Kopf hoch, Brust raus!
Haltung macht Stimmung: die Embodiment-Methode
Bewusst aufrecht gehen, eine offene Körperhaltung und die Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben ziehen – all dies sind Faktoren, die sich auf unsere Stimmung und unsere Motivation auswirken. Mit dem Wechselspiel von Körper und Psyche befassen sich Kognitionswissenschaftler unter dem Begriff „Embodiment“. Dr. Petra Mommert-Jauch erklärt die Methode und gibt konkrete Anwendungstipps.
Stellt man sich die Frage, ob die Stressbelastung in der modernen Gesellschaft im Laufe der Zeit generell zugenommen hat, und betrachtet entsprechende Studien zu diesem Thema, gibt es recht eindeutige Hinweise auf einen Anstieg der allgemeinen Stressbelastung seit Anfang der 1980er-Jahre (Cohen und Janicki-Deverts 2012). Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts Berlin aus dem Jahr 2013 (Hapke et al. 2013) hatten schon zu dieser Zeit vor allem starke Stressbelastungen mit Beeinträchtigungen wie dem depressiven Syndrom, dem Burnout-Syndrom und auch Schlafstörungen auffällig zugenommen. Schenkt man den jährlichen Gesundheitsreports der Krankenkassen Glauben, verstärkt sich diese Tendenz von Jahr zu Jahr. Immer umfangreichere Forschungen zum Thema „MBSR – Mindfulness Based Stress Reduction“ (achtsamkeitsbasierter Stressabbau) zeigt, dass eine Antwort in der Rückbesinnung auf achtsame Erfahrungen in Verbindung mit dem Körper liegen kann. Und noch eine weitere interessante Strömung, die des „Embodiments“, liefert in diesem Kontext bereichernde Impulse, damit Menschen selbst handeln.
Interessante Wechselwirkungen
Der Mensch steckt in einer akuten Stresssituation und der Körper reagiert: Der Herzschlag steigt, die Gallenblase füllt sich, der Magen zieht sich zusammen und die Muskeln spannen sich an. Der Körper reagiert auf psychische Belastungen. Das Erstaunliche aber ist, dass es auch umgekehrt Wechselwirkungen gibt: Die Psyche reagiert auf den Körper. Die Körperhaltung beim Gehen nimmt Einfluss auf die Außenwahrnehmung. Diese Wechselwirkung wird sowohl auf sportmedizinisch-physiologischer als auch auf psychologischer Ebene im letzten Jahrzehnt zunehmend wissenschaftlich bestätigt und hat unter anderem zur Folge, dass spezielle fokussierte körperliche Interventionen inzwischen effektive Therapieansätze bei psychosomatischen Beschwerdebildern und auch bei Stress sind (Stubbs und Rosenbaum 2018). Die Datenlage zu den neurobiologischen Erkenntnissen in Bezug auf psychologische Effekte nimmt rasant zu.
Wie lässt sich Stress reduzieren?
Wenn also bei Themen wie „Stressmanagement“ und „Resilienz“ sowie bei psychosomatischen Beschwerdebildern dem Körper eine größere Beachtung geschenkt werden muss, stellen sich folgende Fragen: Was kann der Körper selbst organisieren, um positiv auf die psychische Verfassung Einfluss zu nehmen, und welche Bedingungen können darin unterstützen?
Häufig kommen in der Prävention oder der Therapie von stressbedingten Erkrankungen nur einzelne Bausteine zur Anwendung – seien es körperliche Techniken wie Yoga, Feldenkrais oder Qigong oder verschiedene autosuggestive Entspannungsverfahren, Achtsamkeitstraining oder Atemtechniken. Dabei ist der Mensch in seiner Komplexität auf vielen Kanälen ansprechbar und therapierbar heilbar. Er ist vor allem auch in der Lage – sofern er entsprechend informiert wird –, selbst zu handeln. Warum also sollten präventive und auch therapeutische Maßnahmen nicht entsprechend vielfältig und vor allem informativ gestaltet sein? Nur durch ein breit gefächertes Angebot an neuen körperlichen und sozialen Erfahrungen und entsprechendem Effektwissen hat das ganz individuell gestaltete Körper-Seele- Konstrukt die Möglichkeit, neue Wege zu finden, um wieder in Kontakt miteinander und mit der Umwelt zu kommen.
