Noch null erreicht aber 4,5 Millionen Eigenbewertung
ExerCube scheitert in der Höhle der Löwen
Bei VOX startete am 3. September 2019 die 6. Staffel der erfolgreichsten deutschen Gründershow „Die Höhle der Löwen“ (DHDL). Zur besten Primetime schalteten 2,60 Millionen Zuschauer ein. Einer davon war auch der body LIFE-Experte und Autor Dr. Kai Pauling. Warum diese Sendung seiner Ansicht nach ein Rückschlag für die gesamte Fitnessbranche ist, erläutert er in diesem ganz persönlichen Kommentar.
Voller positiver Erwartungen habe ich den Auftritt von ExerCube (EC) in der Auftaktsendung der neuen Staffel DHDL verfolgt. Doch bereits nach 42 Sek. machte sich erste Ernüchterung breit und nach 2,25 Min. war ich ziemlich enttäuscht. Und nachdem der gescheiterte Pitch nach 15 Min. abmoderiert war, saß ich völlig nachdenklich vor dem TV.
Was war passiert?
In der Sendung trat ein Gründerteam um die CEO der Firma Sphery Frau Anna Lisa Martin-Niedecken (34) auf, die den EC vorstellten. Beim Anblick der zur Box aufgestellten drei Projektionswände auf der das Demo eines Computerspiels lief, kommentierte der Löwe Georg Kofler (ehem. Vorstandsvorsitzender ProSieben, HSE24 und Premiere), dass die Gaming-Industrie mittlerweile mehr Umsatz als die Filmbranche generiere und er daher sehr gespannt auf das Produkt sei. In ihrem Pitch bewarben die Gründer den EC als etwas ganz Neues, was aus einer siebjährigen Forschungsarbeit und Kooperation aus Sportwissenschaft und Game-Design hervorgegangen sei. Das Gerät bestehe neben den drei Stellwänden aus Beamer, Soundanalge, PC, Trackingsystem und einer einzigartigen Softwarelösung, die das Herzstück der Innovation sei. Spätestens an dieser Stelle fragten sich vielleicht viele Zuschauer, was hier nun der große Unterschied zu „Kinect“ sei. Vielleicht ist die Antwort, dass während „Kinect“ bereits vor knapp eineinhalb Jahrzehnten problemlos den Nutzer eigenständig erkennen konnte, beim EC auf mich klobig wirkenden Connectoren an den Handgelenken getragen werden müssen. Dies ist für mich in etwa so innovativ, als würde man heute einen neuen Fernseher mit einer per Kabel angeschlossenen Fernbedienung präsentieren.
Die Gründerin Anna spricht von einem zertifizierten Fitnessgerät, mit dem ein maximal effektives Ganzkörperworkout absolviert werden kann. Dies mit nur vier Übungen, d. h. Squats, Jumps, Punches und im höheren Level sogar mit Burpees, wie sie stolz anmutend vorträgt. Die Angaben zu einer Zertifizierung konnte ich auf der Firmenhomepage leider nicht verifizieren und ob man für Kniebeuge, Boxschläge und Hüpfen 18 000 Euro + 2 160 Euro Jahresgebühr ausgeben sollte, statt einer gebrauchten Xbox 360 mit Kinect Sensor + Adventures Spiel Paket und eines Beamers für zusammen unter 500 Euro, ist eine berechtigte Frage. Doch während man über Technik und Übungsauswahl sicher unterschiedlicher Auffassung sein kann, sprechen spätestens bei den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen einzig die Fakten. Und hier wurde die sympathisch wirkende Anna und ihr Team m. E. völlig falsch beurteilt. Ich hätte mir gewünscht, dort die Ehrlichkeit von Kevin O’Leary zu sehen, dem Shark aus der US Version der Show. Leider war auch Frank Thelen nicht da, der bereits in der letzten Staffel beim Thema Firmenbewertungsfantasien ausrastete und drohte, Gründer zukünftig hinauszuschmeißen, die mit utopischen Selbstüberschätzungen auftreten. So blieb es bei einer eher höflichen Nachfrage von Carsten Maschmeyer, wie die Gründer auf eine Firmenbewertung von 4,5 Millionen Euro kommen würden, wo sie doch noch null erreicht hätten, was zuvor bereits der Löwe Nils Glagau bemängelte, d. h. dass es weder eine Marktstudie noch ein Proof of Concept (PoC) und keine Verkäufe gäbe. Der als letzter möglicher Investor übrig gebliebene Löwe Georg Kofler sagte, er sähe in dem Konzept keinen Trend der Zeit, da sich seiner Meinung nach die Fitnessstudios eher zu Orten für Gemeinschaftserlebnisse und zu Eventlocations entwickeln würden.
