Dreiklang aus Ernährung,Bewegung und Verhalten
Dr. Melanie Hümmelgen, Chefärztin Kardiologische Rehabilitation, RehaCentrum Hamburg GmbH
In Deutschland ist rund ein Viertel der Erwachsenen – 23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen – von starkem Übergewicht betroffen. Dr. Melanie Hümmelgen geht im Interview auf die Rolle von Bewegung in der Behandlung und Nachsorge von Adipositas ein und betont die Wichtigkeit von Kooperationen zwischen Medizinern und Fitnessstudios.
body LIFE: Frau Dr. Hümmelgen, welche Rolle spielt Sport bei der Gewichtsreduktion adipöser Menschen?
Dr. Melanie Hümmelgen: Sport spielt eine sehr wichtige Rolle – in puncto Nachhaltigkeit sogar die wichtigste. Eine langfristig erfolgreiche Gewichtsabnahme sollte immer im Dreiklang aus Ernährungsumstellung, Bewegung und Verhaltensänderung erfolgen. Am schnellsten geht Abnehmen zwar über die Ernährung und eine reduzierte Kalorienzufuhr. Wenn jedoch nicht gleichzeitig Sport und Bewegung in den Alltag Einzug halten, dann wird die Gewichtsreduktion nicht nachhaltig sein und es kommt zum Jo-Jo-Effekt. Nur Sport treiben wird allerdings nichts nutzen, wenn nicht gleichzeitig auch eine Verhaltensänderung des adipösen Patienten stattfindet.
body LIFE: Gibt es neue Studien und Erkenntnisse auf diesem Gebiet?
Dr. Melanie Hümmelgen: Zum Thema „Adipositas“ wird kontinuierlich geforscht; von besonderem Interesse ist z. B. die nachhaltige Gewichtsreduktion. Warum fällt einigen Betroffenen das Abnehmen so schwer? Warum werden manche Patienten schnell wieder rückfällig und andere nicht? Bei einer Adipositas von höherem Ausmaße stellt sich die Frage, wie sich der Grundumsatz des Patienten langfristig steigern lässt und wie ein gezielter Muskelaufbau erfolgen kann. Viele Programme berücksichtigen jedoch nicht, dass die Gewichtsreduktion letzten Endes einer Änderung des gesamten Lebensstils bedarf. Isolierte Ernährungs- oder Bewegungsschemata allein führen nicht zum Erfolg.
body LIFE: Welche körperlichen Begleiterscheinungen treten am häufigsten auf? Lassen sich diese durch Sport gezielt eindämmen?
Dr. Melanie Hümmelgen: Häufigste Begleiterscheinung ist mit Abstand Diabetes Typ 2. Außerdem treten oft Bluthochdruck, verschiedene Stoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, orthopädische Probleme – vor allem Gelenkbeschwerden in den Knien –, eine insgesamt verminderte Beweglichkeit und das Schlafapnoe- Syndrom auf. Eine gezielte Bewegungstherapie hilft dabei, diese Beschwerden einzudämmen. Gerade eine Diabetes-mellitus-Erkrankung verbessert sich fast automatisch mit der Gewichtsreduktion und der Blutdruck normalisiert sich wieder. Für die Eindämmung vieler Begleitsymptome ist der Muskelaufbau elementar – und dieser kann nur durch Sport und Bewegung erzielt werden.
body LIFE: Welche Sportarten eignen sich bei Adipositas und welche nicht?
Dr. Melanie Hümmelgen: Hier sollte immer der einzelne Patient mit seinen individuellen Beschwerden im Zentrum stehen. Faktoren wie der BMI und der Schweregrad der Begleiterscheinungen müssen unbedingt berücksichtigt werden. Die eine perfekte Sportart für alle adipösen Menschen gibt es nicht. Ganz wichtig ist erst einmal, sich realistische Ziele zu setzen und darauf zu achten, überhaupt einmal mehr Bewegung in den Alltag zu bringen. Das fängt bei ganz einfachen Dingen und in kleinen Etappen an, indem man z. B. auf kurzen Strecken das Auto stehen lässt und zu Fuß geht oder, falls möglich, sogar mit dem Fahrrad fährt. Mit der Zeit sollte sich das Bewegungspensum dann steigern und der Patient kann sich langsam an den richtigen Sport herantasten. Je nach körperlicher Verfassung und individuellen Vorlieben eignen sich etwa Spazierengehen, Walken und Nordic Walking, Joggen, Schwimmen, Wassergymnastik, Aqua-Cycling, leichtes Fitnesstraining und Eigenübungen zu Hause oder im Studio. Wassersport ist generell ein guter Einstieg, denn das Gewicht wird über das Wasser entlastet, was die Bewegungen erleichtert und die belasteten Gelenke schont. Auch Adipositasprogramme,spezielle Gruppentrainings und ausgewähltes Gerätetraining in qualifizierten Sporteinrichtungen oder Rehazentren kommen infrage.
