Transparenz und Vernetzung
Prof. Dr. Ingo Froböse, Sportwissenschaftler, Deutsche Sporthochschule Köln
Diagnostik, Therapie, Prävention, Rehabilitation – die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten in den Bereichen Medizin und Fitness. Welche Vorteile digitale Methoden bringen, welche Risiken beachtet werden sollten und wie sich Medizin und Fitness vernetzen können, erläutert Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln im Interview.
body LIFE: Herr Professor Froböse, welchen Stellenwert hat heutzutage die Digitalisierung in der Medizin?
Prof. Ingo Froböse: In Medizin und Forschung hat die Digitalisierung einen sehr hohen Stellenwert. Es gibt aber noch viel Entwicklungspotenzial und ich glaube, dass sich in Zukunft noch viel ändern wird. Nicht umsonst war das Thema „Digital Health“ der Trend der vergangenen Jahre. Ein Beispiel für eine digitale Medizin sind Operationen – hier werden während des Eingriffs bereits digitale Verfahren genutzt, zum Beispiel indem hochpräzise Roboter integriert werden. Aber auch in anderen therapeutischen Verfahren finden sich digitale Methoden wieder, zum Beispiel bei Diabetes: Die Überwachung des Blutzuckerspiegels kann heutzutage digital erfolgen und wir können damit Medikamente sehr gezielt einsetzen. Auf Intensivstationen werden Patienten digital überwacht, die Vitalfunktionen werden ständig apparativ gescannt und gescreent. Auch im Bereich der Sekundärprävention, also bei der Früherkennung von Krankheiten, wird die Digitalisierung eingesetzt. Und mit Chips ist es mittlerweile möglich, den Herzrhythmus zu überwachen. Wir haben also im Bereich der Medizin eine hohe mechanisierte und standardisierte digitale Welt.
body LIFE: Was kann in Bezug auf die Digitalisierung noch verbessert werden? Und was sind generelle Vorteile digitaler Methoden?
Prof. Ingo Froböse: Zunächst würde ich mir wünschen, dass Daten besser geschützt werden. Schauen wir uns zum Beispiel das Thema „Tracking“ an – hier werden zahlreiche biologische Daten kreiert, die sehr viel über uns aussagen. Wir wissen aber alle nicht, wo unsere Daten landen!Außerdem wünsche ich mir vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten, dass die Digitalisierung die Effizienz von Maßnahmen verbessert und somit unnötige Maßnahmen verringert. Außerdem, dass der Austausch zwischen verschiedenen medizinischen Disziplinen erleichtert wird. Wenn wir im Bereich Diagnostik und Therapie verschiedene Disziplinen miteinander vernetzen, profitieren letztendlich die Patienten davon. Auch in der Vernetzung von Prävention und Rehabilitation sehe ich ein großes Potenzial. Durch digitale Methoden wird es möglich sein, auf den Lebensstil frühzeitig einzuwirken und dementsprechend bestimmte chronische Krankheiten erst gar nicht entstehen zu lassen.
Durch die Digitalisierung werden außerdem Therapie und Prävention auf einem hohen Niveau verlängert – nehmen wir das Beispiel Rückenschmerz. Meistens reicht eine sechsmalige Physiotherapie nicht aus, um den Betroffenen zu helfen. Wenn dem Patienten aber personalisierte digitale Angebote zur Verfügung stehen, mit denen sich die Therapie verlängern lässt, ist das wesentlich effektiver und die Betreuung verbessert sich. Das bedeutet, dass durch Digitalisierung sowohl qualitative als auch quantitative Veränderungen stattfinden. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist die digitale Patientenakte. Wenn wir in Zukunft eine personalisierte Medizin haben wollen, dann funktioniert das nur über solche digitale Akten Hier müssen sowohl Krankenkassen als auch Ärzte und therapeutische Einrichtungen die nötigen Voraussetzungen schaffen.
body LIFE: Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung im Fitnessbereich?
