Wegatmen statt Pillen schlucken?
Atemmuskeltraining und Bluthochdruck
Die positiven Effekte von Atemmuskeltraining auf Bluthochdruck sind schon seit geraumer Zeit bekannt. Neue Erkenntnisse aus den jüngsten Studien lassen Forscher nun hoffen, dass die Volkskrankheit Bluthochdruck durch gezieltes Atemmuskeltraining genauso gut behandelt werden kann wie mit Medikamenten – und außerdem zeitsparender als mit traditionellem Ganzkörpertraining.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz Todesursache Nummer 1. Bluthochdruck ist dabei zusammen mit einem zu hohen Cholesterinspiegel der häufigste Hauptrisikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Die Ursachen für Bluthochdruck sind hinreichend bekannt. Das Alter und eine erbliche Veranlagung sind zwei große Risikofaktoren für Bluthochdruck, die nicht beeinflussbar sind. Von großer Bedeutung sind aber auch beeinflussbare Faktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel, Rauchen, Stress oder eine salzreiche Ernährung. Obwohl diese Faktoren allgemein bekannt sind, mangelt es bei betroffenen Personen häufig an der Disziplin hinsichtlich der Befolgung der medizinischen Ratschläge. Insbesondere die Empfehlungen zur körperlichen Betätigung werden von den Betroffenen oftmals vernachlässigt – als bequeme Alternative stehen schließlich Medikamente zur Verfügung. Gründe für das Nichtbefolgen der Ratschläge aus der Medizin gibt es viele. Am häufigsten fehlt jedoch schlicht die Zeit und die Motivation, um die richtigen Maßnahmen zu ergreifen und den gewohnten Lebenswandel umzustellen.
Was ist eigentlich Atemmuskeltraining?
Atemmuskeltraining kann als eine Technik definiert werden, die darauf abzielt, die Funktion der Atemmuskulatur durch spezifische Übungen zu verbessern. Insbesondere das inspiratorische Muskeltraining, bei dem die Muskeln trainiert werden, die für die Einatmung zuständig sind, verbessert nachweislich die Funktion der Atemmuskulatur und kann dazu beitragen, die Atemnot bei Belastung zu verringern.
Inspiratorisches Atemmuskeltraining
Im Kampf gegen den Frust über Compliance-faule Patienten und ausbleibende Resultate der Behandlung lässt jedoch eine Studie aus dem Journal of the American Heart Association (veröffentlicht im Juni 2021) aufhorchen. Die an der Universität Boulder in Colorado durchgeführte Studie zeigt, dass schon ein Atemmuskeltraining von wenigen Minuten täglich hilft, den Blutdruck zu senken und gleichzeitig die Gefäßgesundheit zu verbessern. Die beobachteten Effekte sind genauso groß oder sogar größer als bei aerobem Training oder medikamentöser Behandlung. Die Studie liefert damit den bislang stärksten Hinweis darauf, dass ein inspiratorisches Krafttraining der Atemmuskulatur eine entscheidende Rolle spielen kann, wenn es darum geht, die Effekte von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu bekämpfen. Aber nicht nur die Resultate sprechen für sich – auch die Einfachheit der Therapie lässt hoffen.
Atemmuskeltraining als besonders effiziente Alternative
Das Atemmuskeltraining hat den Vorteil, dass es sich problemlos in den Tagesablauf, beispielsweise beim Musikhören oder Fernsehen, integrieren lässt. Während früher propagiert wurde, dass ein Atemmuskeltraining bei geringer Intensität über ca. 30 Minuten absolviert werden solle, verfolgte das Protokoll der eingangs erwähnten Studie der Universität Boulder einen neuartigen Ansatz: 5 statt 30 Minuten täglich!
Das Protokoll sah vor, täglich über 5 Minuten 30 Atemzüge gegen einen hohen Widerstand auszuführen, und zwar an 6 Tagen in der Woche über einen Zeitraum von 6 Wochen. Die 36 Studienteilnehmer waren zwischen 50 und 79 Jahre alt, insgesamt gesund, aber mit einem systolischen Blutdruckwert von 120 mmHg oder höher. Die Gruppe, die das inspiratorische Krafttraining absolvierte, konnte eine durchschnittliche Verbesserung des systolischen Blutdrucks um 9 Prozent feststellen. Dies übersteigt sogar die Verbesserung, die normalerweise erzielt wird, wenn man an 5 Tagen in der Woche 30 Minuten lang spazieren geht. Es entspricht zudem der Verbesserung, die mit manchen blutdrucksenkenden Medikamenten erwartet werden kann.
Weitere bemerkenswerte Resultate der Studie:
- Die Studienteilnehmer hatten eine um 45 Prozent verbesserte Gefäßendothelfunktion – also die Fähigkeit der Arterien, sich bei Stimulation zu weiten.
