Deshalb sind Studios für die Nachsorge essenziell
PD Dr. Joachim Wiskemann, Leiter des Patientenprogramms „Bewegung und Krebs“ am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg.
Sport wirkt im Hinblick auf eine Krebserkrankung in dreierlei Hinsicht gut: Mit Bewegung lässt sich zahlreichen Tumoren vorbeugen, sie erhöht die Lebensqualität von Betroffenen während einer Therapie und hält die Patienten auch nach der Behandlung fit. Warum gerade in der Nachsorge Fitnessstudios eine große Bedeutung zukommt, erläutert Privatdozent Dr. Joachim Wiskemann im Interview.
body LIFE: Herr PD Dr. Wiskemann, wie wirkt sich Sport auf Menschen mit einer Krebserkrankung aus?
PD Dr. Joachim Wiskemann: Durch Bewegung lassen sich Nebenwirkungen der Krebstherapie positiv beeinflussen. Das bedeutet nicht, dass die Nebenwirkungen überhaupt nicht mehr auftreten, aber man kann sie zumindest in ihrer Häufigkeit und in der Intensität mindern. Das betrifft vor allem die Fatigue, ein Erschöpfungssyndrom, das bei vielen Krebspatienten auftritt. Sport ist hier das beste „Medikament“, das wir anbieten können. Es gibt keine andere Therapie, die effektiver einer Fatigue entgegenwirkt.
Darüber hinaus können beispielsweise ein Vibrations- oder Gleichgewichtstraining bei neurologischen Komplikationen helfen. Dazu gehören z. B. Nervenschädigungen in Händen und Füßen, die durch eine Chemotherapie verursacht werden. Außerdem lindert körperliche Aktivität depressive und ängstliche Stimmungslagen, unter denen Betroffene häufig leiden. Auch werden Schlafqualität und Knochendichte verbessert. Gerade letzteres ist ein wichtiges Thema für Brust- und Prostatakrebspatienten. Sie erhalten oft eine sogenannte antihormonelle Therapie, die negativ in den Knochenstoffwechsel eingreift, die Knochendichte verringert und zu einer Osteoporose führt.
body LIFE: Hat Bewegung weitere positive Effekte für die Patienten?
PD Dr. Joachim Wiskemann: Es mag vielleicht banal klingen: aber es ist nicht außer Acht zu lassen, dass Krebspatienten durch Sport auch während einer sehr belastenden Therapie ihr Fitnessniveau halten können. Das verbessert die Lebensqualität, da die Betroffenen leichter ihren Alltagsaktivitäten nachgehen können. Was oft vergessen wird: Sport befähigt zudem die Patienten, selbst etwas zum Erfolg ihrer Behandlung beizutragen und nicht nur passiv zu sein. Die meisten Betroffenen haben den Wunsch, aktiv zu werden und nicht auf das Ergebnis ihrer Therapie zu warten. Aus der Passivität herauszukommen, ist ihnen ein großes Bedürfnis.
body LIFE: Wie oft bzw. wie intensiv sollten Patienten trainieren? Und gibt es eine bestimmte Trainingsform, die besonders gut gegen Nebenwirkungen und Begleiterkrankungen hilft?
PD Dr. Joachim Wiskemann: Wir empfehlen den Patienten, zwei- bis dreimal pro Woche moderat bis intensiv zu trainieren. Sinnvoll ist hier eine Mischung aus Kraft- und Ausdauersport. Je nachdem, welche Komplikationen oder Begleiterkrankungen auftreten, muss das Training entsprechend angepasst werden. Hier ist es dann sinnvoll, einen darauf spezialisierten Arzt oder Bewegungsexperten um Rat zu fragen.
body LIFE: Kann jedes Fitnessstudio ein Training für Krebspatienten anbieten? Benötigen Trainer dazu eine spezielle Ausbildung?