Vier Strategien aus der Stressspirale
Um Stress zu reduzieren, sind Strategien nötig, auf deren Basis neue körperliche und soziale Erfahrungen gemacht werden können und die es wert sind, bei der Umsetzung von stressreduzierenden präventiven und auch therapeutischen Maßnahmen zur Anwendung zu kommen. Vier Ansätze solcher Strategien könnten sein:
1. Strategie: Biophilie Die große Bedeutung der Natur für die Gesundheit des Menschen belegen inzwischen viele Studien. Alles Natürliche ist Balsam für die Seele. Dabei kann nicht nur der Faktor „Grün“, sondern zum Beispiel auch der Kontakt zu Tieren dazu beitragen und eine Strategie darstellen, das psychische wie auch das physische Wohlbefinden zu erhalten oder sogar wiederzuerlangen. Im Embodiment wird diese Affinität zur Natur beispielsweise über Erinnerungsauslöser und taktilen Kontakt zu Tieren mit verschiedenen Methoden genutzt.
Die Ziele sind hier:
- die Verbesserung der Körperwahrnehmung und Körperzufriedenheit,
- die Erhöhung der Veränderungsmotivation und
- die Verbesserung der schmerzbezogenen Selbstwirksamkeit
Denn jede Kognition, jede Emotion und jeder Affekt hat eine sensomotorische Komponente. Methoden der in das Thema „Embodiment“ eingebetteten tiergestützten Therapie und Biophilie sind beispielsweise:
- Spürbarmachen des in beide Richtungen stattfindenden Austauschs von körperlichem und psychischem Geschehen in Verbindung mit dem Mittler „Tier“ und „Natur“,
- Fokussierung des innerlich Gefühlten, aber noch nicht Bewussten („felt sense“) in Kontakt mit dem Tier und der Natur,
- Transfer des „felt sense“ in konkrete Worte, um eine gespürte Veränderung zu bewirken („felt shift“),
- Verhaltensänderung durch Fokussieren und Mentalisieren, eingeleitet durch die Kommunikation mit dem Tier.
Tipps für die Praxis:
– Integrieren Sie in Ihren Unterricht oder Ihre Therapie Outdoor-Sequenzen. Damit werden Sie Ihre Teilnehmenden/ Patienten überraschen und neue Erfahrungen machen lassen. Experimentieren Sie an einem Teich und beobachten Sie die Szenerie. Ein neues Setting bringt neue Impulse.
– Umgeben Sie sich auch an Ihrem Arbeitsplatz mit möglichst viel Grün. Auch Naturbilder an der Wand können bereits stimulieren und an unser evolutionäres Informationssystem appellieren mit entsprechenden Neurotags („Gehirnspuren“) zum limbischen System.
– Verbringen Sie Ihre Mittagspause im Grünen, am besten mit einem Spaziergang. Denn Reizüberflutung führt zur Überforderung der Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle. Außerdem wird die auch im Arbeitsprozess notwendige Gedächtnisleistung dadurch verbessert. Ein Aufenthalt im Freien führt zu besserer Laune und steigert die Motivation.
