Patienten langfristig zum Sport motivieren
Dr. Stephan Kress, Vorsitzender der AG „ Diabetes, Sport und Bewegung“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft
Menschen mit Diabetes profitieren in vielerlei Hinsicht von körperlicher Aktivität. Wichtig sei weniger, wie sie trainieren – vielmehr komme es darauf an, dass sie langfristig dabeibleiben, sagt Dr. Stephan Kress im Interview. Er erläutert außerdem, warum Trainer und Studiobetreiber von einer Diabeteserkrankung ihrer Mitglieder wissen sollten und wie eine Kooperation von Fitnessstudios und Diabetologen aussehen kann.
bodyLIFE: Herr Dr. Kress, welche Auswirkungen hat Sport auf eine Diabeteserkrankung?
Dr. Stephan Kress: Bewegung wirkt sich vielseitig positiv auf verschiedene Erkrankungen aus, darunter auch Diabetes. Zum einen verbessert sie eine Insulinresistenz, das heißt, die Körperzellen werden gegenüber Insulin wieder empfindlicher. Außerdem kann mit Sport Übergewicht reduziert werden, was bei Diabetes unbedingt ratsam ist. Weiterhin verbessert sich die Durchblutung in den peripheren Nerven und der Druck auf die Gefäße verringert sich. Auch ein diabetisches Fußsyndrom kann durch regelmäßiges Training positiv beeinflusst werden.
body LIFE: Ist es möglich, mit Sport und einer Ernährungsumstellung einen Diabetes zu heilen?
Dr. Stephan Kress: Das ist beim Typ-2- Diabetes tatsächlich möglich – allerdings nur, wenn Patienten früh genug mit einem Bewegungsprogramm beginnen und Übergewicht verringern. Es funktioniert aber definitiv längst nicht bei allen Betroffenen. Man sollte den Menschen daher keine falschen Hoffnungen machen. Wir müssen hier auch unbedingt zwischen „Heilung“ und „Remission“ unterscheiden. Bei der Remission handelt es sich um einen Zustand, bei dem sich die typischen Diabetessymptome nicht mehr nachweisen lassen. Doch wie lange es dabei bleibt, ist offen. Diabetes ist in den meisten Fällen eine chronische Erkrankung, die ein Leben lang fortschreitet.
body LIFE: Wie oft sollten sich Betroffene bewegen?
Dr. Stephan Kress: Wir raten Menschen mit Diabetes, mindestens 150 Minuten pro Woche Sport zu treiben. Sinnvoll ist es, das Training dabei auch mal abzuwechseln und nicht einseitig zu trainieren. Sehr gut geeignet für Patienten ist zum Beispiel eine Kombination aus Kraft- und Ausdauersport
body LIFE: Was sollte ein Patient beachten, bevor er mit Sport beginnt? Und was müssen Trainer und Studiobetreiber wissen, wenn ein Mitglied mit Diabetes im Fitnessstudio trainiert?
Dr. Stephan Kress: Zunächst müssen Trainer herausfinden, in welchem Stadium der Fitness sich der Patient befindet – das heißt, wie belastbar er ist. Überlastungen sollten beim Training unbedingt vermieden werden. Generell kann man sich dabei am Motto „Laufen ohne Schnaufen“ orientieren. Es ist ratsam, so zu trainieren, dass der Laktatwert nicht ansteigt.
Auch sollten Trainer abfragen, welche Vorerfahrungen der Patient hat und was ihm Spaß macht. Denn der Betroffene sollte langfristig zu Bewegung animiert werden, damit er nicht nach ein paar Wochen schon wieder aufgibt Zu Beginn sollte man nicht zu viel vom Trainierenden verlangen und den Ehrgeiz nicht zu hoch ansetzen. Es ist eine große Kunst, in der Beratungssituation herauszufinden, was den Menschen Spaß macht und was man ihnen zumuten kann. Und auch, sie immer wieder zur Bewegung zu motivieren.
body LIFE: Benötigen Trainer ein Zusatzwissen, um Diabetespatienten trainieren zu können?
