Training muss sicher und effektiv sein
Prof. Dr. Henning Wackerhage, Sportwissenschaftler, Professor für Sportbiologie an der TU München und Mitglied des Fitnesswissenschaftsrates
Der Begriff Sarkopenie bezeichnet den mit fortschreitendem Alter zunehmenden Abbau von Muskelmasse und Muskelkraft und die damit einhergehenden funktionellen Einschränkungen. Bei Betroffenen führt dies u. a. zu einer Häufung von Stürzen und damit verbundenen Verletzungen. Im Interview unterstreicht Prof. Dr. Henning Wackerhage, die Funktion von Sport für gesundes, unabhängiges Altern und ruft die Branche dazu auf, die Trainingspläne für 60- bis 80-Jährige individuell, sicher und effizient zu gestalten.
bodyLIFE: Ist Muskelschwund immer altersbedingt? Welche Faktoren spielen noch eine Rolle?
Prof. Henning Wackerhage: Wir verlieren Muskelmasse, Kraft und Schnellkraft, wenn wir normal altern. Das ist die Sarkopenie – griechisch „Sarx“ für Fleisch und „Penia“ für Mangel. Aber es gibt auch andere Ursachen für Muskelschwund, z. B. bestimmte Krebsarten, Immobilisierung wie bei einem Gipsbein oder Denervierung wie bei einer Querschnittslähmung.
body LIFE: Ist fortgeschrittener Muskelschwund umkehrbar bzw. heilbar?
Prof. Henning Wackerhage: Sarkopenie ist eigentlich keine Krankheit, denn sie ist Teil des normalen Alterns. Jedoch kann Sarkopenie zum Problem werden, wenn man dadurch gebrechlich wird, nicht mehr sicher gehen kann und häufig stürzt. Das Gute ist, dass man insbesondere durch ein altersgerechtes Krafttraining und genügend Protein in der Ernährung die Muskulatur und Kraft erhalten oder verbessern kann. Hierin unterscheidet sich die Sarkopenie von anderen Altersproblemen wie der Demenz, die nur schwer zu behandeln ist.
body LIFE: Welche Sportarten eignen sich besonders bei Sarkopenie, welche nicht? Und gibt es Fälle, in denen Sport sogar kontraproduktiv ist?
Prof. Henning Wackerhage: Modernes Gesundheitstraining ist eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining. Das hat die WHO in ihren 2020er Leitlinien aus gutem Grund so empfohlen. Die Art der Übungen beim Krafttraining hängt von der Fitness und von bestehenden Einschränkungen ab. Für die meisten fitten Älteren eignet sich das Training an Maschinen oder auch mit freien Hanteln im Fitnessstudio am besten. Wenn man nicht mehr ganz so mobil ist, dann eignen sich Übungen in der Wohnung, wie z. B. Kniebeugen am Sessel oder Übungen mit leichten Hanteln oder Gewichtsmanschetten ohne Sturzrisiko. Wir überlegen gerade, ob wir nicht zur Sarkopenie ein Buch schreiben sollen, denn die Betroffenen brauchen unbedingt Informationen zum sicheren Training in Abhängigkeit von Alter, Fitness und Einschränkungen.
body LIFE: Kann auch anderen Muskelerkrankungen wie muskulärer Dystrophie und Muskelkrebs mit Training vorgebeugt werden? Bzw. sollte ein Training Teil der Therapie sein?
Prof. Henning Wackerhage: Die muskuläre Dystrophie ist eine seltene, genetische Dauerverletzung. Ihr kann man mit Training nicht vorbeugen und bei der Therapie kann Sport die Dauerverletzung noch verschlimmern. Hier hat Sport nicht die Rolle wie bei vielen Volkskrankheiten, bei denen Sport klare Präventions- und Therapieeffekte hat und sicher ist. Muskelkrebs – das Rhabdomyosarkom – ist ein Krebs von veränderten Muskelstammzellen, der vor allem bei Kindern und Jugendlichen vorkommt. Generell ist körperliche Aktivität mit einem verringerten Krebsrisiko assoziiert, doch für Muskelkrebs gibt es noch keine Daten. Spielerische Bewegung ist bei Kindern mit Rhabdomyosarkom insbesondere für die Psyche sicherlich gut. Jedoch wissen wir nicht, ob das durch Sport veränderte Blut – denn Hormone und Metabolite gehen dabei rauf und runter – das Verhalten der Krebszellen verändert. Wir erforschen dies gerade in Kooperation mit der Kinderklinik in Schwabing.
body LIFE: Was ist beim Training mit solchen Patienten zu beachten?