- Signifikanter Anstieg des Stickoxidspiegels – eines zentralen Moleküls für die Gefäßerweiterung, das natürlicherweise mit zunehmendem Alter abnimmt.
- Marker für Entzündungen und oxidativen Stress, die das Herzinfarktrisiko erhöhen können, waren nach 6 Wochen Atemmuskeltraining deutlich geringer.
- Vorläufige Resultate weisen zudem darauf hin, dass das Atemmuskeltraining gewisse Hirnfunktionen und auch die physische Fitness verbessert.
Wie kann die Atemmuskulatur trainiert werden?
Für ein effizientes Atemmuskeltraining muss mit einem entsprechenden Gerät gearbeitet werden. Die betroffenen Muskelgruppen werden bei ganzkörperlicher Anstrengung nicht ausreichend mittrainiert, um signifikante Verbesserungen zu erzielen. Die Funktionsweise ist bei den meisten Geräten dieselbe. Die Anwender atmen gegen einen Widerstand, den die Atemmuskeln überwinden müssen. Diese Form von Krafttraining wurde auch in der hier zitierten Studie verwendet. Es gibt jedoch auch Geräte, die nicht nur ein Kraft-, sondern auch ein Ausdauer- und ein HIIT-Training ermöglichen. Mit diesen kann über einen längeren Zeitraum mit voller Atemtiefe und gesteigerter Atemfrequenz trainiert werden. Damit dabei keine Gefahr der Hyperventilation entsteht, wird mit einer CO2-Rückführung (der sog. isokapnischen Hyperpnoe) gearbeitet.
Weitere Studien in Ausarbeitung
Bereits vor der Studie durch die Universität Boulder waren die Effekte von Atemmuskeltraining auf Bluthochdruck untersucht worden. Eine systematische Review mit einer Metaanalyse zeigte, dass ein Atemmuskeltraining mit Widerständen – sprich Krafttraining für die Atemmuskulatur – sowohl den systolischen als auch den diastolischen Blutdruck reduzieren konnte. Beobachtet wurde darüber hinaus, dass ein Atemmuskeltraining ohne solche Widerstände nur den systolischen Druck reduzierte.
Die Verfasser der neuesten Studie versuchen bereits, die beeindruckenden Resultate in weiteren Untersuchungen mit mehr Teilnehmern und einer längeren Behandlungsdauer zu bestätigen. Erwartet wird, dass eine längere Dauer sogar noch bessere Resultate erzielen könnte. Ein weiterer wichtiger Punkt, der in einer folgenden Studie untersucht werden soll, ist die Auswirkung von Atemmuskeltraining auf den Blutdruck nicht nur bei Personen mit Bluthochdruck, sondern auch bei gesunden und jüngeren Menschen. Zudem soll bei diesen Gruppen auch verglichen werden,wie sich die Effekte von Atemmuskeltraining von jenen durch herkömmliches Ganzkörpertraining unterscheiden.
Mechanismen sind noch nicht abschließend bekannt
Eine große offene Frage ist die nach den Mechanismen, die hinter der Senkung des Bluthochdrucks durch Atemmuskeltraining stehen. Zurzeit ist noch nicht klar, was genau die Senkung verursacht. Wiederholter Stress durch die beachtliche Änderung des Lungenvolumens könnte ein wichtiger Stimulus sein, aber die akuten Effekte von Atemmuskeltraining auf den arteriellen Blutfluss und den Shear Stress müssen noch weiter erforscht werden.
Unabhängig von den Effekten kann jetzt schon festgehalten werden, dass das Atemmuskeltraining eine vielversprechende nichtmedikamentöse Behandlung für Patienten mit Bluthochdruck darstellt. Aufgrund der relativ geringen Kosten der Intervention und der geringen Zeit, die für das Training täglich aufgewendet werden muss, stellt es eine erfolgversprechende Methode dar, die Compliance zu erhöhen.
Veronika Marreck
Quelle der Studie: https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/ JAHA.121.020980
Quelle der systematischen Review mit Metaanalyse: https://pubmed.ncbi. nlm.nih.gov/33630377/
Veronika Marreck
ist Diplom-Sportwissenschaftlerin mit langjähriger Erfahrung in den Bereichen „Rückenanalyse“ und „Atemmuskeltraining“ sowohl bei Patienten mit Lungenerkrankungen, Rückenproblemen, etc. als auch für Athleten zur Leistungssteigerung. Darüber hinaus ist sie die Leiterin der Idiag-Academy DACH.
Foto: Valeryi – stock.adobe.com, freshidea – stock.adobe.com; Veronika Marreck