Nach der Abfuhr durch alle Löwen zeigte Vox am Ende noch einen Kommentar von Carsten Maschmeyer, indem er zu seinem Löwenkollegen sagte, dass es aber immerhin schon Mut erfordere mit einem so unfertigen Konzept vor einem Millionenpublikum aufzutreten.
Was nun beim Millionenpublikum m. E. hängen bleiben könnte, ist der Eindruck, dass E-Fitness unfertig und vor allem unmodern ist. Und bei anderen potenziellen Investoren/Kapitalgeber und Studioinhabern könnte im Hinterkopf bleiben, dass das Ganze erstens nicht zukunftsorientiert ist, wie Georg Kofler m. E. fälschlich resümierte, wobei er bezogen auf den EC jedoch sicher recht hat, und zweitens auch nicht wirtschaftlich ist, was m. E. aber ebenso sicher für den EC gilt. Denn bereits ein Mittelschüler könnte ausrechen, wie lange es zu einem Break-even im Return on Investment (ROI) eines 10 Prozent Stakeholders dauert, wenn er 500 000 Investiert und nicht am Verkauf EC, sondern nur an den monatlichen Gebühren von 180 Euro verdient wird, wie die Gründer mitteilten. Selbst bei einem quasi Royalty Deal für einen Cashback über 18 Euro von jeder EC-Monatsrate müssten erst einmal ca. 5 555 ECs verkauft sein (wofür vorher jedoch erst noch einmal 66,6 Millionen Euro Working Capital für die Vorfinanzierung der Herstellung gebraucht würden), um dann nach fünf Jahren bei plus-minus null zu sein. Und ob der EC nach fünf Jahren überhaupt noch am Markt bestehen kann oder schon von neueren und besseren Innovationen abgelöst wurde ist m. E. mehr als eine klare Sache, da ich weder einen im Wettbewerb einzigartigen USP, ein nachhaltiges PoC oder schützendes Patent einer technischen Innovation erkennen konnte.
Fazit
Ich halte den EC weder für innovativ, noch für markttauglich und am wenigsten sehe ich auch nur eine kleinste Chance einer Wirtschaftlichkeit. Microsoft hat die Produktion des „Kinect“ Sensors trotz über 35 Millionen verkaufter Exemplare 2017 eingestellt und arbeitet stattdessen bereits am „Azure Kinect DK“ (https://youtu.be/B_BXmoTy61o). Werden hierbei die Möglichkeit der Body Tracking SDK ausgenutzt (z.B. https://youtu.be/aa8DzmvLxus), dann ist der EC mit seinen zwei Connectoren m. E. bereits überholt, bevor auch nur 55 von ihnen produziert und verkauft wurden. Es gab bereits vor über zehn Jahren interaktive Fitnesskombinationen aus Wänden, Böden, Objekten, Licht, Sounds und Spieleeffekten auf der FIBO, die sich in Deutschen Studios jedoch nicht durchgesetzt haben. Seit 2008 ist z. B. die Firma Exergame Fitness am Markt aktiv und bietet u. a. mit ihrem PERFORMANCE X (ADULTS) komplette Raumlösungen an, die m. E. eher wirtschaftlich Sinn machen als ein einziger EC, jedoch ebenso wenig bekannt oder in deutschen Studios zu finden sind. Es gibt m. E. aktuell nur zwei Hersteller, die geeignet wären, E-Fitness, d. h. die Kombination aus eSports und Fitnessstudio, selbst ohne DHDL richtig groß zu machen und dazu zählt Sphery leider nicht. Statt eines ECs würde ich mir persönlich daher, wenn überhaupt, viel eher einen ICAROS ins Studio stellen.
Schlusswort
Mein in diesem Heft erschienener Artikel zum eSports und dem darin hergestellten Bezug zur Fitness 8.0 hat absolut nichts mit dem EC zu tun, denn dieser ist für mich gerade einmal eine unfertige Lösung der Fitness 5.0 (vgl. bodyLIFE Nr. 1 aus 2017, S. 64). Und sollte wiedererwartend doch etwa ein ExerCube-Franchise-Studiokonzept auftauchen, werde ich mich sicher sehr genau mit deren Business Case beschäftigen.