PD Dr. Joachim Wiskemann: Hier muss man zunächst die Patientenperspektive betrachten: Betroffenen ist es extrem wichtig, dass der betreuende Trainer weiß, was sie gerade durchmachen. Somit ist ein Grundwissen hinsichtlich onkologischer Erkrankungen zentral relevant. Das heißt zum Beispiel zu wissen, wie wird Krebs therapiert, welche Nebenwirkungen können auftreten und mit welchen Besonderheiten sind die Patienten konfrontiert? Dementsprechend ist eine Zusatzausbildung sinnvoll. Wichtig ist auch, dass Trainer eine persönliche Bindung aufbauen, denn Krebspatienten brauchen einfach etwas mehr Betreuung als andere Menschen. Generell kann jedes Fitnessstudio ein Training für Krebspatienten anbieten, zumindest wenn die Betroffenen die Therapie bereits hinter sich haben. Trainer sollten aber wissen, wie sie ein Bewegungsprogramm mit Krebspatienten aufbauen. Außerdem ist es wichtig, dass Hygieneregeln eingehalten werden und dass Studios gut gewartete Geräte nutzen. Es gibt keine bestimmte „Krebsübung“ – ein gut ausgebildeter Trainer hat bereits das Handwerkszeug, um mit Krebspatienten zu trainieren. Er sollte nur lernen, das Sportprogramm auf die jeweilige Situation des Betroffenen anzupassen und ggf. Rücksprache mit dem behandelnden Arzt halten.
Am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen bieten wir im Rahmen des Netzwerks „OnkoAktiv“ Hospitationen bei uns an. Hier lernen die Trainer und Therapeuten, wie sie mit Krebspatienten trainieren. Es gibt aber auch formale Ausbildungskooperationen, beispielsweise mit der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement. Außerdem bieten wir zusammen mit dem Deutschen Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie eine entsprechende Ausbildung an, in der Therapeuten und Trainer geschult werden, um im Rehabilitationssetting entsprechende Kurse halten zu können.
body LIFE: Lohnt es sich für Studiobetreiber, spezielle Kurse für Krebspatienten anzubieten?
PD Dr. Joachim Wiskemann: Das kommt darauf an, um welchen Typ von Krebspatient es sich handelt. Es gibt Patienten, die nur an Programmen teilnehmen, bei denen sie mit anderen Betroffenen gemeinsam trainieren. Es gibt aber auch solche, die in einem Fitnessstudio trainieren möchten, ohne dass sie durch die Erkrankung stigmatisiert werden. Nur der Trainer weiß dann von der Erkrankung. Ein spezielles Angebot wird in diesem Fall also nicht benötigt. Möchte ein Studiobetreiber mit Krebspatienten arbeiten, so muss er aber nicht sofort ein entsprechendes Programm anbieten. Sinnvoll ist es, sich erst einmal schulen zu lassen, die Möglichkeiten zu erörtern und sich Netzwerken anzuschließen. Zum Beispiel sollten Studiobetreiber Kooperationen mit lokalen Onkologen und Kliniken in ihrer Nähe aufbauen. Danach kann man immer noch entsprechende Programme etablieren.
body LIFE: Welchen Stellenwert haben Fitnessstudios in der Nachsorge von Krebspatienten?
PD Dr. Joachim Wiskemann: Gesundheitsorientierte Fitnessstudios sind unabdingbar, wenn wir die 500 000 Menschen, die jedes Jahr neu an Krebs erkranken, mit Sportangeboten versorgen wollen. Die Studios spielen also eine ganz zentrale Rolle und sie sollten sich unbedingt in diese Richtung weiter etablieren und diesbezüglich neue Konzepte entwickeln. Meiner Meinung nach sollten Fitnessstudios zumindest für einen gewissen Zeitraum während der Nachsorge subventioniert werden, wenn sie ein qualitativ hochwertiges Programm bzw. eine Betreuung vorweisen.
Das komplette Interview finden Sie in der aktuellen bodyLIFE Ausgabe 11/2020 oder als kostenlosen Download im STORE.
Foto: NCT Heidelberg /Philip Benjamin