Neurodegeneration
Wenn Nervenzellen zugrunde gehen
Eine Gruppe von Erkrankungen, die einigen von uns in den letzten Lebensjahren die Lebensqualität raubt, sind neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson. In den USA z. B. gilt Alzheimer als die Krankheit, die sich prozentual am rasantesten ausbreitet. Mit einer richtigen Prophylaxe können viele neurodegenerative Erkrankungen jedoch vermieden werden.
Die Gesellschaft wird immer älter. Leider bedeutet älter zu werden nicht gleichzeitig, auch gesund zu altern. In der Tat erkranken wir genauso schnell wie noch vor etwa 20 Jahren. Der Unterschied zu damals liegt in der medizinischen Entwicklung und Betreuungsqualität, die dazu führen, uns auch mit chronischen Erkrankungen länger am Leben zu halten. Lebenszeit ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Lebensqualität. Beim Training mit Best Agern sollte der Fokus nicht nur auf möglichen orthopädischen Problemen oder Sarkopenie liegen, sondern auch darauf, das Gehirn vor degenerativen Prozessen zu schützen.Diese zeigen sich bereits etwa 20 Jahre vor der eigentlichen Diagnose. Nach der offiziellen Diagnose gibt es dann meistens nur wenig, was man noch tun kann; es geht nur noch um eine Verbesserung der Lebensqualität durch Medikamente und darum, die erkrankte Person so lange wie möglich am Leben zu halten. Für Alzheimer und Parkinson gibt es bisher noch keine Heilung.
Definition
Eine Neurodegeneration ist nicht das Gleiche wie eine neurodegenerative Erkrankung. Neurodegeneration bedeutet den Verlust von Nervenzellen oder ihre Verbindung untereinander. Unser Gehirn arbeitet nach dem „Use it or lose it“-Prinzip – was nicht benutzt wird, verkümmert. Dies gilt nicht nur für unsere Muskeln, sondern auch für unser Nervensystem. Daher ist diese Form der Degeneration nicht krankhaft, sondern primär die Folge einer Unterforderung und häufige Begleiterscheinung eines gewöhnlichen Alterungsprozesses. Eine neurodegenerative Erkrankung bezieht sich hingegen auf die Degeneration von Nervenzellen durch die Ansammlung schädlicher Proteine, z. B. Alpha-Synuclein. Diese Proteine führen in hohen Mengen zu Entzündungsprozessen im Körper, kombiniert mit Zerstörung und Zerfall von Neuronen.
Beispiel: Parkinson
Ein sicherlich prominentes Beispiel für Parkinson ist Muhammad Ali. Bei einem Interview 1981 sprach Ali in einer TV-Show über seinen letzten Boxkampf und mögliche Hirnschäden, die er davongetragen haben könnte. Laut Aussage der besten Krankenhäuser des Landes sei er bei bester Gesundheit, doch in dem Interview wurde deutlich, dass Ali bereits unter Parkinson litt. Dies machte sich im Laufe des Gesprächs als Hypophonie bemerkbar – eine deutliche Reduzierung der Lautstärke der Stimme. Wenn man dieses Interview 1981 mit älteren Interviews von ihm vergleicht, fällt dieser markante Unterschied in seiner Sprachqualität deutlich auf. Die Veränderung der Stimme ist eines der frühen Anzeichen für Parkinson, wie wir heute wissen. Eine frühe Intervention hätte Ali wahrscheinlich mehr Lebensqualität beschert und eine bessere Therapie ermöglicht.
Leider fallen viele Parkinsonsymptome nicht rechtzeitig auf, obwohl sie schon Jahre vor der eigentlichen Diagnose auftreten. Diese zeitliche Verzögerung liegt u. a. daran, dass die Symptome meist unspezifisch sind. Im Frühstadium ist es schwierig, einzelne relevante Symptome miteinander zu verknüpfen. Kommen aber mehrere Symptome zusammen, kann rechtzeitig prophylaktisch eingegriffen werden, um eine Verschlimmerung zu verzögern oder zu verlangsamen. Hier kommen Trainer ins Spiel, die durch ihre Arbeit eine Brücke zwischen Ärzten und Therapeuten schlagen. Die Aufgabe des Trainers ist es nicht, zu heilen oder zu therapieren, sondern das Fundament für eine optimale neuronale Gesundheit zu legen. Denn Parkinsonprophylaxe oder Training im Frühstadium bedeutet in erster Linie eine Veränderung des Lifestyles und angepasstes neurozentriertes Training. Ein optimales Training ist nur dann möglich, wenn der Krankheitsverlauf und die pathologischen Mechanismen bekannt sind.
