Optimales Training bei Gonarthrose
Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung durch ein individuelles Trainingsprogramm
Besonders Kontaktsportarten sind Auslöser für Kniebeschwerden. Daraus abzuleiten, dass bei Kniebeschwerden kein Sport getrieben werden kann, ist jedoch nicht zielführend, denn ein individuell abgestimmtes Trainingsprogramm kann sogar helfen, Schmerzen zu reduzieren und die Funktion des Kniegelenks zu verbessern.
Bereits im Jahr 2019 hatte ich in meinem Beitrag in der Zeitschrift „Chirurgische Praxis“ darauf aufmerksam gemacht, dass die Literaturlage zum positiven Einfluss eines regelmäßigen Trainings bei Gonarthrose so eindeutig sei, dass es letztlich keiner weiteren Untersuchung zum Thema „Trainingsintervention vs. inaktive Kontrollgruppe“ mehr bedürfe.Dies bezieht sich allerdings nicht generalisiert auf sportliche Aktivitäten. Betrachtet man in Abb. 1 die potenziellen Ätiologien (Ursachen einer Erkrankung, Anm. d. Red.) der Arthrose, so wird eine mögliche verletzungsbedingte Arthrosegenerierung durch Sport vor allem bei Kontakt- und Spielsportarten klar. Damit lässt sich die signifikant höhere Prävalenz von Arthrose bei Profisportlern z. B. in den Sportarten American Football, Handball und Fußball gegenüber gleichaltrigen Kontrollpersonen erklären.2,3,4 Bei einem gezielten Training dagegen können Intensität und Umfang bewusst dosiert und gleichzeitig das Verletzungsrisiko minimiert werden.
Funktionssteigerung durch Training wenig untersucht
Im Gegensatz zu medikamentösen Interventionen sind dagegen die Kausalitäten einer Schmerzreduktion und einer Funktionssteigerung durch Training weitgehend unklar, was die Zusammenstellung eines optimalen Trainingsplans verhindert. Historisch betrachtet stand zunächst die stabilisierende Wirkung bei einer Stärkung der gelenksumgebenden Muskulatur im Vordergrund. Ein zweiter potenzieller Faktor ist die Verbesserung der Puffereigenschaften des Knorpels durch eine vermehrte Einlagerung von Proteoglycanen in den belasteten Knorpelstrukturen.
In jüngerer Zeit kam ein internistischer Aspekt dazu: die Reduktion inflammatorischer Zytokine. Wenig betrachtet wurden bisher die zentralnervösen Modulationsmechanismen der Schmerzwahrnehmung, vor allem der Einfluss inhibitorischer, absteigender Bahnen.8 Diese vier Kandidaten lassen sich in Bezug auf die Trainingsmodalitäten in zwei Gruppen unterteilen: Die Gelenksstabilisation und die Steigerung der Knorpelqualität verlangen ein Training der gelenksumgebenden Muskelgruppen, während die Reduktion inflammatorischer Zytokine sowie eine zentralnervöse Steigerung schmerzinhibitorischer Einflüsse unabhängig von der Lokalisation der trainierten Muskulatur erfolgt.
Studie zum Training bei Gonarthrose
Um die Einflüsse der beiden Gruppen abzuwägen, wurden in einer 2020 von uns publizierten multizentrischen Studie radiologisch diagnostizierte Gonarthrosepatienten (Kellgren-Lawrence-Score 1–4) mit einer aktuellen Schmerzepisode von mindestens sechs Monaten in drei Trainingsgruppen unterteilt. Alle nutzten einen Kraft-Ausdauer-Zirkel für insgesamt acht Wochen und trainierten zweimal pro Woche. Eine Gruppe absolvierte ausschließlich ein Training der Beinmuskulatur, die zweite trainierte ausschließlich die Oberkörpermuskulatur und die dritte absolvierte ein Kombinationstraining von Oberkörper und Beinen. Die Intensität wurde initial auf einer 10-stufigen Belastungsskala auf 4 bis 5 festgelegt und im Laufe der Intervention auf bis zu 8 gesteigert. Bei Schmerzzuständen während des Trainings wurde die Intensität herabgesetzt.
