Die Bedeutung von Melatonin
Botenstoff für einen gesunden Schlaf
Der Schlaf ist unsere wichtigste Regenerationszeit. Ein Schlafentzug ist eine der brutalsten Foltermethoden, denn ein Schlafmangel führt schnell zu schweren psychischen und körperlichen Symptomen. Ein erholsamer Schlaf ist abhängig von der jeweiligen psychischen Verfassung und von äußeren Einflüssen, aber auch von Melatonin.
Wenn die Nachtruhe – vor allem auf Dauer – nicht gewährleistet ist, werden unsere körpereigenen Reaktions-, Regulations- und Kompensationsmechanismen gestört. Der Stoffwechsel läuft auf Sparflamme, unsere Vitalität nimmt ab. Ausreichend guter Schlaf ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, gesund und leistungsfähig zu sein. Ist der Schlaf langfristig gestört, muss unbedingt nach den Ursachen gesucht werden. Erst wenn sie beseitigt sind, kann die notwendige nächtliche Regenerationsphase wieder voll wirken. Dazu muss man verstehen, welche Prozesse im Körper während des Schlafens genau ablaufen.
welche rolle spielt melatonin beim schlaf?
In der Zeit von 21 bis 23 Uhr schaltet unsere innere Uhr vom Sympathikus auf den Parasympathikus um. Die Erholungsphase und damit die Zeit des Hormons Melatonin beginnt mit dem Einsetzen der Dunkelheit. Melatonin ist die wichtigste und elementarste Substanz in der Regulation des Tag- und Nachtrhythmus. Ein reduzierter Lichteinfall über die Netzhaut stimuliert die Epiphyse, vermehrt Melatonin zu bilden und freizusetzen – so verschiebt sich das Mengenverhältnis zum Serotonin. Das Gleiche geschieht umgekehrt in den Morgenstunden: Sobald Licht ins Auge fällt, wird weniger Melatonin freigesetzt. Es ist also etwas völlig anderes als die weit verbreitete Vorstellung von einem „Ein-/ Aus-Schalter“. Stattdessen werden zu jeder Tages- und Nachtzeit sowohl Melatonin als auch Serotonin produziert. Nur der Melatoninspiegel ist in der Nacht um ein Zehnfaches höher als am Tag. Da er sich mit dem Lichteinfall ins Auge reduziert, ist es gut, das Schlafzimmer zu verdunkeln, damit genügend Melatonin ausgeschüttet wird, um entspannt einzuschlafen.
Die reduzierte „Zellmauser“
In der Tiefschlafphase sind Dopamin und Noradrenalin vermindert. Dies führt dazu, dass das Bewusstsein ausgeklammert ist und wir im Tiefschlaf nicht träumen. In der REM-Phase verbrauchen wir viel Sauerstoff, häufig mehr als den ganzen Rest des Tages. Es kommt zu einer Erhöhung des differenzierten Zellstoffwechsels, aber auch zu einer Erhöhung von NO-Gas und dadurch bedingt zu einer Erhöhung inflammatorischer, also entzündlicher Prozesse. NO-Gas ist Stickstoffmonoxid, das bei Infektionen als aggressives Gas gegen Krankheitserreger, Bakterien und Pilze wirkt. Anschließend wird durch das zelluläre Entgiftungssystem dieser Giftstoff wieder entschärft. Leider wird jede Form von Zellstress mit einer Immunantwort begrüßt, also nicht nur Erreger, sondern auch Umweltgifte, externer Stress oder Medikamente. Auch Fett aus Übergewicht erzeugt NO-Gas.