Warnsignal Darmprobleme
Parkinson zeigt sich zuerst im Darm; die ersten Symptome sind Verdauungsprobleme und eine eingeschränkte Darmtätigkeit. Die Ursache hierfür sind u. a. „schlechte“ Darmbakterien, die zu einer chronischen Inflammation führen können. Diese wirkt negativ auf die darmeigene Serotoninproduktion, was wiederum die gesamte Tätigkeit des Darms beeinflusst. Die Folge: Aufnahmestörungen von Proteinen und Nährstoffen sowie Entzündungen der Darmwand, die sich als Leaky-Gut-Syndrom aüßern können.
Der erste Schritt der Prophylaxe geht daher über die Ernährung. Geeignet ist eine ballaststoffreiche und zuckerarme Ernährung, im besten Fall Low Carb oder sogar eine ketogene Diät. Eine antientzündliche Ernährung mit Einsatz von Antioxidantien wie Chrom, Zink, Vitamin C und E schützt nicht nur den Darm, sondern auch das Nervensystem vor chronisch entzündlichen Prozessen, die vom Darm aus das gesamte Nervensystem übergehen können. Langfristig ergibt sich aus einer schlechten Ernährungsweise eine Entzündungsreaktion im Darm, die sich nicht nur auf den gastrointestinalen Trakt, sondern auch auf das Gehirn auswirkt. Entzündungsmarker wie die Zytokine können über den Blutkreislauf („Darm-Hirn-Achse“) sogar direkte Entzündungsreaktionen im Gehirn verursachen. Ein erhöhter Entzündungsmarker ist also nicht nur ein Hinweis auf Entzündungsprozesse im Körper, sondern auch im Gehirn.
Direkte Entzündungswerte des Gehirns können nur über eine Biopsie oder die Prüfung der cerebrospinalen Flüssigkeit ermittelt werden; eine indirekte Bestimmung ergibt sich über den Blutwert. Langfristig führen diese Entzündungsreaktionen im Darm zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel und anderen Markern, was toxisch auf die Gefäßwände wirkt und Zellschäden verursacht. Es kommt zu einer Proteinfaltungsstörung und Plaque-Ansammlung. Plaque führt zum Absterben der Dopamin-produzierenden Zellen, was dann zu einem Dopamin(funktions)verlust führt. Dabei wird nicht nur Dopamin unkontrolliert freigesetzt, es kommt auch zu einer reduzierten Produktion dieses Neurotransmitters und einem biochemischen Ungleichgewicht im Gehirn. Die Anreicherung von Plaque kann unter anderem über die Aktivierung von schützenden Hitzeschockproteinen reduziert werden. Saunagänge, Kälteanwendungen, diverse Nahrungsergänzungsmittel wie Grünteeextrakt und der Verzehr von Brokkoli eignen sich sehr gut zur erhöhten Produktion von Hitzeschockproteinen.
Warnsignal Schlafstörungen
Durch jahrelange Störung der Darmfunktion wird der Hirnstamm angegriffen. Entzündungen und Stress führen zu einem Ungleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus, was neben Depressionen in einer Dysautonomie münden kann. Während das Mittelhirn einen Funktionsverlust erleidet und die Dopaminproduktion beeinträchtigt wird, kommt es zu den ersten Schlafproblemen. Diese tauchen erst etwa zehn Jahre nach den Darmproblemen auf und machen sich primär als Verlust des REM-Schlafs bemerkbar. Der REM-Schlaf wird vor allem zur Abspeicherung von Informationen in das Langzeitgedächtnis benötigt und steht mit dem Hippocampus in Verbindung. Eine Beeinträchtigung dieser Schlafphase führt in erster Linie zu Konzentrationsproblemen und Schwierigkeiten bezüglich der Gedächtnisleistung. Wenn die betroffene Person nach einigen Jahren Schlafstörung auch noch tagsüber häufig müde wird, ist die definitive Diagnose „Parkinson“ nicht mehr weit.
