Training an Alter und Beschwerden anpassen
Prof. Dr. med. Karl-Dieter Heller, Ärztlicher Direktor, Chefarzt der Orthopädischen Klinik, Stiftung Herzogin Elisabeth Hospital, Braunschweig
Arthrose ist eine Erkrankung der Gelenke: Der Knorpel degeneriert, die Gelenke sind überfordert, verschleißen in der Folge und lassen sich mit der Zeit immer weniger bewegen. In Deutschland sind etwa acht Millionen Menschen von dieser schmerzhaften Erkrankung betroffen. Prof. Karl-Dieter Heller erklärt, welche Rolle die körperliche Aktivität in Prävention und Behandlung einnimmt und warum Patienten auf ihre Ernährung achten sollten.
body LIFE: Bewegung ist der Schlüssel bei der Prävention und Therapie von Arthrose. Gibt es aber auch Fälle, in denen Patienten keinen Sport treiben dürfen?
Prof. Karl-Dieter Heller: Prinzipiell kann man in jedem Arthrosestadium Sport treiben. Man sollte sich bewegen, da die Bewegung den Restknorpel ernährt und damit eine Prävention gegen die fortschreitende Arthrose darstellt. Des Weiteren ist die Bewegung sinnvoll, um die Kontraktur der Kapsel und damit die Bewegungseinschränkung zu antizipieren. Natürlich sind Grenzen gesetzt, vor allem dann, wenn der Schmerz zu stark wird oder wenn sich auf die Arthrose eine Zerstörung des Gelenks, zum Beispiel im Sinne der Hüftkopfnekrose oder Ähnlichem, aufsetzt.
body LIFE: Ab welchem Schweregrad ist eine Operation angezeigt?
Prof. Karl-Dieter Heller: Die Indikation zur Operation bedingt einen Leidensdruck und den Wunsch des Patienten, operiert zu werden, weil die konservative Therapie versagt hat. Das heißt, es muss zuvor konservativ therapiert worden sein. Dann gehört dazu ein schwerer Röntgenbefund. Sinnvoll wäre eine Operation nur bei schwerstem Röntgenbefund, wenn etwa Knochen auf Knochen liegt.
body LIFE: Wenn Patienten operiert wurden – sollten sie zunächst auf Sport verzichten?
Prof. Karl-Dieter Heller: Natürlich sollte man nach einer endoprothetischen Versorgung dem Körper erst einmal die Chance geben, sich an das Implantat und an die neue Bewegungsfreiheit zu gewöhnen und die Schwellungen oder Hämatome, die postoperativ auftreten können, resorbieren zu lassen. Aber man sollte schon am gleichen Tag aufstehen, am nächsten Tag über der Flur gehen und bald auf einem Trimmrad fahren, was entsprechend modifiziert ist für Hüfte oder Knie. Sportliche Aktivität in geringem Maße ist sofort sinnvoll. Aber das eigentliche Betreiben von Sport sollte frühestens nach sechs bis zwölf Wochen wieder aufgenommen und moderat begonnen werden in Anlehnung an das, was man vorher schon an Sport gemacht hat. Je nach OP-Art kann es sein, dass man drei oder auch sechs Wochen nur teilbelasten darf.
body LIFE: Welche Sportarten eignen sich vor und nach einer Operation und welche sind nicht zu empfehlen?
Prof. Karl-Dieter Heller: Ich fange mit „vor der Operation“ an: Die Bewegung ist natürlich wichtig – die Beweglichkeit soll erhalten werden, wir brauchen Muskulatur. Je weniger Muskulatur der Patient hat, desto angenehmer mag die Operation sein, da ich an keinem kräftigen Muskel vorbeioperieren muss. Aber der Muskel ist wichtig, um später Sport zu treiben. Die Vorbereitung vor der OP, also die Präha, macht auf jeden Fall Sinn.Die Wahl der Sportart nach der Operation richtet sich ganz klar nach dem, was der Patient vorher gemacht hat. Das, was er kann, kann er auch nach der OP. Die grobe Regel lautet: Man geht in der sportlichen Aktivität üblicherweise einen Level tiefer als vorher. Sicherlich sinnvoll ist Walken, leichtes Joggen, Radfahren, Wandern, Tanzen. Stop-and-go-Sportarten wie Fußball oder Tennis sind nicht zu empfehlen und wenn überhaupt äußerst bedacht anzugehen.
body LIFE: „Bewegung auf Rezept“ bei Arthrose – klappt das in der Praxis?