2. Strategie: „Gute“ Hormone
Für das seelische und körperliche Wohlbefinden spielt auch ein ausbalancierter Hormonhaushalt eine wesentliche Rolle. Gerät dieser aus dem Gleichgewicht, etwa durch Stress, durch zu wenig oder auch durch zu intensive Bewegung oder einseitige Ernährung, hat das weitreichende Konsequenzen. Müdigkeit, Leistungsschwäche, Verdauungsstörungen bis hin zu Gereiztheit und Depressionen können als Symptome einer solchen Dysregulation auftreten. Bevor man jedoch mit (künstlichen) Hormontherapien antwortet, ist es einen Versuch wert, aktiv etwas zu einem guten Hormonhaushalt beizutragen. Wir können unseren Körper nutzen, um unserer Psyche Gutes zu tun! Die dabei wesentlichen Hormone sind unter anderem Oxytocin, Cortisol und Serotonin. Ein guter Weg, sich einerseits stressresistenter zu machen und andererseits angestauten Stress loszuwerden, ist es, moderate Ausdauersportarten wie zum Beispiel (Nordic-)Walking, Spazierengehen, Joggen oder Aquajogging zu betreiben. Der beste Zeitpunkt dafür ist, wenn vorher vier Stunden lang keine Nahrung aufgenommen wurde. Dann nämlich kann das gebildete Tryptophan die Blut- Hirn-Schranke überwinden und als Vorstufe des Serotonins psychostabilisierend wirksam werden.
Tipps für die Praxis:
– Die vermehrte Ausschüttung des „Kuschelhormons“ Oxytocin beispielsweise können wir durch engen menschlichen Kontakt, aber auch durch das Streicheln von Tieren anregen. Es vermittelt dem Menschen ein beruhigendes und euphorisierendes Gefühl. Hier gibt es bestimmte Embodiment-Techniken, die unser emotionales Erfahrungsgedächtnis beeinflussen.
– Durch moderates Ausdauertraining bilden wir Tryptophan, eine Vorstufe des Wohlfühlhormons Serotonin. Gleichzeitig reduzieren wir das Stresshormon Cortisol. Das (Körper-)Erlebnis während und nach dem Training wird durch eine vorab durchgeführte ressourcenorientierte Embodiment-Technik über Bilder und vorab gebildete Mottoziele aus dem Unterbewusstsein unterstützt und ebenfalls in unseren Zellen gespeichert.
3. Strategie: Unsere evolutionären „Urprogramme“
Die Programme, die in uns sind und Anteil haben an unseren Bedürfnissen, sollten häufiger unserem tatsächlichen „Tun“ gegenübergestellt werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem ungebremsten „Sitzkonsum“ und zunehmender Isolation führt dann zwangsläufig zu einem Plädoyer für ein „freundliches“ Training und soziale Eingebundenheit. „Gemeinsam ist besser als einsam.“ Dabei spielen wieder die bereits oben genannten hormonellen Aspekte eine Rolle, aber auch weitere „Urprogramme“ in unseren muskulären und faszialen Strukturen. Denn bestimmte muskuläre und fasziale Ansteuerungen scheinen auf der limbischen, also emotionalen Ebene des Gehirns bestimmte Emotionen zu triggern. Hier greift das Gehirn wieder auf evolutionäre Erfahrungen zurück, wie beispielsweise bestimmte Beuge- und Anspannungsmechanismen, die von Urzeiten her mit Situationen gekoppelt sind, die Angst, Trauer, Furcht oder Aggression hervorgerufen haben. Ein Beispiel dafür sind unsere hochgezogenen Schultern, gepaart mit der Neigung des Kopfes und der Rundung des Rückens. Dies ist eine Körperhaltung, die wir häufig am Schreibtisch oder bei der Handynutzung beobachten können. Sie zeigt eine seit Urzeiten typische Anspannungssituation für Kampf, Furcht, Unterwerfung oder Trauer. Das hat unser evolutionäres Informationssystem nicht vergessen. Programme also, die wir nach wie vor in uns tragen und die entsprechende Emotionen triggern, ohne dass uns dies bewusst wird. Über Embodiment- Strategien versuchen wir, diese Kenntnisse zu nutzen und über entsprechend motiviert eingenommene Körperhaltungen oder auch ausgeführte Bewegungen neue „psychopositive“ Ansteuerungen zu implementieren und entsprechend positive Emotionen zu triggern.
