Kaatsu
Mit Druck zum Erfolg
Bewegung gilt als effektives Medikament. Experten für „Return to Sport“ und Arthrosetherapie stehen allerdings oft vor der Herausforderung, das Training ihrer Sportler und Patienten richtig zu dosieren. Muskelkräftigung bei gleichzeitiger Schonung der passiven Strukturen wie Bänder, Sehnen und Knorpel – das klingt eigentlich wie ein Widerspruch, oder?
Kaatsu ist eine Trainingsmethode, die in den 1970er-Jahren von Dr. Yoshiaki Sato in Japan entwickelt wurde. Der Begriff „Kaatsu“ bedeutet wörtlich übersetzt „zusätzlicher Druck“. Es handelt sich um eine Form des Blutflussbeschränkungstrainings (Blood Flow Restriction Training, BFR), bei dem der Blutfluss in den Muskeln während des Trainings begrenzt wird, indem speziell dafür ausgelegte Manschetten um die Extremitäten, also die Arme oder Beine, angelegt werden.
Das Training mit eingeschränktem Blutfluss erhöht die muskuläre Belastung, indem es den Sauerstoff- und Nährstofffluss zu den Muskeln reduziert. Dadurch entsteht ein anaboler (aufbauender) Reiz, der das Muskelwachstum fördern kann. Die Methode soll es ermöglichen, mit geringeren Gewichten oder Widerständen zu trainieren und dennoch ähnliche Effekte wie bei intensiverem Training zu erzielen.
Zyklisch vs. konstant
Das Kaatsu-Training kann auf zwei Arten erfolgen. Die heute am meisten angewendete Methode ist ein zyklisches Training. Achtmal in Folge wird für 30 Sekunden ein Druck in den Manschetten aufgebaut, jeweils gefolgt von 5 Sekunden Pause. Trainiert wird in der Phase unter Druck. Während dieses 8er-Zyklus wird der Druck innerhalb einer vorab definierten Spanne schrittweise erhöht. Mehr Druck bedeutet dabei nicht automatisch besser. Das zyklische Training kann gut im Rahmen eines Krafttrainings eingesetzt werden. Ich absolviere zwei bis drei Sätze und bin in der Regel nach 15–20 Minuten fertig.
Daneben gibt es noch eine Methode, bei der ein konstanter Druck erzeugt wird; hierbei werden hohe Wiederholungen mit kurzen Satzpausen von 20 Sekunden kombiniert. Meist werden drei Sätze durchgeführt. Die Wiederholungszahl fällt von ca. 30 im ersten Satz auf ca. 10 im dritten Satz ab. Trainiert wird bis zum muskulären oder technischen Versagen bei der Übungsausführung. Im Ausdauerbereich ist auch eine Dauerbelastung über eine Zeitspanne von 10 bis 20 Minuten möglich. Persönlich verwende ich diese Methode regelmäßig beim Schwimmen und manchmal beim Radfahren. Unter einem konstanten Druck in den Manschetten sind auch sportartspezifische Trainingseinheiten zum Beispiel in Ballsportarten möglich.
Warum das Ganze?
Die Muskelkompression und die daraus resultierende veränderte Durchblutung reduzieren die Leistungsfähigkeit der Muskulatur. Bezogen auf ein Krafttraining kann die Muskelerschöpfung bei einer Übung mit ca. 20–40 Prozent der üblichen Trainingsgewichte erzielt werden. Der Muskel kann also an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gebracht werden – ohne gleichzeitig Sehnen, Bänder und Gelenke zu sehr zu belasten. Darüber hinaus sind im Grunde fast alle alltags- und sportartspezifischen Bewegungen möglich. Das macht einen Einsatz von der Rehabilitation bis hin zum Leistungssport sinnvoll.
Wie wirkt ein Kaatsu-Training im Körper?
Auf ein Kaatsu-Training erfolgen drei wesentliche physiologische Anpassungsreaktionen in unserem Körper. In der trainierten Extremität finden lokale Anpassungen der Gefäße und der Muskulatur statt. Darüber hinaus wirkt das Training über eine hormonelle Reaktion auch systemisch. Die lokale Minderversorgung mit Sauerstoff (Hypoxie) und die vermehrte Laktatbildung in der traitrainierten Extremität führen zu einem metabolischen Stress im Gewebe. Gemeinsam mit dem mechanischen Stress durch eine Störung des Blutflusses in den Gefäßen bilden sich vermehrt Stickstoffmonoxid (NO) und ein Wachstumshormon, der „Vascular Endothelial Growth Factor“ (VEGF). Zusammen verbessern sie die elastischen Eigenschaften der Gefäße und unterstützen gleichzeitig deren Neubildung. Möglich ist auch eine vermehrte Bildung roter Blutkörperchen über die erhöhte Produktion von Erythropoetin (Epo). Letzteres verdankt seine Bekanntheit dem Einsatz als Dopingmittel im Ausdauersport. Das Kaatsu-Training hat, wie z. B. auch ein Höhentraining, natürlich nichts mit Doping zu tun.
Kaatsu-Krafttrainingseffekte
Für die meisten Patienten und Sportler sind die Kaatsu-Krafttrainingseffekte am interessantesten. Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Kaatsu-Training, verglichen mit einem konventionellen Krafttraining, bei deutlich geringeren Lasten zu einer vergleichbaren, teils sogar ausgeprägteren Muskelhypertrophie führt. Dieser Effekt ist unabhängig von Alter, Geschlecht und Trainingszustand.