Prof. Karl-Dieter Heller: Dies klappt in der Praxis eingeschränkt. Sie müssen differenzieren zwischen den beiden Versichertenarten; gerade die gesetzlich versicherten Patienten sind seitens der Kassenärztlichen Vereinigung in der Menge der Verschreibung begrenzt. Das heißt, der niedergelassene Kollege wird nicht mit Freuden drei bis viermal ein Rezept über sechsmal Sporttherapie oder Krankengymnastik aufschreiben. Hier ist eine gewisse Eigenverantwortung und auch Eigenleistung des Patienten gefragt. Die Vollkaskomentalität „alles über die Kasse“ greift beim Sport sicherlich nicht. In der Physiotherapie sollte sie das sicherlich tun, aber eben auch nur im begrenzten Maße. Nach der Operation ist häufig ein halbes Jahr die Verschreibung frei, aber danach ist auch wieder eine gewisse Reglementierung da. „Sport auf Kasse“ ist sicher nicht angeraten. Es gibt medizinische Trainingstherapien und Rehasport, die gerade nach der OP infrage kommen.
body LIFE: Welche Rolle spielt die Ernährung in Prävention und Therapie?
Prof. Karl-Dieter Heller: Eine ausgewogene Ernährung spielt eine wesentliche Rolle. Wir sehen das beim Vitamin D, welches einen enormen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel hat. Patienten mit Knochenmarködemen oder Knochenproblemen haben in der winterlichen Jahreszeit häufig einen gravierenden Vitamin-D-Mangel. Dann ist auch der Operateur aktiv, der versucht, gewisse Krankheitsbilder über die Vitamin-D-Gabe zu kompensieren und konservativ zu behandeln.
body LIFE: Wie wirkt sich die Pandemie auf die Inzidenz von Arthrose aus?
Prof. Karl-Dieter Heller: Sie bleibt auch in der Pandemie unverändert; es ist eher die Psyche, die momentan besonders belastet ist. Die Patienten sind durchaus aktiv und versuchen, Sport zu treiben, um die Gelenkgesundheit zu unterstützen. Was sich pandemiebedingt geändert hat, ist die Einstellung zu Operationen. Wir verzeichnen hier seit Monaten einen signifikanten Rückgang; die Patienten sitzen ihre Beschwerden lieber aus und kommen erst dann wieder zur Behandlung oder OP, wenn sie geimpft sind.
body LIFE: Was können Fitnessstudios zur Therapie und Prävention von Arthrose beitragen?
Prof. Karl-Dieter Heller: Nach einer Operation muss sich der Patient erst einmal stufenweise an das Thema „Sport“ herantasten: beginnend mit Reha, dann ambulante Physiotherapie, schließlich medizinische Trainingstherapie. Erst dann kann langsam das Training im Fitnessstudio angegangen werden. Eine gute Beratung im Studio und das Beachten eventueller ärztlicher Indikationen sind unbedingt notwendig. Seitens der Trainer muss genügend Know-how zum Krankheitsbild vorhanden sein. In puncto Trainingsplan kommt es immer auf den einzelnen Patienten und seine Krankheits- bzw. Behandlungsgeschichte an. Trainer und Arzt kommunizieren idealerweise, was man dem Patienten zumuten darf, welche Bewegungen und Übungen ausgeführt werden können und welche nicht. Zu Beginn ist es sinnvoll, tendenziell auf die Bremse zu treten und schonend ins Fitnesstraining einzusteigen. Die Kräfte und die Art der Bewegungen können dann mit der Zeit modifiziert und gesteigert werden.
body LIFE: Was erwarten Ärzte von Fitnessstudios?
Prof. Karl-Dieter Heller: Wir erwarten eine erfahrene Betreuung arthrotischer Patienten sowie Rücksprache bei Fragen und Problemen. Trainer sollten wissen, welche Muskelgruppe geschult werden soll, welche Bewegungen erlaubt sind oder gerade nach Endoprothesen nicht erlaubt sind. Muskelaufbau ist auch in hohem Alter wichtig. Wir begrüßen, dass auch betagte und hochbetagte Patienten üben, Sport treiben und durchaus auch im Fitnessstudio aktiv sind; das Training muss dabei aber stets altersgerecht und an die Arthrose angepasst sein.
Foto:© Stefan Kröger