Dr. Stephan Kress: Ja, das benötigen sie definitiv. Diabetespatienten laufen beispielsweise während des Trainings Gefahr, eine Unterzuckerung zu erleiden. Daher sollte das Training nicht mit zu niedrigen Blutzuckerwerten begonnen werden. Der Blutzuckerspiegel ist vor dem Training unbedingt zu messen. Auch kann es bei einem Insulinmangel zu einem starken Blutzuckeranstieg und folglich zu einer Ketoazidosekommen. Das ist eine Stoffwechselentgleisung, die mit einer Übersäuerung des Körpers einhergeht. Trainer sollten unbedingt um diese Gefahren wissen, damit sie ideal mit den Patienten trainieren können. Weiterhin ist es ratsam, dass Studiobetreiber nach einer Diabeteserkrankung fragen, wenn sie ein neues Mitglied in ihr Studio aufnehmen. Vor einigen Jahren gab es dazu ein TÜVZertifikat, das die Anforderungen für Trainer beziehungsweise Fitnessstudios umschrieben hat. Leider wurde dieses nach einiger Zeit eingestellt, da sich die Anforderungen dauernd änderten. Die Fitnessstudios kamen schlichtweg mit den Anpassungen nicht mehr hinterher.
body LIFE: Gibt es spezielle Fortbildungen für Trainer?
Dr. Stephan Kress: Die Ausbildung von Reha-Übungsleitern umfasst – zumindest in einem geringen Umfang – auch das Training mit Diabetespatienten. In der Trainerausbildung ist dies aber meist nicht gegeben. Daher würde sich die Deutschen Diabetes Gesellschaft sehr wünschen, dass Trainer sich entsprechend weiterbilden. Leider gibt es zurzeit nur wenige Angebote. Wir sind gerade dabei, ein solches Angebot zu etablieren. Ziel ist es, Übungsleiter auf das Training mit Diabetespatienten zu spezialisieren, die dann wiederum eine enge Kooperation mit Arztpraxen eingehen.
body LIFE: Bei der Deutschen Diabetes Gesellschaft leiten Sie die Arbeitsgemeinschaft „Diabetes, Sport und Bewegung“. Was sind Ihre Ziele?
Dr. Stephan Kress: Wir möchten Diabetespatienten dazu ermutigen, langfristig in die Bewegung zu kommen. Dazu haben wir unter anderem das Projekt „Praxis in Bewegung“ ins Leben gerufen.Hier wollen wir Hausarzt- und Diabetespraxen „fit“ machen für Bewegungsempfehlungen, die sie ihren Patienten weitergeben können. Dazu gehört, ein Netzwerk mit lokalen Sportanbietern aufzubauen. An diese Bewegungseinrichtungen können die Praxen ihre Patienten dann verweisen. Die Einrichtungen können Fitnessstudios sein, aber zum Beispiel auch Tanzschulen, verschiedene Sportkurse oder ein Ruderverein – die Hauptsache ist, dass die Bewegung den Patienten Spaß macht und sie langfristig dranbleiben.
body LIFE: Wie kann eine sinnvolle Kooperation zwischen Fitnessstudios und Diabetespraxen aussehen?
Dr. Stephan Kress: Fitnessstudios, die sich auf Diabetespatienten einstellen, sind enorm wichtige Partner für Ärzte. Diabetologen haben oft zu wenig Zeit, um ein Studio zu suchen, das für ihre Patienten passt – gibt es eine entsprechende Kooperation, ist der Schritt zur Empfehlung viel leichter. Damit wird es einfacher, Diabetespatienten in Bewegung zu bringen. Wir könnten uns zum Beispiel auch vorstellen, dass Studiobetreiber und Trainer in Sprechstunden oder Schulungsgruppen eingeladen werden und dort für ihr Training bzw. Studio werben.
Studiobetreiber sollten auf Hausärzte und Diabetologen zugehen. Dann kann gemeinsam das Thema adressiert werden, wie man Patienten am besten zum Sport motiviert.
Auch können interessierte Übungsleiter Mitglied in der Deutschen Diabetes Gesellschaft werden. Wir sind immer auf der Suche nach qualifizierten Menschen, die das Thema mit uns vorantreiben möchten. Ziel sollte es sein, ein Netzwerk aufzubauen.
body LIFE: Vielen Dank für das Interview!
Foto: Dirk Deckbar_DDG