Sport kann Baustein der Therapie sein
Prof. Dr. Jana Strahler, Leitung Arbeitsbereich Sportpsychologie, Institut für Sportwissenschaft, Albert- Ludwigs-Universität Freiburg
Ob im Berufsleben oder im Privaten: Stress betrifft uns wohl alle. Im schlimmsten Fall kann er chronisch werden und zu Überlastung und Erschöpfung führen. Allein das Burnout-Syndrom betraf 2019 in Deutschland rund 185 000 Arbeitnehmer (insgesamt 4,3 Millionen Krankheitstage!). Prof. Dr. Jana Strahler erläutert im Interview die physischen und psychischen Auswirkungen von Stress auf den Körper und erklärt u. a., welche Formen der Bewegung bei Burnout oder chronischem Stress sinnvoll sind.
body LIFE: Welches sind die häufigsten Stressauslöser?
Prof. Dr. Jana Strahler: Das lässt sich so pauschal gar nicht sagen. Eine Stressdefinition sagt, dass Stress ein Zustand ist, der auftritt, wenn bestimmte Ereignisse für das physische und psychische Wohlbefinden als bedrohlich empfunden werden und wenn die betreffende Person unsicher darüber ist, ob sie mit der Situation umgehen kann oder nicht. Was uns stresst, kann von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. Ein paar häufige Stressoren können wir aber zusammenfassen. Dies können zum einen soziale Stressoren sein wie Isolation, zwischenmenschliche Konflikte, Konkurrenz, Trennung oder Verluste – andererseits Leistungsstressoren wie Zeitdruck, Überforderung und Prüfungen. Auch körperliche Stressoren wie Verletzungen, Schmerz und Hunger sind hier wichtig.
body LIFE: Welche Auswirkungen hat ein hohes Stresspensum auf den Körper?
Prof. Dr. Jana Strahler: Als Antwort auf einen Stressor werden verschiedene Prozesse aufseiten der betroffenen Person in Gang gesetzt. Diese Antworten können auf der körperlichen, auf der behavioralen und auf der kognitiv- emotionalen Ebene ablaufen. Im akuten Fall ist dieser Stresszustand lebensnotwendig. Stress und unsere Reaktion darauf versetzen uns in die Lage, diese Ausnahmesituation zu bewältigen. Negative Folgen hat also nicht der einzelne Stressor, sondern das hohe Stresspensum, wenn es längerfristig bzw. chronisch besteht oder wir uns nicht mehr vollständig erholen, bevor der nächste Stressor zu bewältigen ist. Und da sind Arbeitsstress und Beziehungsprobleme prominente Beispiele. Dauerhafter Stress kann bestehende Erkrankungen verschlimmern oder auch selbst Krankheiten verursachen. Bspw. zeigt die Stressforschung, dass chronischer psychosozialer Stress mit Erschöpfungszuständen, Schlafstörungen, Magen- Darm-Beschwerden, Bluthochdruck, einem gestörten Immunsystem – wir sind anfälliger für Erkältungskrankheiten –, Autoimmunerkrankungen, Fettleibigkeit, aber auch Depressionen und Angststörungen im Zusammenhang steht.
body LIFE: Welche Therapieformen kommen bei chronischer Erschöpfung bzw. einem Burnout infrage?
Prof. Dr. Jana Strahler: Aktuell gibt es keine spezifische Therapie, die gegen chronische Erschöpfung hilft. Derzeit zielt die Therapie darauf ab, die Beschwerden zu lindern, Stress zu vermeiden, sich nicht zu überlasten und die Lebenszufriedenheit zu steigern. Dabei kommen verschiedene Therapiebausteine zum Einsatz, wie Psychotherapie, soziale Kompetenztrainings, Entspannungstechniken, aber auch Musik- und Sporttherapie.
body LIFE: Wie wirken Sport und Bewegung generell auf die Psyche?