Warnsignal Bewegungsapparat
Der Betroffene berichtet neben Schlafstörungen und deren Begleiterscheinungen u. a. von andauernder Müdigkeit oder gar Depressionen sowie von chronischen Schmerzen vor allem in den Schultern und der Wirbelsäule. Noch ahnt er nichts davon, dass er vielleicht Parkinson hat. Sehr häufig ist das „Frozen Shoulder“-Symptom, für das es keine offensichtliche Ursache gibt. Die spinalen Probleme nehmen langsam zu, die Person fühlt sich immer steifer und unbeweglicher. Ein Fehler wäre es nun, die Symptome bloß auf den Alterungsprozess zu schieben. Wenn diese Symptome nicht fälschlicherweise als „chronic pain syndrome“ verkannt werden, kann endlich die Diagnose Parkinson gestellt werden. Im Schnitt kommen die motorischen Symptome, wie der Tremor und das krankheitstypische „Parkinsonsche Gangbild“, erst fünf Jahre später hinzu.
Zusammenfassung
Parkinson beginnt im Darm. Wie bereits erwähnt, ist die Ernährung das A und O der Prophylaxe. Der Fokus sollte auf eine antientzündliche Ernährung gelegt werden. Die Zufuhr von nährstoffreicher Lebensmitteln und ausreichend Pre- und Probiotika ist der erste Schritt zum Schutz vor neurodegenerativen Erkrankungen. Ein niedriger Blutzuckerspiegel und konstanter Langzeitblutzuckerwert sind hier bereits die halbe Miete. Blutzuckerdysregulation ist eines der größten Probleme für das Gehirn und sollte daher immer an erster Stelle stehen, wenn es um mögliche neurologische Erkrankungen geht. Eine Blutzucker- Fehlregulation (zu hohe, zu niedrige oder schwankende Blutzuckerwerte) führt zu metabolen Problemen wie einer ungenügenden ATP-Produktion. Ein Mangel an ATP bedeutet ein Mangel an Energie für die Nervenzellen, was die Aktivität der Neuronen herabsetzt.
Ein Funktionsverlust der Nervenzellen ergibt sich nicht nur aus einer mangelnden Aktivierung, sondern auch aus einem mangelnden Energieniveau heraus. Zu wenig Energie führt zum Absterben der Zellen, was den Verfall beschleunigen kann. Wird der Blutzuckerspiegel kontrolliert und werden Schwankungen vermieden, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer neurodegenerativen Erkrankung deutlich. Sport führt zu einem verbesserten Blutfluss nicht nur im Körperinneren und in den Muskeln, sondern auch im Gehirn. Bewegung führt zu einer Aktivierung von Muskelspindeln, was wiederum das Kleinhirn aktiviert und für einen verbesserten Blutfluss sorgt. Diese verbesserte Durchblutung hält jedoch nicht lange an, weswegen häufige Bewegung eine wichtige Grundlage in der Prophylaxe ist. Vor allem explosive Bewegungen wirken sich positiv auf den Schutz vor Parkinson und Demenz aus. Hochintensive Intervalle und kraftorientiertes Training eignen sich präventiv besser als Cardioeinheiten, wie lockeres Joggen oder Radfahren.
Parkinson ist nicht nur eine neurologische Erkrankung, sondern eine Erkrankung, die ein komplexes Krankheitsbild aufzeigt. Je höher die Inflammation im Darm, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Entwicklung von Parkinson und anderen neurodegenerativen Erkrankungen. Als Trainer und Coach können wir rechtzeitig intervenieren und das Maß an auftretenden Erkrankungen reduzieren. Dabei muss es sich nicht um ein „Parkinson-Prophylaxe- Training“ handeln, sondern einfach nur um ein Training, das auf die Gesunderhaltung bis ins hohe Lebensalter ausgerichtet ist.
Patrick Meinart
Patrick Meinart ist Sporttherapeut, Psychologe sowie Gründer der Release Fitness Academy. Außerdem ist er Ausbilder im Bereich des neurozentrierten Trainings und arbeitet an der Schnittstelle zwischen Krafttraining, Therapie und Sport auf Grundlage neurowissenschaftlicher Erkenntnisse.
www.release-fitness.com
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