zu tun. Daran will ich gar nicht viel ändern. Die interdisziplinäre Arbeit, die ich pflege, ist das, was ich schon immer machen wollte. Derzeit habe ich keine neuen Pläne – außer der Verbesserung meines Netzwerks. Und natürlich möchte ich weiterhin Sportlern zu einem höheren Leistungsniveau verhelfen.
body LIFE: Vielen Dank für das Interview.
Foto: Tim Lobinger