Vor, nach vier Wochen und nach Abschluss der Trainingsintervention wurden mithilfe des Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) die drei Kategorien Funktionalität, Schmerz und Beweglichkeit erfasst und die gesundheitsbezogene körperliche und mentale Lebensqualität mit dem Veterans RAND 12-Item Health Survey (VR-12) ermittelt. Insgesamt nahmen 372 bis dahin inaktive Frauen und Männer teil; die Drop-out-Quote lag bei 26 Prozent. Die wesentlichen Befunde waren hochsignifikante Verbesserungen der körperlichen Lebensqualität und der Funktionalität des Kniegelenks sowie eine Schmerzreduktion. Die drei Gruppen zeigten untereinander jedoch keine signifikanten Unterschiede. Tendenziell waren die Effekte in der Kombinationsgruppe am stärksten. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass körperliches Training grundsätzlich und mit einer hohen Effektivität unabhängig von der trainierten Muskulatur Vorteile für Patienten mit Gonarthrose hat.
Die Studie bietet erste Lösungsansätze
Für Patienten, die aufgrund starker Schmerzen und damit häufig verbundenen Angstzuständen das Kniegelenk nicht belasten wollen, bietet sich zumindest initial ein Oberkörpertraining an. Wenn die Kraft der Beinmuskulatur für den Erhalt der selbstständigen Lebensführung kritisch ist, sollte im zweiten Schritt ein allmählicher Einbezug der Beinmuskulatur mit initial niedrigen Intensitäten erfolgen, die unter Berücksichtigung des Schmerzzustandes allmählich gesteigert werden.
Die Ergebnisse der Studie bieten Lösungen, werfen aber auch wesentliche Fragen auf: Lässt sich die relativ hohe Drop-out-Quote vermeiden oder gibt es Patienten, die von einem körperlichen Training grundsätzlich nicht profitieren? In unserer Studie gab es unter den erhobenen anthropometrischen, medizinischen und soziologischen Größen keinen prognostischen Parameter für einen Drop-out. Eine in diesem Zusammenhang bisher von uns nicht berücksichtigte Größe ist die Schmerzschwelle und deren Modulation durch einen zweiten Reiz. Die Arbeitsgruppe um Fingleton10 konnte hierzu zeigen, dass Patienten mit Gonarthrose eine niedrigere Schmerzschwelle aufweisen und dass Patienten mit Arthrose zum Teil mit einer abnormalen Schmerzmodulation reagieren.
Problem der mechanischen Schmerzschwellen
Aus den Daten war allerdings nicht abschätzbar, wie groß der Anteil der Patienten mit abnormaler Schmerzmodulation war. In einer von einem Mitglied unserer Arbeitsgruppe verfassten Masterarbeit an der Deutschen Sporthochschule Köln wurden die beiden Größen Schmerzschwelle und deren Modulation bei insgesamt 80 Patienten mit chronischen Schmerzen und schmerzfreien, anthropometrisch vergleichbaren Kontrollpersonen untersucht12. Auch hier waren die Schmerzschwellen der Patienten signifikant niedriger; ca. ein Drittel reagierte mit einer abnormalen Schmerzmodulation.
Dies liegt ungefähr in der Größenordnung der Drop-out-Patienten unserer vorher vorgestellten Studie. Sollte sich die Schmerzschwelle oder deren Modulation als ein prognostischer Parameter für die Adhärenz zum Training herausstellen, sollten im nächsten Schritt alternative Angebote für solche Patienten geschaffen werden. Dazu erfassen wir in einer aktuell laufenden Trainingsinterventionsstudie mit Gonarthrotikern in Erweiterung der abgeschlossenen Untersuchung initial und am Ende einer ebenfalls achtwöchigen Trainingsintervention zusätzlich die mechanische Schmerzschwelle und deren Modulation.
Fazit
Zusammenfassend möchte ich zwei Punkte herausstellen:
- Beim körperlichen Training von Gonarthrosepatienten sind die Wirkungen der endogenen Schmerzinhibition unabhängig von der muskulären Belastungslokalisation stark zu berücksichtigen.
- Der Weg zu einem individuell optimierten Trainingsangebot für Gonarthrosepatienten ist noch weit. Lassen wir uns gemeinsam daran arbeiten – die Betroffenen werden es uns danken.
Prof. Dr. Klaus Baum
Prof. Dr. Klaus Baum
Trainingsinstitut Wilhelm-Schlombs Allee 1 50858 Köln
baum@professor-baum.de
Foto: WavebreakmediaMicro – stock.adobe.com