Dafür gibt es mehrere Erklärungsansätze.
Kaatsu führt auch zu einer systemischen Ausschüttung von Wachstumshormonen, wie sie üblicherweise bei einem Krafttraining gemessen wird. Zusätzlich kommt es zu einer verstärkten Ausschüttung des anabolen Insulin-like- Growth-Factors-1 (IGF-1), von Adrenalin und Noradrenalin sowie zu einer verstärkten Laktatbildung. Hohe Laktatlevel können zusammen mit einem Sauerstoffmangel, der eben schon erwähnten Hypoxie, die Neubildung von Gefäßen fördern. Des Weiteren kann Laktat die Kollagensynthese im Gewebe um den Faktor 2 steigern; davon profitieren unsere Gefäße und die Wundheilung. Aufschlussreich sind auch Untersuchungen zu muskeleigenen Botenstoffen, den Myokinen. Bei einem Kaatsu-Krafttraining werden diese wie bei einem regulären Krafttraining ausgeschüttet – jedoch ohne den sonst üblichen Anstieg der Creatinkinase (CK), die als Marker für eine Muskelschädigung gilt. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Kaatsu eine effektive Möglichkeit der Kraftsteigerung und der Muskelhypertrophie bei geringeren Lasten und weniger Zeitaufwand darstellt.
Sinnvolle Einsatzgebiete
Es gibt zahlreiche sinnvolle Einsatzgebiete für ein Kaatsu-Training, z. B. im Fitnesstraining und Leistungssport, in der Rehabilitation und Therapie, im Training mit Älteren, im Ausdauertraining und im Schwimmtraining. Ersetzt Kaatsu die üblichen Trainingsmethoden? Nein, es kann aber eine sehr sinnvolle Ergänzung darstellen.
Ein besonderer Schwerpunkt bei mir ist der gezielte Einsatz von Kaatsu bei der konservativen Behandlung von Arthrose und postoperativ nach Gelenkoperationen. Studien und meine eigenen Erfahrungen zeigen, dass der Einsatz von Kaatsu insbesondere nach wiederherstellenden Operationen ausgezeichnet wirkt. Der sonst übliche Verlust an Muskelmasse, der postoperativ meist mit einer relativen Ruhigstellung einhergeht, kann deutlich reduziert werden. Kaatsu-Training kann in der Prähabilitation vor planbaren Gelenkoperationen eingesetzt werden. Somit kann sogar ein gewisser Aufbau der Muskulatur präoperativ erzielt werden.
Die anschließende Rehabilitation startet also auf einem besseren Ausgangslevel. Zu den Eingriffen gehören Kreuzbandplastiken, Knorpeltransplantationen und Rekonstruktionen der Rotatorenmanschette. Aktuell teste ich die Kombination aus Kaatsu und dem Training mit einer Virtual-Reality-Brille (VR-Brille). Spiele mit einer VR-Brille, wie z. B. Boxen, Tennis oder Bogenschießen, die zuvor zwar unterhaltsam, aber nicht sonderlich anstrengend waren,können durch diese Kombination zu einem effektiven Training werden.
Welche Kontraindikationen gibt es?
Bei folgenden Erkrankungen besteht eine Kontraindikation für Kaatsu:
- krankhaften Gefäßveränderungen und Thrombosen,
- lokalen und systemischen Entzündungen,
- bekannten Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
- Schwangerschaft,
- chronischen/krankhaften Lymphödemen,
Diabetes mit Komplikationen.
Im Zweifelsfall gilt wie immer bei neuen Trainingsformen, bezüglich möglicher Vorerkrankungen Rücksprache mit einem qualifizierten Arzt zu halten. Es gibt in der Literatur vereinzelt Hinweise auf eine erhöhte Anzahl von Gefäßverschlüssen und Muskelschädigungen (Rhabdomyolysen), wobei oftmals nicht nachvollziehbar ist, welche Trainingsmethoden genau angewendet wurden. Insbesondere bei einem nicht standardisierten BFR drohen Komplikationen durch einen Gefäßverschluss infolge von zu hohem Druck.
Allgemeine Anwendungshinweise
- Anwendung nur nach Einweisung durch einen erfahrenen Trainer.
- Die Manschetten möglichst proximal, also nahe am Rumpf, anlegen.
- Manschetten nicht gleichzeitig an Armen und Beinen tragen.
- Maximale Tragedauer der Manschetten an den Armen: 15 Minuten, an den Beinen: 20 Minuten.
- Ein kompletter venöser Stau muss vermieden werden.
- Vor dem Training ausreichend trinken.
Weitere Informationen
Führend im Bereich Ausbildung und Equipment in Deutschland ist der bekannte Sportwissenschaftler Robert Heiduk, der auch ein sehr lesenswertes Fachbuch zum Thema „Kaatsu“ verfasst hat. In unserer Praxis bieten wir interessierten Ärzten und Therapeuten auf Wunsch Weiterbildungen mit Robert Heiduk an.
Dr. med. Markus Klingenberg
ist Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie und Sportmedizin und arbeitet in Bonn in einer interdisziplinären Gemeinschaftspraxis. Er ist Berater für innovative Trainings- und Therapiekonzepte sowie als Referent auf Fortbildungsveranstaltungen und als Autor tätig. E-Mail: markus.klingenberg@betaklinik.de
www.markusklingenberg.de
Foto: KAATSU Deutschland