Dies kann dazu führen, dass Zellen durch das NO-Gas geschädigt werden und nicht mehr funktionsfähig sind (Apoptose) oder einzelne Zellen absterben (Nekrose). Man spricht in diesem Zusammenhang von „Zellmauser“, also dem kontinuierlichen Ersatz differenzierter Zellen durch die Proliferation (Zellvermehrung) undifferenzierter Stammzellen. Ist der Körper nicht in der Lage, NO-Gas abzubauen, entsteht eine chronische Entzündung im Körper. Im menschlichen Körper werden ständig Zellen ausgetauscht, um die Gewebefunktionen aufrechtzuerhalten. Besonders differenzierte Zellen mit hoher Stoffwechselleistung sind kurzlebig und müssen daher schnell ersetzt werden. Auf der anderen Seite führen die Erhöhung des NO-Gases und die damit verbundenen inflammatorischen Prozesse aber auch zu einer Ausheilung eventuell vorhandener pathologischer Belastungen nach dem Motto: „Man schläft sich gesund.“
Inflammatorische Prozesse verschlechtern chronisch entzündliche Krankheiten
Patienten mit einer chronisch entzündlichen Krankheit wie z. B. Rheuma, aber auch depressive Menschen klagen speziell in den frühen Morgenstunden über eine Verschlechterung ihres Befindens, da die erhöhten inflammatorischen Prozesse die chronisch entzündlichen Reaktionen verstärken, was das Schmerzbild verschlechtert. Daher reagieren diese Personengruppen positiv auf Schlafentzug, genauer gesagt auf den Entzug ihrer Traumphasen, da sie dadurch weniger NO-Gas bilden. Charakteristisch ist auch, dass sie in den Traumphasen aufwachen und nicht mehr einschlafen können, weil der Körper die Traumphase meidet, um die inflammatorischen Prozesse zu vermeiden.
Ein Prozent aller Zellen wird pro Tag ersetzt, und zwar speziell in den frühen Morgenstunden der Traumphasen. Das bedeutet natürlich auch, dass es bei einem Entzug der Traumphasen z. B. durch Aufwachen, Aufwecken oder Stressphasen, die den Schlaf verhindern, aber vor allem auch durch pharmakologische Präparate wie Schlaftabletten, die lediglich die Tiefschlafphasen verlängern, zu einer reduzierten Zellmauser kommt. Dies zeigt, dass der Organismus normalerweise während wir schlafen von der aktiven auf die passive Phase umschaltet, sich also entspannt. Die meisten Körperfunktionen werden reduziert, andere Organe, wie beispielsweise die Leber, laufen auf Hochtouren. Verbleibt der Organismus innerlich in der aktiven Phase, ist der Schlaf unruhig und die Regeneration unzureichend.
Stabilisierung des Immunsystems im Schlaf
Dem Melatonin kommt bei der Regeneration des Körpers also eine wichtige Bedeutung zu. Besonders in den Nachtstunden fördert es die Schlafund Traumphasen. Die maximale Wirkung erzielt Melatonin um drei Uhr in der Nacht. Es hat eine deutlich anabole Wirkung hauptsächlich auf die Bauchspeichel- und die Schilddrüse. Melatonin fördert den Parasympathikus und somit den Nervus vagus. Der Nervus vagus ist der längste unserer zwölf Hirnnerven. Als Teil des sogenannten Parasympathikus ist er an der Funktion fast jedes inneren Organs beteiligt. Er ist – vereinfacht gesagt – für Erholung, Ruhe, Regeneration und Verdauung zuständig.
Melatonin hat auch eine stabilisierende Wirkung auf Herz, Kreislauf und die Blutgefäße. Auch die erhöhte Tendenz zur Heilung von z. B. Infekten in den Nachtstunden zeigt die Einwirkung des Hormons auf die Stabilisation des Immunsystems im Sinne einer nächtlichen Anpassungsphase. Melatonin ist aber auch entscheidend mitverantwortlich für die Regeneration des Gehirns und der Neuronen, ganz besonders hinsichtlich des Hippocampus. Nach alledem ist es verständlich, dass ein ausreichender und gesunder Schlaf eine wesentliche Voraussetzung für ganzheitliche Gesundheit und persönliche Leistungsfähigkeit ist. Deshalb: tagsüber Licht und nachts in einem dunklen Raum früh schlafen gehen, wenn die Melatoninkonzentration am höchsten ist.
Martin Keymer
Martin Keymer
ist international anerkannter Fachdozent, Therapeut, Praktiker und unermüdlicher Forscher rund um das naturheilkundliche Paradigma Körper, Geist und Seele. Sein Wissen gibt er seit 40 Jahren in Seminaren weiter. Dazu hat er als internationale und unabhängige Forschungs- und Bildungseinrichtung das l.M.U. College gegründet.
https://www.therapeutisches-haus.de
Foto: blackday – stock.adobe.com