Prof. Dr. Jana Strahler: Wer sich viel bewegt, ist körperlich und psychisch gesünder ,Die große Frage ist: Sind wir mental gesund, weil wir uns bewegen, oder bewegen wir uns, weil wir mental gesund sind? Für beide Wirkrichtungen gibt es Belege. Wer sich regelmäßig bewegt, erlebt psychische Verbesserungen, wer sich wohlfühlt, kann mit Barrieren zum Sporttreiben wie Zeitmangel oder schlechtes Wetter besser umgehen. Aus psychologischer Sicht hat Sport auf die mentale Gesundheit in mehrfacher Hinsicht Einfluss: Sport kann Emotionen und Stress regulieren. Wir nennen das Phänomen Stresspuffereffekt. Sport hilft, mit emotionalen Belastungen im Alltag besser umgehen zu können. Ebenso fördert Sport die kognitive Leistungsfähigkeit, das heißt, er stimuliert das Gedächtnis, die Konzentrationsfähigkeit und erleichtert das Erlernen von Neuem. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die soziale Komponente: Gemeinsames Sporttreiben mit anderen fördert die Zugehörigkeit und motiviert. Wichtig ist, dass wir hier von Gesundheitssport sprechen, also sportlicher Aktivität, die betrieben wird, um seine Gesundheit zu erhalten und zu fördern.
body LIFE: Welche Sportarten eignen sich am besten bei Burnout?
Prof. Dr. Jana Strahler: Prinzipiell ist jede Bewegung gut, das kann Laufen, Tanzen, Rudern oder Schwimmen sein. Den Spiel- und Vereinssportarten von Badminton bis Volleyball kommt eine besondere Rolle zu, weil sie für den Einzelnen ein soziales Netz schaffen. Welche konkreten Sportarten bei Erschöpfung am wirksamsten sind, darüber ist sich die Wissenschaft noch nicht einig. Die therapeutische Dosis folgt dabei der Maxime „Ausdauern, nicht auspowern“. Das ist übrigens auch der Unterschied zwischen Gesundheitssport und Leistungssport. Es sollte eine Bewegung sein, bei der man außer Atem kommt, der Puls ansteigt und man leicht schwitzt. Ausdauer- und Kraftsport scheinen gleichermaßen effektiv zu wirken.
body LIFE: Kann zu viel Sport zu Erschöpfung führen?
Prof. Dr. Jana Strahler: Ja, wir kennen hier das Phänomen des Übertraining- Syndroms, auch trainingsinduzierte Erschöpfung genannt. Diese chronische Überlastungsreaktion kann entstehen, wenn Sportler dauerhaft zu intensiv und/oder zu häufig trainieren und/oder keine ausreichenden Regenerationsphasen zwischen den Trainingseinheiten einhalten. Wichtige Warnhinweise sind ein Leistungsabfall und langfristige Leistungseinbußen sowie eine sehr intensiv wahrgenommene Erschöpfung und subjektive Beschwerden.
body LIFE: Was sollten Sport-/Fitnesstrainer im Umgang mit Burnout-Patienten beachten?
Prof. Dr. Jana Strahler: Häufig gehen mit einer chronischen Erschöpfung körperliche Einschränkungen einher, sodass zunächst gelenkschonende Bewegungen sinnvoll sind. Wichtig ist, dass der Patient vom Trainer professionell betreut wird und sich regelmäßig und über einen langen Zeitraum bewegt. Gerade zu Beginn muss darauf geachtet werden, dass es nicht zu Überforderung und Frustrationserlebnissen kommt. Auch Barrieren des Sporttreibens und Antriebsstörungen müssen thematisiert werden.
body LIFE: Halten Sie Kooperationen zwischen Ärzten und Sportzentren für sinnvoll? Kann hier auch die Sportpsychologie eingebunden werden?
Prof. Dr. Jana Strahler: Die Sport- und Bewegungstherapie spielt eine wichtige Rolle bei der Behandlung der chronischen Erschöpfung und Wiederherstellung der körperlichen Belastbarkeit. Diese Wirkungen mit ärztlicher Unterstützung zu berücksichtigen und genau zu verfolgen, ist obligatorisch. Zusätzlich muss sowohl der emotions- und stressregulatorische Nutzen von Bewegung als auch der soziale Effekt beachtet werden. Gerade für Lebenszufriedenheit, psychologisches und körperliches Wohlbefinden ist der positive Nutzen körperlich- sportlicher Aktivität nicht zu verachten. Eine spezielle Herausforderung ist hier der langfristige Aufbau eines körperlich-aktiven Lebensstils. Es dauert durchschnittlich zwei Monate, bis regelmäßiges Sporttreiben zur Gewohnheit wird und die Entscheidung, Sport zu machen, keine Energie mehr erfordert. Und für das Wie der Gewohnheitsbildung hilft sportpsychologische Expertise. Sport kann ein Baustein der Therapie sein – für eine erfolgreiche Behandlung braucht es allerdings den gesamten therapeutischen Werkzeugkoffer.
Foto: Silvia Wolf Fotografie