Prof. Ingo Froböse: Der Fitnessmarkt hat in den vergangenen Jahren in Sachen Digitalisierung viel dazugelernt. Es gibt viele Angebote gerade im Bereich der 24-Stunden-Betreuung, um eine Verlängerung von anderen therapeutischen Maßnahmen zu garantieren. Ich sehe den Fitnessbereich an der Schnittstelle von Therapie zur Primärund Sekundärprävention – und hier machen digitale Angebote sehr viel Sinn. Wichtig ist es aber, die Qualität der digitalen Angebote zu kontrollieren und dies nicht den Anbietern zu überlassen. Vielmehr müssen mit allen Partnern des Gesundheitswesens Leitlinien entwickelt werden, die die Qualität der digitalen Angebote wissenschaftlich fundiert definieren.
body LIFE: Wie lassen sich Medizin und Fitness durch digitale Methoden am besten verknüpfen?
Prof. Ingo Froböse: Wie bereits erwähnt, ist es dank der Digitalisierung möglich, therapeutische Maßnahmen zu verlängern – das heißt, die aktive Therapie mit gesundheitsorientierten Maßnahmen in Fitnessstudios zu verknüpfen. Außerdem lassen sich medizinische Diagnostik und aktive Interventionen bzw. Fitness verbinden. Das lässt sich am Beispiel Übergewicht gut verdeutlichen: Wenn wir in der Diagnostik auf die Kompetenz der Ärzte im Bereich Stoffwechselparameter zurückgreifen, können entsprechende Maßnahmen in den Fitnessstudios direkt umgesetzt werden. Hier sehe ich große Möglichkeiten der Vernetzung. Es muss aber beachtet werden: Fitness ist nicht gleich Gesundheit. Fitness ist nur dann Gesundheit, wenn sie einer gewissen Qualität entspricht.Die Branche muss dazu umdenken: Mit Begrifflichkeiten wie „Power-Fitness“ oder „Fatburning“ wird es schwer, im Gesundheitsmarkt Fuß zu fassen. „Mehr Seriosität und Transparenz“ ist die Devise. Nicht umsonst hat die Expertenallianz ein Forschungsinstitut für Training in der Prävention gegründet. Dieses zielt darauf ab, den Weg in das Gesundheitswesen zu öffnen, indem für die Fitnessbranche und mit der Branche Wissenschaft betrieben wird. Muskeltraining soll so als eine der wesentlichen Maßnahmen für viele Krankheitsbilder etabliert werden.
body LIFE: Welche Vorteile ergeben sich für Mediziner und Studiobetreiber durch die Digitalisierung?
Prof. Ingo Froböse: Wenn wir Medizin und den gesundheitsorientierten Fitnessmarkt miteinander verknüpfen, erweitert sich das Angebotsspektrum und medizinische/therapeutische Maßnahmen können verlängert werden.Außerdem werden Präventionsressourcen durch digitale Angebote vergrößert und die Möglichkeiten, über die Muskulatur viele Erkrankungen zu vermeiden, verbessern sich.
body LIFE: Welche Voraussetzungen braucht es für diese Vernetzung?
Prof. Ingo Froböse: Medizin und Fitness brauchen eine gemeinsame Sprache. Diese existiert mit der ICF – der International Classification of Functioning, Disability and Health – bereits. Sie erlaubt eine bessere Kommunikation zwischen unterschiedlichen Disziplinen. Dort wird beschrieben, welche Aktivitäten geschult und verbessert werden müssen, um den Menschen eine Teilhabe zu ermöglichen. Leider wird dies noch zu wenig genutzt. Die Medizin muss sich von den reinen Indikationen und Funktionen lösen hin zu einem partizipativeren Mindset.
Außerdem müssen Ärzte die Wertigkeit des Muskeltrainings anerkennen. Und die Fitnessbranche muss verstehen, dass Wissenschaft, Transparenz und Ehrlichkeit notwendig sind, wenn man im ersten und zweiten Gesundheitsmarkt eine Rolle spielen möchte. Die Verantwortung liegt aber auch in der Politik: Sie muss die Weichen für eine digitale Medizin deutlicher stellen. In der Medizin werden täglich große Mengen an Daten erhoben. Diese müssen transparenter und der Forschung sowie anderen Akteuren im Bereich Therapie und Prävention zur Verfügung gestellt werden. Wir brauchen eine offenere Diskussion im Bereich der Digitalisierung, eine höhere Personalisierung der Medizininformation und eine größere Transparenz. Wir müssen den ersten Gesundheitsmarkt mehr für weitere Angebote öffnen, die im zweiten Gesundheitsmarkt seit vielen Jahren mit einer hohen Qualität existieren. Die Hürden müssen niedriger werden.
body LIFE: Vielen Dank für das Interview!
Foto: Sebastian Bahr