Das dicke Ende
Die Menschen werden immer dicker. Und das ist gefährlich. Wie Adipositas zu einer globalen Bedrohung werden konnte, warum es so schwer ist, die Fettleibigkeit zu bekämpfen – und wie dies trotzdem funktionieren kann.
Gegen Ende des Jahres 1978 handelte sich Marius Müller-Westernhagen etwas ein, das man heute einen Shitstorm nennen würde. Sein Album „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ war im Oktober erschienen und darauf befand sich ein Lied, bei dem vielen beim ersten Hören die Luft wegblieb. „Dicke“ hieß es – und es wurde als mindestens unverschämt, öfter aber als übelste Polemik gegenüber Fettleibigen wahrgenommen. Und tatsächlich: Textzeilen wie „Dicke schwitzen wie die Schweine, stopfen, fressen in sich rein“ waren echt starker Tobak. Aber eigentlich hat Müller-Westernhagen – damals noch mehr als heute eine deutsche Musikikone – nicht viel anderes gemacht als landläufige Vorurteile („Dicke ham‘s so schrecklich schwer mit Frauen“) und unangenehme Wahrheiten („Dicksein ist ‘ne Quälerei“) über schwer Übergewichtige in einem Song zu bündeln. Und hat damit vielen, die auf dieser Welle der Vorurteile geritten sind, den Spiegel vorgehalten.
Adipositas ist eine ernst zu nehmende Krankheit
Erstaunlich viel Zustimmung aber erfuhr der Sänger damals von den besungenen „Dicken“ selbst. „Meine Mutter war ihr ganzes Erwachsenenleben schwer übergewichtig und ich weiß noch, wie sie damals ganz nüchtern sagte: ‚Stimmt doch alles!‘“, erinnert sich der Journalist Stephan Bartels, seinerzeit elf Jahre alt. „Und heute weiß ich selbst: Wer unter Übergewicht leidet, wird stigmatisiert. Ich hatte lange das Gefühl, dass mir Leute auf der Straße erst auf meinen Bauch schauen und dann in mein Gesicht.“ Er hat oft genug gehört, dass er sich mal zusammenreißen, endlich diszipliniert sein Problem angehen solle. „Viele halten Adipositas für eine Charakterschwäche“, sagt Bartels, 1,76 Meter groß, heute 107 Kilo schwer, „aber kaum jemand, der nicht damit zu tun hat, versteht, wie sehr dieses Dicksein an einem zehrt, wie es die Seele beschwert – und was für eine unvorstellbare Aufgabe sich vor jedem auftürmt, der diese Krankheit wieder loswerden will.“
Krankheit? Ja! Diese Adipositas, von der er hier spricht, ist tatsächlich nicht bloß ein Zustand – die Fettsucht, „adeps“ ist das lateinische Wort für Fett, wird international als endokrine Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit klassifiziert. Nur die meisten Krankenkassen sehen das anders, verzichten deshalb weitgehend auf Prävention und zahlen lieber die teuren Folgen. Und als adipös gilt nach Definition der Weltgesundheitsorganisation, wer einen Body- Mass-Index von 30 überschreitet – da beginnt Grad 1; ab 35 ist es Grad 2 und alles über einem BMI von 40 wird in Grad 3 einsortiert. Simples Übergewicht beginnt bei einem BMI von 25, das bedeutet: Zu dick und damit auf dem Weg in ein erhöhtes Krankheitsrisiko wäre der oben erwähnte Bartels schon, wenn er knapp über 77 Kilo wöge. Das ist eine sehr einfache Definition, vielleicht auch zu einfach (dazu später mehr), aber wenn man ihr folgt, ist Adipositas ein Problem mit globaler Wachstumstendenz: Noch 1975 galten lediglich 22 Prozent der Weltbevölkerung als übergewichtig – heute sind es beinahe 40 Prozent. Und in Deutschland noch weit mehr: Da tragen 57 Prozent zu viel Ballast am Leib. Sogar gefährlich wird es für 23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen hierzulande: So viele laufen mit einem BMI von über 30 herum, hat das Robert Koch-Institut ermittelt.
Der Körper leidet enorm unter starkem Übergewicht
Aber warum gefährlich? Was ist denn daran nun eigentlich so schlimm? War nicht ein stattlicher Bauch mal ein Symbol für Gemütlichkeit und Wohlstand? Und war da nicht mal eine Zeit, in der dicke Menschen sogar das Schönheitsideal bestimmten? Hieß es nicht früher, ein Mann ohne Bauch sei wie ein Himmel ohne Sterne? Ja. Nur wusste man damals noch nichts vom „tödlichen Quartett“. So nennt man das metabolische Syndrom, also das unheilvolle Zusammenspiel von zu viel Bauchfett, einem gestörten Fettstoffwechsel, Bluthochdruck und einer Insulinresistenz – wer unter Letzterer leidet, ist auf dem besten (oder schlechtesten) Weg, ein Typ-2-Diabetiker zu werden (oder hat ihn schon hinter sich). Extremes Übergewicht belastet die Gelenke und die Atemwege, kann zu Schlafapnoe führen, begünstigt bestimmte Krebsarten – und sogar das Risiko, vorzeitig an Alzheimer zu erkranken, steigt immens. Die Liste ist noch länger, die Abwärtsspirale, auf der man sich als Fettleibiger befindet, eine besonders glitschige Rutschbahn. Nichts, wirklich gar nichts wird besser mit Adipositas.
Den komplettem Artikel finden Sie in der aktuellen bodyLIFE Ausgabe 05/2021 oder als kostenlosen Download im STORE.
Foto: Studio Romantic – stock.adobe.com ; xyz+ – stock.adobe.com; Dr. Marc Weitl