Prof. Henning Wackerhage: Muskuläre Dystrophie und Muskelkrebs sind nicht die typischen Krankheiten für Prävention oder Therapie durch Sport. Beide Krankheiten sind sehr selten.
body LIFE: Welche aktuellen Studien gibt es zum Thema „Muskelschwund“ und anderen Muskelerkrankungen?
Prof. Henning Wackerhage: Eine besondere Studie hat Dr. Marta Murgia bei Prof. Matthias Mann am Max-Planck-Institut in Martinsried 2017 publiziert. Sie hat in einzelnen Muskelfasern von jüngeren (22–27 Jahre) und älteren (65–75 Jahre) Probanden Tausende von Proteinen gemessen, um zu untersuchen, wie sich die schnellen und langsamen Muskelfasern beim Altern in ihrer Proteinzusammensetzung verändern. Die Analyse zeigte, dass die Proteine für den aeroben Stoffwechsel bei den Älteren niedriger waren. Die Enzyme gingen in den langsamen Muskelfasern hoch und in den schnellen Muskelfasern runter.
Die Kolleginnen und Kollegen im Feld analysieren aber immer noch die riesigen Datensätze, um zu verstehen, was eigentlich genau mit den schnellen und langsamen Muskelfasern beim Altern passiert.
body LIFE: Als wie wichtig erachten Sie die Rolle von Fitnessstudios bzgl. Prävention und Therapie von Sarkopenie und anderen Muskelerkrankungen?
Prof. Henning Wackerhage: Als enorm wichtig. Die WHO sagt nach gründlicher Recherche aus gutem Grund, dass das moderne Gesundheitstraining die Kombination von Kraft- und Ausdauertraining ist. Damit hat die WHO den Fitnessstudios den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt, denn vor allem Fitnessstudios haben die Geräte und die Trainer, um so ein Training flächendeckend und sicher anzubieten. Es ist jetzt aber wichtig, dass die Fitnessstudios diesen Elfmeter auch verwandeln, z. B. dadurch, dass sie WHO-Trainingsverträge anbieten und attraktiver für besonders die 60- bis 80-Jährigen werden. Diese Altersgruppe steigt in Deutschland prozentual immer stärker an, hat oft Zeit für regelmäßiges Training, braucht aber Trainer die sich beim Training mit Älteren auskennen und die Bedeutung von Training für Sarkopenie und Osteoporose erklären können.
body LIFE: Welche Entwicklung(en) wünschen Sie sich als Sportbiologe in der Sport- und Fitnessbranche?
Prof. Henning Wackerhage: Ich berate gerade den DIFG e.V. unter anderem zu Covid-19 und Fitness und bin außerdem Mitglied im Fitnesswissenschaftsbeirat, den Professor Stephan Geisler, besser bekannt als der „Fitnessprofessor“, 2018 gegründet hat. Wir beraten die Fitnessbranche wissenschaftlich, bemühen uns unabhängig von kommerziellen Interessen zu sein und diskutieren regelmäßig Entwicklungen in der Fitnessbranche. Als jemand, der selbst einmal im Fitnessstudio gearbeitet hat, wünsche ich mir Konzepte, wie man die Fitnessstudios für die 60- bis 80-Jährigen attraktiver macht, und eine entsprechende Ausbildung der Trainer. Jeder Trainer und jede Trainerin sollte wissen, was Sarkopenie ist, und die Mitglieder auch dementsprechend beraten können. Ein zweiter Punkt gilt für den gesamten Sport. Es steht außer Frage, dass wir lernen müssen, individuelle Trainingspläne zu erstellen. Wir wissen aus wissenschaftlichen Studien, dass die Anpassung an ein vergleichbares Kraft- und Ausdauertraining enorm stark variiert und dass manche Menschen wichtige Trainingsparameter bei Kraft- oder Ausdauertraining überhaupt nicht verbessern. Wir müssen lernen, besser mit diesem Phänomen in der Praxis umzugehen, um individuell ineffektives Training zu vermeiden. Der dritte Punkt ist, dass ich verstehe, dass ein Hype beim Marketing hilft. Jedoch sollte die Fitnessbranche sich hier bemühen, objektiv ineffektive Trainingsformen und Behandlungen zu vermeiden.
Foto: Prof. Henning Wackerhage