„FT ist für alle Zielgruppen geeignet“
Interview mit Stefan Liebezeit, Diplom-Sportlehrer und Premium Personal Trainer in München
„Zu einhundert Prozent dazu bereit sein“ – das ist laut Stefan Liebezeit besonders wichtig, wenn ein Studio eine Functional-Training-Fläche in sein Konzept integrieren möchte. Welche Tools dafür wichtig sind, wer funktionell trainieren darf und wie die Zukunft des Functional Trainings aussieht, darüber spricht Stefan Liebezeit, Gründer und Geschäftsführer der MUNICH PERSONAL TRAINING LOUNGE, im Interview.
body LIFE: Wie hat sich Functional Training entwickelt?
Stefan Liebezeit: Ich sehe eine ständige positive Entwicklung. Zum einen entstehen immer mehr Functional-Training Flächen bzw. Mischflächen – zum anderen bin ich der Meinung, dass wir endlich das volle Potenzial des FT erkannt haben und deshalb jetzt erst in der Lage sind, dessen wahren Nutzen zu erkennen. Für mich ist es z. B. ein wesentlich effektiveres „Gegenmittel“, den Zivilisationskrankheiten Diabetes, Bluthochdruck und Fettleibigkeit entgegenzuwirken, als das klassische maschinengeführte Training.
body LIFE: Ist FT noch ein Trend oder mittlerweile schon fester Bestandteil von PT- und Fitnessstudios?
Stefan Liebezeit: Ein Trend ist FT schon lange nicht mehr. Wenn wir über den Tellerrand schauen, liegen die Ursprünge des FT schon mehrere hundert Jahre zurück und es hat seine Wurzeln in den Leibesübungen, in Gymnastik und Turnen. Letztlich verwenden wir heute einfach einen neueren Begriff. Am Ende war und ist es aber ein Trainingskonzept, welches sich ständig weiterentwickelt. Es freut mich auch zu sehen, dass FT nicht nur in den Fitnessstudios Einzug gehalten hat, sondern auch in Vereinen, Therapieeinrichtungen und der Hotellerie. Des Weiteren zeigen reine FT-Studios und viele Microstudiokonzepte, welch hohe Marktdurchdringung dieses Trainingskonzept hat.
body LIFE: Was müssen Trainer und Betreiber während der Coronapandemie beachten, wenn sie Functional Training anbieten?
Stefan Liebezeit: Während der Pandemie sollten Betreiber vor allem beachten, dass FT auch während der Kontaktbeschränkungen ein absolut sinnvolles Konzept ist, welches breit eingesetzt werden kann. Ich denke da gerade an Online- oder Outdoor-Training. Hier haben Betreiber die Möglichkeit, mit einfachsten Mitteln – zum Beispiel Suspension Trainer, Kettlebells, Medizinbällen etc. – trotz Kontaktbeschränkungen eine hervorragende Dienstleistung zu bieten. Ansonsten sollte natürlich auch auf den FT-Flächen auf die entsprechenden Abstände und auf Hygiene geachtet werden. Der Vorteil der meisten FTTools liegt darin, dass sie sehr einfach zu desinfizieren sind.
body LIFE: Wie können Studiobetreiber einen Functional-Training-Bereich sinnvoll in ein Fitnessstudio integrieren – sowohl wirtschaftlich als auch „technisch“?
Stefan Liebezeit: Dies ist sicher die berühmte Eine-Million-Euro-Frage. Ich bin der festen Meinung, dass dies nur gelingt, wenn man auch bereit ist, diesen Schritt zu 100 Prozent zu machen. Dazu gehört eine professionelle Beratung durch FT-Experten und anschließend die entsprechende Schulung des Personals. Letztendlich erlebe ich es immer wieder, dass ein begeistertes Team der Schlüssel für eine erfolgreiche Implementierung ist. Bei den FT-Tools bzw. -Geräten kann ich persönlich nur empfehlen, nicht auf eine Komplettlösung von einer Marke zu setzen. Oft macht es Sinn, drei bis vier Marken der führenden Hersteller zu nutzen. Die Palette an FT-Tools ist mittlerweile fast unüberschaubar. Deshalb ist es so wichtig, auch zu vergleichen und vor allem nicht auf die billigsten Tools zurückzugreifen. Zusätzlich sollte beachtet werden, dass manchmal weniger mehr ist. Oft wird alles gekauft, was der Markt bietet – und dann nur die Hälfte genutzt. Den Mittelpunkt einer Functional-Training- Fläche bildet heute oft ein sogenannter FT-Tower oder eine Bridge. Hier empfehle ich einen Tower von Firmen, welche individuelle Lösungen inklusive einer entsprechenden Beratung anbieten. Leider sehe ich immer wieder Pauschallösungen, welche dann nicht effektiv genutzt werden können. Tower sind letztlich definitiv mehr als ein Gerät, welches man einfach irgendwo aufbaut und hinstellt. Sie sind vielmehr das Herzstück der gesamten FT-Fläche.