4. Strategie: Nachhaltige Verhaltensänderung
Was nützen uns aber langfristig Entspannungs- und Achtsamkeitstechniken, wenn wir an unserem „stressigen“ Verhalten dennoch nichts ändern? Dazu braucht es aber intrinsische Motivation, die wir uns selbst schaffen können – und das sogar ganz ohne einen Therapeuten! Mit der wissenschaftlich geprüften Methode des „Ressourcenorientierten Selbstmanagements“ ist dies möglich. Diese Methode orientiert sich an dem aus der Motivationspsychologie stammenden empirisch überprüften Rubikon-Modell von Heckhausen und Gollwitzer (von Storch/Krause erweitert). Aufgrund zahlreicher Studien konnte nachgewiesen werden, dass ein nachhaltig erfolgreicher Veränderungsprozess nur dann gelingt, nur dann auch Ziele erreicht und in Handeln umgesetzt wird. wenn die unbewussten Bedürfnisse mit dem kognitiven Motiv beziehungsweise dem Wunsch synchronisiert und in den Veränderungsprozess integriert werden. Nur so kann echte intrinsische Motivation zur Verhaltensoder Einstellungsveränderung aufgebaut werden. Dabei spielt der Körper eine wesentliche Rolle. Er ist als Träger unseres emotionalen Erfahrungsgedächtnisses eine wertvolle Ressource, um unser bewusstes und unbewusstes Informationssystem zu synchronisieren, damit Ziele, intrinsisch motiviert, auch in Handeln umgesetzt wirdin Handlung gebracht werden können. Mithilfe der drei menschlichen Kommunikationssysteme „Bild“, „Wort“ und „Körper“ entstehen neue – vielleicht ungewöhnliche – neuronale Stimulationen, die zu neuen „Gehirnspuren“ und damit zur Neu- und Umstrukturierung alten Verhaltens verhelfen. Dabei nutzen wir Embodiment, indem der Körper mithilfe von Bildern und Worten Stimmungen erzeugt und sich ergänzend an die einmal mit Bildern und Worten erzeugte Stimmung erinnert. Sicher begegnen Ihnen immer wieder Klienten mit körperlichen Problemen, vielleicht sogar Schmerzen, die zu Anfang kopfgesteuert eifrig bei der Sache sind, weil der Arzt ihnen dringend empfohlen hat abzunehmen, um die Knie- oder sonstigen Schmerzen loszuwerden. Nach einigen Wochen lässt die Motivation dann stark nach und es kommen immer wieder Dinge dazwischen, die das Training „unmöglich“ machen. Der einfache Grund: Eine extrinsische, also von außen gesteuerte Motivation steht selten in Einklang mit den eigenen unbewussten Bedürfnissen. Es ist ein ständiger Kampf gegen sich selbst. Kein gutes Zureden und auch keine guten kognitiven Argumente helfen. Mit der ISR-Selbstmanagement- Methode wird jetzt zuerst einmal nach dem unbewussten Bedürfnis des Klienten geforscht und dieses auf lustvolle und ressourcenorientierte Art und Weise an die Oberfläche gebracht. Das Resultat nach erfolgreichem Synchronisierungsprozess von unbewusstem Bedürfnis und (vorgegebener) Motivation beziehungsweise kognitiv orientiertem Wunsch ist dann häufig, dass sich der Klient nicht zum Walken oder Joggen zwingt, sondern sich bewusst „Auslauf“ gönnt und ihn genießt.
Dr. Petra Mommert- Jauch
Die Sport- und Gesundheitswissenschaftlerin ist als Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten tätig. Sie ist außerdem für die ISR-Gesundheitsakademie e. V. als Coach tätig. Die ISR-Gesundheitsakademie e. V. bietet Weiterbildungen (live oder digital) zum Stressmanagement- Coach und Embodiment-Trainer mit ausführlich ausgearbeitetem Lehrkonzept an.
www.isr-gesundheitsakademie.de
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