body LIFE: Werden viele Patienten wieder rückfällig?
Dr. Melanie Hümmelgen: Sind Ernährung und Bewegung in Kombination mit einer motivierenden Begleittherapie integraler Bestandteil des Alltags geworden, so sind die Erfolgsaussichten recht hoch. Problematisch wird es ab einem bestimmten Alter – Ü45 – und einer sehr schweren Adipositas mit hohem BMI, da hier die Muskulatur schon sehr schwach ist und sich der Patient nur noch eingeschränkt bewegen kann. Statistiken gerade zu den schweren Fällen sind recht entmutigend; daher sollte der Schalter bei den Betroffenen frühestmöglich umgelegt und der Lebensstil rigoros geändert werden. Ernährungstagebücher und genau dokumentierte Fortschritte können Betroffene dazu motivieren, am Ball zu bleiben.
body LIFE: Welche Rolle spielen Fitnessstudios Ihrer Meinung nach für die Therapie und Nachsorge von Adipositas?
Dr. Melanie Hümmelgen: Fitnessstudios sind elementar für den Abnehmerfolg adipöser Menschen. Ein „gesunder“ adipöser Patient kann problemlos im Studio trainieren, wenn er nicht überfordert wird. Viele trauen sich zwar aus Schamgefühl nicht hin und haben aufgrund ihres Aussehens Angst vor den Reaktionen anderer Kunden, aber es lohnt sich. Die Studios sind für jedermann da und je nachdem, wie die individuellen Voraussetzungen sind, ist ein Training dort ohne Weiteres möglich. Neben dem gerätegestützten Training für den Muskelaufbau bieten viele Fitnessclubs mittlerweile auch spezielle Adipositas-Programme und Wassersportarten im eigenen Schwimmbad an; diese Ressource sollte genutzt werden.
Ausnahme ist die massive Adipositas. Studios verfügen meist nicht über die passenden Geräte, die bis über 200 Kilo belastbar sind. Der Patient muss erst einmal so viel Gewicht verlieren, dass er die normale Ausstattung im Studio überhaupt nutzen kann. Auch bei Vorerkrankungen ist Vorsicht geboten. Je hochgewichtiger und kränker der Patient ist, desto intensiver müssen der Betreuungsgrad und die medizinische Begleitbehandlung sein. Hier sind Kooperationen lohnenswert. Z. B. gibt der behandelnde Arzt dem Patienten eine Trainingsplanempfehlung mit, die der Fitnesstrainer umsetzen kann. Ganz wichtig: Der Sport findet nicht nur im Fitnessstudio statt, sondern idealerweise immer in Kombination von Training im Studio und Bewegung im Alltag.
body LIFE: Einige Patienten unterziehen sich einer Magenoperation. Was muss bei der Trainingsplanerstellung vor und nach der OP beachtet werden?
Dr. Melanie Hümmelgen: Die Vorbereitung sollte gezielt Muskulatur aufbauen, um die spätere Wundheilung zu unterstützen. Direkt nach der OP ist ein gerätegestütztes Training erst einmal tabu; Eigenübungen sind hier die Domäne. Besonders die Muskulatur an Po, Oberschenkeln und Rücken sollte nach dem Eingriff gestärkt werden. Bei Übungen, die eine Drucksteigerung im Bauch erzeugen, z. B. Situps, Beindrücken und Bauchpresse, ist anfangs noch Vorsicht geboten. Langfristiges Trainingsziel sollte sein, die Bauchdecke zu straffen und die abdominale Muskulatur zu stärken.
body LIFE: Vielen Dank für das Interview!
Foto:Dr. Melanie Hümmelgen