body LIFE: Welche Bedeutung hat die Ausbildung, wenn Trainer und Studiobetreiber Functional Training anbieten möchten?
Stefan Liebezeit: Die Ausbildung spielt ganz klar eine Schlüsselrolle. Functional Training ist wesentlich komplexer und betreuungsintensiver als das klassische Training an geführten Maschinen. Schließlich geht es vor allem darum, die menschliche Bewegung zu verstehen und nicht einzelne isoliert arbeitende Muskeln. Dazu kommen Inhalte wie Testing, Faszien, Neuroathletik und vieles mehr. Diese Flut an Wissen wirkt zunächst vielleicht etwas verwirrend, aber versteht man den Zusammenhang, ist dies der Schlüssel für dauerhafte Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
body LIFE: Für welche Zielgruppen ist Functional Training geeignet?
Stefan Liebezeit: FT ist für alle Zielgruppen geeignet. Oft haben Betreiber, Trainer und Kunden spektakuläre und komplexe Übungen im Kopf. Doch dieser „Zirkus“ ist eben nicht das, was ich unter FT verstehe. Vielmehr ist FT ein planmäßiges Trainingskonzept auf Basis unserer fundamentalen Bewegungsmuster. Und eben weil es im Kern um Bewegung geht, ist dieses Training für jede Zielgruppe geeignet. Entscheidend ist am Ende wieder der Trainer. Er ist verantwortlich, durch die Wahl der optimalen Progression oder Regression, die bestmögliche Übung für den einzelnen Kunden zu finden.
body LIFE: Darf jeder funktionell trainieren oder müssen Menschen mit Vorerkrankungen vorsichtig sein? Was müssen Trainer hier wissen?
Stefan Liebezeit: Gerade bei Menschen mit Vorerkrankungen sollte im Vorfeld eine entsprechende Anamnese inkl. Testing stattfinden. Ist dies geschehen, sollte jeder Mensch seinen Nutzen aus FT ziehen. In den vergangenen Jahren haben schließlich auch Ärzte und Therapeuten erkannt, welchen Mehrwert FT durch seinen bewegungsbasierten Ansatz hat. Kurz gesagt, tut das richtige Maß an zielgerichteter Bewegung jedem Menschen gut.
body LIFE: Wie wird die Zukunft des Functional Trainings aussehen? Welche Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten gibt es?
Stefan Liebezeit: Es ist natürlich immer schwer, in die Glaskugel zu schauen. Ich bin der Meinung, dass es extrem wichtig ist, dass sich die führenden Köpfe der gesamten Fitnessindustrie zusammensetzen. Dazu zählen für mich neben den großen Geräteherstellern auch die Ausbildungsinstitute und die führenden Trainer. Ein wichtiger Punkt wird dabei sein, dass Geld in Innovationen und Weiterbildung fließt. In den vergangenen Jahren hatte ich das Gefühl, dass nur noch optimiert wird. Deshalb fehlen wirkliche Innovationen im FT. Ganz besonders entscheidend ist aus meiner Sicht eine flächendeckende und klar strukturierte Ausbildung der Trainer im FT-Bereich. Dafür müssen die bestehenden A-, B- und C-Lizenzen grundlegend überarbeitet werden. Am Ende bedarf es eines gemeinschaftlichen Umdenkens. Wir sehen in vielen anderen Branchen, dass sich die Zukunft nicht aufhalten lässt. Die Frage ist, ob man durch ein Gegeneinander auf die Bremse oder durch ein Miteinander aufs Gas tritt.
body LIFE: Vielen Dank für das Interview!
Fotos: WeWork/Rise by We, New York; Get-Impulse in Berlin, Meridian Spa & Fitness Wandsbek